Zeitgeschichte: Der österreichische SS-Offizier Skorzeny und der Mossad
Tote reden nicht. Ein Glück für "Narbengesicht“ Otto Skorzeny. Denn die nun aufgedeckte Facette seines schillernden Lebens hätte dem Sohn eines Wiener Gerüstverleihers, der sich über Synagogen-Brandstiftung, Kriegsverbrechen und Hasardstücke wie seine Wichtigtuerei bei der Mussolini-Befreiung zum SS-Obersturmbannführer hochgedient hatte, wohl die Rede verschlagen. Laut jüngsten Enthüllungen soll Skorzeny das SS-Versprechen auf Ehre und Treue gründlich missachtet und in den 1960er-Jahren für den israelischen Geheimdienst Mossad einen Mord verübt haben. Wie offenherzig er sich lange davor einem US-Agenten ausgeliefert hatte, ist wenig bekannt, passt jedoch ins Bild.
Skorzeny galt unter seinesgleichen als einer, "der Geschichte gemacht hat“. So rühmte ihn Hans-Ulrich Rudel, damals höchstdekorierter noch lebender Wehrmachtssoldat, als er im Sommer 1975 auf dem noblen Döblinger Friedhof für "unseren Otto“ die Trauerrede hielt. Welche Geschichte dabei beschworen wurde, ahnte er wohl so wenig wie die Alt- und Jungrechten, die einen wie Skorzeny immer bewunderten und es bis heute nicht lassen können.
"Gebt mir tausend Mann ..."
"Machen wir - leicht“: So lautete Skorzenys Lebensmotto. Er entführte den Sohn des ungarischen Reichsverwesers Miklós Horthy und machte damit den Weg für die faschistischen Pfeilkreuzler frei. Ende 1944 plante er als Atempause für den Führer das Unternehmen Greif; deutsche Soldaten sollten in US-Uniformen gegen die Alliierten stürmen. Hitler hängte ihm dafür höchste Auszeichnungen um, Propagandachef Goebbels stilisierte ihn zum Helden. Da Alliierte selbst in gegnerischen Uniformen gekämpft hatten, entging Skorzeny einer Verurteilung als Kriegsverbrecher, einem zweiten Prozess entzog er sich 1948 durch Flucht. Im Spanien von Diktator Franco fand er Unterschlupf, eröffnete die "Erika-Bar“ für untergetauchte Gleichgesinnte, wurde mit Immobilien- und Waffengeschäften sowie als Repräsentant der verstaatlichten Voest wohlhabend. Seinen Ruf als tollkühner Hasardeur pflegte er hingebungsvoll, mit reißerischen Büchern wie "Lebe gefährlich“ und Ansagen wie "Gebt mir tausend Mann, und ihr werdet im nächsten Krieg eure Wunder erleben“.
Knapp vor seinem Tod versicherte Skorzeny der "New York Times“ noch stolz, "meinem Land und dem Führer treu gedient“ zu haben. Die Oberfläche des Superhelden bröckelte nur allmählich. Zuerst wurde bekannt, dass er die Mussolini-Befreiung 1943 beinahe zum Scheitern gebracht hätte, weil er sich in den winzigen Fluchtflieger zwängte. Mitte der 1990er-Jahre wurde bruchstückhaft berichtet, Hitlers Held habe für den Mossad Ägyptens Raketenpläne ausspioniert. profil beschrieb eine Spezialtruppe namens "Sternbande“, in der Skorzeny unter anderen mit Israels späterem Premier Jitzhak Shamir als Agent eingesetzt war (profil 50/1995).
In der Vorwoche legten die Journalisten und Mossad-Kenner Dan Raviv und Yossi Melman in der renommierten israelischen Zeitung "Haaretz“ eine spektakuläre Version der Geschichte offen. Titel der Enthüllung: "Der sonderbare Fall eines Nazis, der zum israelischen Mörder wurde“. Eine geheime Kommandoaktion mit dem ehemaligen SS-Offizier Skorzeny und Jitzhak Shamir als Beteiligten gab es demnach tatsächlich. Völlig neu ist, dass Skorzeny dabei Ende September 1962 nahe München den Deutschen Heinz Krug erschossen haben soll. Krug war damals spurlos verschwunden. Nun heißt es, der Mitarbeiter des NS-Raketenprogramms in Peenemünde sei als Auftragnehmer von Ägyptens gegen Israel gerichteter Aufrüstung exekutiert worden. Warum der Mossad Skorzeny als Killer verwendete, begründen die Journalisten pragmatisch: Wenn es notwendig schien, tanzte der geheime Dienst auch mit dem sprichwörtlichen Teufel.
Skorzeny und Wiesenthal
Unter Berufung auf ehemalige anonym bleibende Mossad-Mitarbeiter werden Details geliefert, die in keiner Agentenstory fehlen dürfen - inklusive Aufriss des Subjekts Skorzeny durch den Spionagedienst in einer luxuriösen Madrider Bar samt Einsatz eines koketten weiblichen Lockvogels an der Seite des Mossad-Agenten. Im Verlauf des Abends habe Skorzeny das Paar durchschaut und plötzlich mit einem Gewehr bedroht. Die Frau soll jedoch cool geblieben sein: "Wenn Sie uns umbringen, werden die nach uns mit Ihnen keinen Drink nehmen. Sie werden nicht einmal ihre Gesichter sehen, bevor die Ihnen das Gehirn rausblasen.“ Skorzeny habe der angebotenen Zusammenarbeit dann zugestimmt und nur einen Wunsch geäußert: Nazijäger Simon Wiesenthal solle ihn von seiner Kriegsverbrecherliste nehmen. Wiesenthal weigerte sich, ein Schreiben in seinem Namen hat der Mossad "in typischer Chuzpe“ gefälscht, so die Zeitung "Haaretz“.
Simon Wiesenthal (1908-2005) half dem bedrängten Israel auf seine Weise: In einer großen Pressekonferenz gab er mehr als zwei Dutzend Namen flüchtiger Naziverbrecher und deren Tätigkeit in Ländern des Nahen Ostens bekannt. Skorzeny jedoch verfolgte er verbissen weiter. Denn schon 1948 hatte er erfahren, Adolf Eichmann und Skorzeny würden Pläne für eine weitere gemeinsame Judenverfolgung schmieden. Eichmann wurde 1960 vom Mossad in Argentinien geschnappt, nachdem Wiesenthal fünf Jahre lang erfolglos auf Eichmanns Aufenthalt ebendort hingewiesen hatte. Als der Mossad 1962 dann in Sachen Skorzeny vorstellig wurde, blieb der Nazijäger hart. Er sammelte Hinweise, wonach Skorzeny sich in Spanien mit dem Sohn des hingerichteten Gauleiters August Eigruber traf und mit ihm plante, in Irland "für österreichische Industriekreise, die unter Beschuss von Kommunisten und Juden stehen“ (Skorzeny) eine Ausweichbasis zu schaffen. Er bemühte sich um Zeugenaussagen für Mordaufträge Skorzenys an Angehörigen österreichischer Widerstandskämpfer und die Ermordung deutscher Soldaten.
In Wiesenthals Dossiers findet sich auch der hochinteressante Bericht des US-Geheimdienstes CIC. Darin ist festgehalten, wie blauäugig Skorzeny sich in US-Kriegsgefangenschaft 1946 einem verdeckten Agenten anvertraute, der in seine Zelle gesetzt worden war. Die Abhöraktion "Brandy“ war ein voller Erfolg. Der Agent berichtete, der NS-Held sei sehr niedergeschlagen und plane eine Flucht in die Schweiz. Und vor allem: Skorzeny nannte ihm alle seine Kontakte, unter ihnen zahlreiche SS-Männer, und schickte ihn zu seiner im Innviertel versteckten Frau. Sie sollte den unerkannten Agenten zu den Depots begleiten, in denen er "amerikanisches Geld, andere ausländische Währung, Pistolen und Landkarten“ (CIC-Bericht) versteckt hatte. Das prominenteste Versteck listet der CIC-Report im Schüttgut in Zell am See auf: "1 Schachtel bei Dr. PORSCHE (oder ähnlicher Name), Erfinder des Volkswagens.“
Wiesenthals Dossier enthält auch Großaufnahmen der Altrecken, die sich zu Skorzenys Beerdigung versammelt hatten. Laut der neuen Enthüllung wussten zwei in der Trauerrunde, wie eifrig er dem Mossad gedient hatte. Es waren seine dritte Frau Ilse von Finckenstein, eine Nichte von Hitlers Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht, denn sie soll das Mossad-Pärchen damals in Madrid eingeladen haben, in die Skorzeny-Wohnung mitzukommen. Und der für Skorzeny abgestellte Geheimdienst-Agent Joe Raanan. Er hatte als 16-Jähriger aus Wien nach Palästina flüchten können und als Einziger seiner Familie den Holocaust überlebt. Bittersüßer Kommentar der Aufdecker Raviv und Melman: "Es war ein persönlicher Tribut eines in Österreich geborenen Kriegers für einen anderen. Und der Tribut eines alten Agentenführers für den besten, wenn auch hassenswertesten Agenten, den er je gehabt hatte.“