Erich Richard Finsches, 98 Jahre alt, Holocaust-Überlebender
80 Jahre Kriegsende

„Ich wache oft schweißgebadet auf, ich zittere und schreie in der Nacht“

Erich Richard Finsches wurde am 27. April 1945 aus dem KZ befreit und kehrte nach Wien zurück. Der heute 98-jährige Wiener Jude erzählt über das Jahr 1938, sein Überleben als U-Boot und das Leben nach dem Krieg.

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Protokolliert von Nina Brnada

Am 27. April 1945 wurde ich befreit. Ich war in Kaufering, einem Außenlager von Dachau. Wir waren alle dem Tode geweiht. Viele von uns waren zusammengebrochen. Ich war 16 Jahre alt, mit dem Gewand und den Schlapfen hatte ich 29 Kilogramm. Mich hat ein Sanitäter unter den Arm genommen, als wäre ich ein kleiner Bub, und ins Kloster Holzhausen in Landsberg am Lech gebracht. Die Schwestern gaben uns jeweils ein Stückerl Zwieback. Wir mussten erst langsam ans Essen herangeführt werden. Ich hatte eine schwere Mageninfektion und war am ganzen Körper voll mit eitrigen Phlegmonen. Eine Katastrophe.

Eine Klosterschwester hat mich wie ein Baby genommen und in eine Wanne reingestellt. Ich habe mich drei Mal angeschissen, bevor ich mich habe richtig waschen können. Das kann sich keiner vorstellen. Nach dem dritten oder vierten Mal Waschen hat es ein weißes Nachthemd gegeben, sie haben mich in einen Saal hinaufgetragen und in ein Bett gelegt. Nach zwei oder drei Tagen bin ich munter geworden. Mit leichten Suppen und schleimigen Sachen haben sie uns aufgepäppelt.

Widerstandsgeist erwacht

Ich war immer ein Draufgänger. Ich habe immer gesagt, es muss weitergehen, nur keine Hemmungen. Diese Art habe ich mir angewöhnt nach dem, was man mit mir auf der Gestapo 1938 gemacht hat. Meine Mutter wusste nicht, wo mein Vater war, also hat sie mich ihn suchen geschickt, das war im November 1938. Ich habe ihn überall gesucht, bei Freunden, auf der Straße – und bin dann schließlich auf die Polizei im 15. Bezirk, dort haben wir gewohnt. Und wie ich auf die Polizei komme, sagt einer der Nazis: „Auf dich haben wir schon gewartet.“ Er hat mich beim Gnack genommen und „Hallelujah“ gesungen. Im Häftlingstrakt stand mein Vater, gemeinsam mit Hunderten anderen. Wir waren dort tagelang eingepresst wie die Heringe. Wir haben im Stehen geschlafen. Irgendwann kam die Order, alle Männer sollen in den Hof: „Ihr geht’s anständig in einer Reihe.“ Meinen Vater haben sie einwaggoniert und ins KZ geschickt. Das war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe.

Ich blieb zurück und kam auf die Gestapo auf den Morzinplatz, einst ein Hotel, zu Gruppenleiter Ebner. Er und ein paar andere SSler, die haben mich geschlagen, gehaut, geprügelt – ich war nur noch Haut und Blut. Danach haben mich angeblich einige Häftlinge in einer Decke hinaufgetragen in den vierten Stock, wo die sogenannten provisorischen Zellen waren. Das waren die Zimmer, wo das Personal und die Kellner vom Hotel früher gewohnt haben. Da kam ich in eine Zelle hinein. Da waren Gott sei Dank zwei Ärzte. Sie haben mich mit nassen Handtüchern behandelt. In dieser Zeit ist mein Widerstandsgeist erwacht. Nur nicht aufgeben – aufgeben tama ned. Ich war dort das einzige Kind. Einen der beiden eingesperrten Ärzte haben sie zu Tode geprügelt.