Ziemlich beste Freunde: Sebastian Kurz und sein Draht nach Israel
Das Ergebnis ist dann doch bescheidener ausgefallen, als das Getöse im Vorfeld vermuten ließ: Israel, Österreich und Dänemark einigten sich am Donnerstag darauf, eine gemeinsame Stiftung zur Bekämpfung von Covid-19 gründen zu wollen. Schwerpunkte der Stiftungsarbeit sollen die Impfstoffproduktion, die Impfstoffforschung und die Entwicklung von Medikamenten sein. Dotiert wird die Initiative mit 50 Millionen Euro. Nur um diese Summe einzuordnen: Das Forschungsbudget des Pharmakonzerns Pfizer belief sich 2019 auf mehr als 8,5 Milliarden Dollar.
Lohnt es sich, für ein solches Mini-Projekt in Pandemiezeiten drei Staatschefs zu versammeln, mit zwei Flugzeugen nach Israel zu jetten und einen Tross Journalisten einen Tag lang zu beschäftigen? Aber natürlich, es lohnt sich – jedenfalls aus Sicht der Politiker.
Sebastian Kurz etwa kann hochzufrieden sein. Immerhin gelang es dem Kanzler, sich als Staatsmann zu inszenieren, schon im Vorfeld Sticheleien gegen Brüssel loszuwerden („Wir werden uns in Zukunft nicht mehr auf die EU verlassen“) und hiesige Journalisten vorübergehend auf andere Gedanken zu bringen. „Kurz holte Israels Erfahrung für Impfstoff und Grünen Pass“, titelte etwa der Kollege von der „Kronen Zeitung“, der den Kanzler nach Jerusalem begleitet hatte. Das ist aus ÖVP-Sicht doch erfreulicher als die andauernde Berichterstattung über Verdachtslagen der Wiener Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft.
Auch der Gastgeber hat seine Zeit nicht umsonst geopfert. In zwei Wochen wird in Israel gewählt. Da kann es nicht schaden, wenn Gäste von auswärts Lobeshymnen auf die israelische Impfstrategie singen. Von Sebastian Kurz lässt sich Benjamin Netanjahu offensive Bewunderung besonders gerne gefallen, das kann man schon länger beobachten. Und der Österreicher machte in Jerusalem keine halben Sachen: „Die ganze Welt schaut heute mit Bewunderung auf Israel“, sagte Kurz bei einer gemeinsamen Pressekonferenz. „Es ist das erste Land der Welt, das vorzeigt, dass man das Virus besiegen kann.“ Zwischen Kurz und Netanjahu passt derzeit kein Blatt, das war vielleicht die wichtigste Erkenntnis dieser Dienstreise.
In einem historisch so belasteten Land wie Österreich ist es natürlich zu begrüßen, wenn der Bundeskanzler gute Beziehungen zu Israel pflegt. Aber wie es aussieht, geht Netanjahus Einfluss auf die österreichische Politik über die normalen diplomatischen Usancen zwischen befreundeten Staaten ohne große gegenseitige Abhängigkeiten hinaus. Innerhalb der EU gibt es jedenfalls keinen Regierungschef, den Sebastian Kurz auch nur annähernd so gerne als Stichwortgeber ins Spiel bringt wie den 71-jährigen Chef der rechtskonservativen Likud-Partei.
Vor allem in der Corona-Politik dürfte Sebastian Kurz öfter auf den Amtskollegen in Jerusalem gehört haben als auf den eigenen Gesundheitsminister oder hiesige Experten. Schon der Beschluss des ersten Lockdowns im März wurde durch ein Telefonat mit dem politischen Freund in Israel befördert. So erzählt es zumindest Sebastian Kurz. „Ihr unterschätzt das in Europa, wacht auf und tut etwas“, habe Netanjahu damals gesagt. Im Abstand von nur zwei Tagen wurden anschließend Österreich und Israel in den Lockdown geschickt.
Bald darauf gründete Kurz die Gruppe der sogenannten „First Movers“, also jener Staaten, die besonders früh besonders energisch auf das Virus reagiert hatten. Mit dabei war natürlich Israel. Seither tauscht man sich regelmäßig in Videokonferenzen aus. Das gute Gefühl, alles richtig gemacht zu haben, sollte bei einigen Mitgliedern mittlerweile verflogen sein. Auch Israel taugt nicht wirklich als Vorbild: Trotz Serien-Lockdowns wurden dort fast 800.000 Infektionen bestätigt, um 60 Prozent mehr als in Österreich. Dass in Israel vergleichsweise wenige Covid-Tote zu beklagen waren, dürfte hauptsächlich am niedrigen Durchschnittsalter der Bevölkerung liegen und nicht so sehr an der Weitsicht der Regierung.
Dennoch ließ sich Sebastian Kurz weiterhin gerne beraten. „Ich hatte gerade ein gutes Telefonat mit Premierminister Netanjahu zum Thema, wie man am besten mit der zweiten Welle von Covid-19 zurechtkommt“, twitterte Kurz im November, bevor die Regierung Österreich ein zweites Mal zusperrte. Kaum hatte Israel einen „Grünen Pass“ mit mehr Freiheiten für Geimpfte und Genesene installiert, plädierte Kurz auch innerhalb der EU für ein solches Modell. Und seit es in Israel mehr ums Aufsperren als ums Zusperren geht, zeigt auch der österreichische Kanzler erkennbar weniger Lust auf die Holzhammermethode: „Der Lockdown verliert an Kraft, weniger Menschen machen mit, und daher macht es auch keinen Sinn, den Lockdown ins Unermessliche zu verlängern“, erklärte Kurz jüngst im deutschen Boulevardblatt „Bild“.
Nur ein Mal in den vergangenen zwölf Monaten waren sich Österreich und Israel nicht einig – und aus heutiger Sicht war es just der falsche Anlass: Als Netanjahu im Mai vorschlug, bei der Beschaffung von Corona-Impfungen gemeinsame Sache zu machen, lehnte Kurz dankend ab. Man habe sich an die Einigung auf EU-Ebene gehalten, diese Aufgabe Brüssel zu überlassen, heißt es aus dem Kanzleramt. Das Ergebnis ist bekannt: In Israel sind schon mehr als 50 Prozent der Bevölkerung mindestens ein Mal geimpft, in Österreich nur etwas mehr als fünf Prozent.
Die Pandemie hat der politischen Männerfreundschaft zweifellos Auftrieb verliehen, aber Best Buddies sind Benjamin Netanjahu und Sebastian Kurz schon länger. Im kleinen Kreis spricht der österreichische Kanzler gerne davon, dass der israelische Premier eine Art „väterlicher Freund“ sei. Ob Netanjahu das auch so sieht, ist nicht überliefert. Trotz des großen Altersunterschieds von fast 40 Jahren gibt es zwischen den zwei Herren jedenfalls Gemeinsamkeiten, die den engen Austausch erleichtern: Beide sind Machtpolitiker und halten weniger von Ideologie als von Strategie, mehr von Meinungsumfragen als von mühsamer Überzeugungsarbeit.
Mit vorgezogenen Neuwahlen haben sowohl Netanjahu als auch Kurz Erfahrung; die geplagten Israelis müssen demnächst schon zum vierten Mal innerhalb von zwei Jahren wählen, in Österreich waren es bis dato zwei Urnengänge in etwas mehr als drei Jahren. Und wenn sich Sebastian Kurz derzeit über die Justiz ärgert, sieht er in Israel, dass man als Regierungschef weitaus Schlimmeres wegstecken kann: Netanjahu ist aktuell Beschuldigter in einem Korruptionsprozess. Die letzte Anhörung im Jänner musste nur deshalb verschoben werden, weil sein Land zu diesem Zeitpunkt wieder einmal im Lockdown war.
Kurz’ Verehrung für den israelischen Premier dürfte ernst gemeint sein. Dazu komme eine generelle Faszination für das Judentum, erzählen Bekannte des Kanzlers. Aber letztlich geht es in der Außenpolitik mehr um Interessen als um persönliche Schwingungen. Die Annäherung an Israel und seinen Premierminister hatte vor allem in der Zeit von Türkis-Blau den sehr pragmatischen Grund, Österreichs Regierung gegen internationale Kritik zu immunisieren.
Im November 2018, als Österreich den EU-Ratsvorsitz innehatte, lud Kurz etwa zu einer EU-Konferenz gegen Antisemitismus und Antizionismus in Wien. Wichtige Beschlüsse wurden dort nicht gefällt, aber die Symbolkraft war groß. Benjamin Netanjahu konnte an diesem Abend nicht vor Ort sein, war aber online zugeschaltet und hörte die Wortmeldungen des österreichischen Kollegen wohl gerne. In Europa habe sich „ein immer stärker konzertiertes Vorgehen gegen Israel“ herausgebildet, das „sicher nicht als ganz korrekt bezeichnet werden kann“, sagte Kurz etwa. Ein paar Monate später ließ Österreich Taten folgen und stimmte im UNO-Menschenrechtsrat gegen eine israelkritische Resolution. Im April 2019 war Kurz dann weltweit der erste Regierungschef, der Netanjahu zu seinem Wahlsieg gratulierte. „Obwohl die offiziellen Ergebnisse noch nicht veröffentlicht sind, ist eine Sache klar: Sie haben – wieder – mit Rekordzahlen das Vertrauen der Menschen von Israel gewonnen“, twitterte der Kanzler.
Auch für Kurz war das enge Verhältnis zu Netanjahu bisher kein Schaden. Dass er als Chef eines vergleichsweise unwichtigen kleinen Landes gleich zwei Mal eine Einladung zu Donald Trump ins Weiße Haus bekam, könnte dem Vernehmen nach auch mit den guten Kontakten nach Israel zu tun gehabt haben. Die zweite Reise nach Washington, geplant im März 2020, musste pandemiebedingt leider ausfallen.
Einen von Israel und Österreich gemeinsam produzierten Impfstoff gegen Corona wird es trotz der Innigkeit auf Chefebene wahrscheinlich nie geben. Aber vielleicht könnte sich Österreich von Israel wenigstens erklären lassen, wie man ein Gesundheitssystem so digitalisiert, dass man für simplen Informationsaustausch keine handgeschriebenen Zettel mehr braucht. Dafür würde sich sogar eine Dienstreise lohnen.