Lacina, Fischer und Bronner an jener Stelle hinter der Oper, an der der Neonazi  zuschlug.

Fischer, Lacina, Bronner und die "Affäre Borodajkewycz"

Vor 50 Jahren wollten Heinz Fischer, Ferdinand Lacina und Oscar Bronner nicht länger zusehen, wie Nachkriegs-Österreich seine Nazi-Vergangenheit verdrängt.

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Am Ende lag der schmächtige Mann mit den grauen Haaren in seinem Blut. Seinen Unterkiefer hatte ihm ein Neonazi mit einem Faustschlag zertrümmert. Als er mit dem Kopf auf das Straßenpflaster vor dem Hotel Sacher schlug, wurde Ernst Kirchweger so schwer verletzt, dass er drei Tage später starb. Er wurde 68 Jahre alt.

Kirchweger wollte an diesem 31. März 1965 mit den Anhängern des umstrittenen Hochschulprofessors Taras Borodajkewycz diskutieren, die den Demonstrationszug durch die Wiener Innenstadt, in dem er mitging, mit antisemitischen Rufen verhöhnte. Als der Pensionist aus Favoriten auf einen von ihnen zuging, kostete ihn das sein Leben. Der 24-jährige Rechtsradikale Günther Kümel, der den Schlag geführt hatte, war Amateurboxer.

Eigentlich hatte der „Fall Borodajkewycz“ schon drei Jahre zuvor begonnen, im Frühjahr 1962. Seine Aufdecker waren drei junge Männer, die später große Karrieren machten: Der eine, Heinz Fischer, wurde Bundespräsident, der andere, Ferdinand Lacina, Finanzminister und der dritte, Oscar Bronner, gründete die Magazine profil und trend und später die Tageszeitung „Der Standard“.

Hetze gegen "Kaffehausjuden"

Der damals 19-jährige Welthandelsstudent Ferdinand Lacina hatte Wirtschaftsgeschichte bei Professor Taras Borodajkewycz inskribiert. Im Hörsaal der im 19. Wiener Bezirk angesiedelten Hochschule für Welthandel, der Vorgängerin der Wirtschaftsuniversität, traute Lacina, Funktionär bei den Sozialistischen Studenten, seinen Ohren nicht: Da zog der Professor über „die jüdische Suffragette und Massenaufpeitscherin Rosa Luxemburg“ her, nannte linke Politiker „Kaffeehausjuden“, ätzte über die jüdische Herkunft des österreichischen Verfassungsschöpfers Hans Kelsen („Er hieß ja eigentlich Kohn“) und bezeichnete den Tag der Hitler-Rede am Heldenplatz als einen der wichtigsten seines Lebens. Bei jeder dieser Äußerungen setzte im Hörsaal schallendes Gelächter oder Beifall ein. Kein Wunder: An der Hochschule für Welthandel lag der Anteil des Rings Freiheitlicher Studenten (RFS) bei ÖH-Wahlen bei 28 Prozent. Der RFS, getragen von schlagenden Burschenschaftern, hatte sich seit jeher ungeniert rechtsradikal geriert. Sein erster Bundesvorsitzender war der bekannte Neonazi Norbert Burger.

Lacina legte eine Mitschrift der Vorlesung an und brachte sie seinem Freund Heinz Fischer, damals 23, den er von den Sozialistischen Mittelschülern kannte. Das könne man doch nicht einfach hinnehmen, meinte Lacina. Das sah auch Fischer so. Er hatte gerade sein Jus-Studium abgeschlossen und als Sekretär im SPÖ-Parlamentsklub zu arbeiten begonnen. Nun verfasste er im SPÖ-Theorieorgan „Zukunft“ und in der „Arbeiter-Zeitung“ Artikel, in denen er das Treiben der RFS-Recken und die Vorgänge an der Hochschule für Welthandel anprangerte: „Dort wird die demokratische Gesinnung den Studenten unter anderen von Taras Borodajkewycz beigebracht, der unter Schuschnigg Katholikentage organisiert hat, aber 1938 sofort zum Naziregime überging – und der jetzt akademisches Vorbild sein soll.“

Borodajkewycz, Jahrgang 1902, war schon ab März 1934 illegaler Nazi gewesen, dennoch gab er sich als Super-Katholik und ließ sich vom Ständestaat mit einer Dozentenstelle belohnen. Die Nazis machten ihn dann zum Professor. Nach dem Krieg war er kurz als Lektor tätig, bald verschaffte ihm die ÖVP die Professur an der Hochschule. Nebenher geißelte er in rechtsradikalen Blättchen „das Geflunker von der österreichischen Nation“. Mit der Benennung von Straßen nach Widerstandskämpfern würden „Feigheit, Fahnenflucht und Verrat als die wahren Tugenden des österreichischen Mannes gepriesen“, schrieb er. Auch das störte niemanden.

Siegessicher klagte Borodajkewycz Heinz Fischer. Die Anwälte beider Seiten waren prominent: Der Professor hatte Tassilo Broesigke engagiert, später FPÖ-Abgeordneter und Rechnungshofpräsident. Fischer wurde von Wilhelm Rosenzweig vertreten, Parteianwalt und Mitglied des Verfassungsgerichtshofs.

Demokratiefeindlicher Rektor Heinrich

Fischer und Rosenzweig boten als Beweismittel Lacinas Mitschrift an, weigerten sich aber, den Namen des Autors zu nennen, weil dieser Repressalien zu befürchten habe. Lacina hatte tatsächlich jeden Grund, anonym zu bleiben. In der Vorlesung nach der ersten Verhandlung hatte Borodajkewycz angekündigt, den „Spitzel“ von der Hochschule zu werfen, wenn er seiner habhaft werde. Von der Hochschulführung konnte Lacina kein Hilfe erwarten: Rektor Walter Heinrich hatte 1931 den berühmten „Korneuburger Eid“ der Heimwehren verfasst, ein Schlüsseldokument des Austrofaschismus und eine wilde Kampfansage an Demokratie und Parlamentarismus.

Der Richter ließ die Mitschrift nicht als Beweismittel zu, obwohl Wilhelm Rosenzweig, immerhin ein Verfassungsrichter, unter Eid deren Echtheit bestätigen wollte. Heinz Fischer wurde im November 1963 zu einer Geldstrafe von 4000 Schilling oder 20 Tagen Arrest verurteilt.

Borodajkewycz kehrte im Triumph an die Hochschule zurück. In den folgenden eineinhalb Jahren versuchte die SPÖ, den Fall im Nationalrat mit Anfragen an den schwarzen Unterrichtsminister auf dem Tapet zu halten. Sehr erfolgreich war das nicht.

Im März 1965 hatte Heinz Fischer eine Idee: Er steckte Lacinas Mitschrift Oscar Bronner zu. Die beiden hatten einander einige Jahre zuvor kennengelernt, Fischer hatte Bronner zu einer Party der roten Studenten mitgenommen. Inzwischen war der 22-Jährige journalistischer Mitarbeiter des beliebten TV-Kabaretts „Zeitventil“, das von seinem Vater Gerhard und dessen Partner Peter Wehle gestaltet wurde. In der folgenden Sendung wurde der Schauspieler Kurt Sobotka in Borodajkewycz-Maske von einem Reporter befragt, der mit Originalzitaten aus Lacinas Mitschrift antwortete. Nun war eine breite Öffentlichkeit aufmerksam geworden. Um den Druck nach der „Zeitventil“-Sendung abzufangen veranstaltete Borodajkewycz in einem Saal der Hochschule für Welthandel eine Pressekonferenz, zu der auch sein Anhang kam – etwa 200 RFS-Leute. Selbst das Fernsehen hatte ein Kamerateam geschickt. Borodajkewycz wähnte sich auf der sicheren Seite und wiederholte frech seine Zitate aus den Vorlesungen. Und wieder wieherte seine Anhängerschaft. Diesmal war aber auch die Öffentlichkeit dabei. Journalisten, die den Professor fragten, was denn an jüdischen Namen so lustig sei, wurden aus dem Saal gewiesen.

Sie waren restlos davon überzeugt, dass die Juden unser Unglück sind und die Linken an die Wand gestellt gehören. (Albrecht Konecny)

Doch jetzt wendete sich das Blatt. Schon am nächsten Tag meldete Albrecht Konecny, wie Fischer und Lacina Funktionär bei den SPÖ-Studenten, eine Demonstration gegen Borodajkewycz an. Als Mitveranstalter trat die Österreichische Widerstandsbewegung auf, die aus der bürgerlichen Anti-NS-Gruppierung „05“ hervorgegangen war. Am 31. März kam es zu einer Demo mit etwa 2500 Teilnehmern auf der Seite der Antifaschisten. Im Ressel-Park hatten sich rund 1000 „Boro“-Anhänger versammelt, die den Zug der Demonstranten mit Nazi-Sprüchen bombardierten: „Hoch Auschwitz!“, „Juden raus!“

„Sie waren restlos davon überzeugt, dass die Juden unser Unglück sind und die Linken an die Wand gestellt gehören“, erinnert sich der Veranstalter und spätere Bundesratspräsident Konecny.

Ferdinand Lacina versah Ordnerdienst und wurde so Augenzeuge der Bluttat an Kirchweger. Der Täter, der Chemiestudent Günther Kümel, entpuppte sich als alter Bekannter. Wenige Jahre zuvor hatte er während der Südtirol-Krise Brandsätze gegen italienische Einrichtungen in Wien geworfen.

Skandal-Urteil

Beim Prozess argumentierte er mit Notwehr: Er habe sich von Kirchweger angegriffen gefühlt. Das war wenig glaubwürdig. Das Opfer war 68 und hatte gerade eine Nierenoperation hinter sich. Das Gericht entschied schließlich auf „Putativnotwehrexzess“: Kümel habe geglaubt, er werde angegriffen, was aber nicht wirklich der Fall war, und habe mit seinem vernichtenden Faustschlag übertrieben reagiert. Fazit: zehn Monate Arrest. Nach fünf Monaten war er wieder in Freiheit.

Oscar Bronner schockierte das Urteil so sehr, dass er die NS-Vergangenheit von Richtern und Staatsanwälten zu recherchieren begann. Die aufsehenerregenden Ergebnisse veröffentlichte er in der von Friedrich Torberg herausgegebenen Zeitschrift „Forum“.

Ferdinand Lacina trat in den Dienst der Arbeiterkammer, wurde wenige Jahre später Leiter der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung und 1980 Kabinettschef von Bundeskanzler Bruno Kreisky.

Das Verfahren gegen Heinz Fischer wurde wieder aufgenommen und endete im Herbst 1965 mit einem Freispruch. Taras Borodajkewycz wurde „zwangspensioniert“ (er war ohnehin schon 65), bequemerweise bei vollen Bezügen. Bis zu seinem Tod im Jahr 1984 schrieb er für rechtsextreme Publikationen.

Günther Kümel tauchte nach seiner Enthaftung vorerst unter und sammelte später Geld für den nach Spanien geflohenen Neonazi Gerd Honsik.

Der RFS ist heute an den Universitäten kaum noch präsent. An der Wiener Wirtschaftsuni fuhr er zuletzt 0,97 Prozent ein.

BILD: PHILIPP HORAK (http://www.philipphorak.com)

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