Zu Besuch beim Desinformations-Seminar im FPÖ-Bildungsinstitut
Die FPÖ dozierte in einem Seminar über die angeblichen „Mächte hinter den Kulissen der Politik“. profil war dabei und schnappte Verschwörungsmythen über Freimaurer, antisemitische Codes und Spekulationen über den Außenminister auf.
Als profil den mit knapp 50 Zuhörern gefüllten Veranstaltungsraum des Freiheitlichen Bildungsinstituts unweit des Wiener Rathauses betritt, spricht der Ex-FPÖ-Nationalratsabgeordnete und früheres Mitglied im Bundesrat Johannes Hübner bereits über das, was aus seiner Sicht „gesicherte Erkenntnisse“, „Arten von Desinformation“ und „Verschwörungstheorien“ sind. Dass ausgerechnet die Partei, die vielfach falscher oder irreführender Aussagen überführt wurde, über Desinformationen doziert, macht neugierig.
FPÖ-Urgestein fürchtet „Ausschaltung der Demokratie“
Hübner ist ein Urgestein der FPÖ, die er bereits Mitte der 1980er-Jahre auf Bezirksebene vertrat. Inzwischen ist Hübner Präsident der Freiheitlichen Akademie Wien (FAW) und Institut-Kassier bei der blauen Parteiakademie, dem Freiheitlichen Bildungsinstitut (FBI). Hübner, ein großer, schlanker Mann mit tiefer, sonorer Stimme, redet gewandt und unablässig.
In gewaltigen Wort- und Informationsschwallen arbeitet sich der Dozent durch seine Notizen. Niemand, der weitestgehend über 50 Jahre alten Anwesenden, mag oder kann widersprechen. Auch sie liefen Hübner zufolge wohl Gefahr, „ausgeschaltet“ zu werden, wie überhaupt alle Leute, die bestehende Narrative „infrage stellen“. Auch die Wissenschaft würde daran gehindert, „Dinge zu publizieren oder zu sagen“, was zu „einer weiteren Verstärkung der Gleichschaltung der Gesellschaft und damit nicht nur der Unterminierung, sondern der Ausschaltung der Demokratie“ führe.
Jemand, der nicht voll die LGTBQ-Agenda übernimmt, ist kein Kritiker an der Bevorzugung homosexueller Paare, sondern der ist homophob.
Johannes Hübner
Ex-FPÖ-Bundes- und Nationalrat
Hübner macht sich Sorgen um Demokratie und Meinungsfreiheit. Letztere würde beschnitten, wenn man Leuten wie ihm, pauschal Phobien vorwerfe. „Jemand, der nicht voll die LGTBQ-Agenda übernimmt oder sogar meint, es ist vielleicht nicht so gut, wenn zwei Schwule einen fünfjährigen Knaben adoptieren können“, sei nicht etwa ein „Kritiker an der Bevorzugung homosexueller Paare, sondern der ist homophob“. Ein Beispiel für die „Bevorzugung“ homosexueller Paare legt er zwar nicht vor, aber die Lacher hat Hübner auf seiner Seite.
Er spricht über die „Bilder von den Leichenbergen in Bergamo“ am Beginn der Coronapandemie 2020, die er nur lapidar als „Seuche“ bezeichnet: „Das ist ein Saal, in dem normalerweise zwischen 50 und 60 Särge stehen, und die warten zum Abtransportieren an ein Krematorium. Wenn man das jetzt fotografiert und in den gesamten Medien mit dem Kommentar versieht, ‚die Leichenberge überlasten das Begräbnissystem Italiens‘ – so was hat es nie gegeben –, erzeugt man bei der Bevölkerung ein Angst- und Schreckenssymptom.“
Die Corona-Toten, bloß eine Inszenierung? Tatsächlich starben 2020 in der Provinz Bergamo etwa 6000 Menschen mehr als in einem Durchschnittsjahr. Die Leichen stapelten sich, weil das örtliche Krematorium trotz Dauerbetriebs nur 25 Tote täglich verbrennen konnte.
Freimaurerei auf Zuruf
Im freiheitlichen Kuriositätenkarussell kommen aber auch andere Dinge zur Sprache. Als eine Zuhörerin das Stichwort „Freimaurer“ einwirft, folgt eine 20-minütige Abhandlung Hübners, die im 18. Jahrhundert beginnt, vor und während der Französischen Revolution an Fahrt aufnimmt und sich bis in die Gegenwart erstreckt. „Illuminaten“ versuchen dabei regelmäßig Dominanz gegenüber anderen Logen zu gewinnen, Namen wie Knigge und Berlusconi werden eingestreut, und der Freimaurerei wird eine mancherorts bis heute währende Vormacht attestiert. Passend, fragte doch die FPÖ erst im Dezember im Innen- und Justizministerium an, ob man Kenntnisse über Freimaurer in den Behörden hätte.
Lustig ist das alles nur bedingt, ein bitterer Beigeschmack drängt sich den Abend hindurch auf. Hübner paraphrasiert den ehemaligen britischen Premierminister und Autor Benjamin Disraeli, der 1844 schrieb, dass „nur diejenigen, die nicht hinter den Kulissen stehen, glauben, dass Entscheidungen auf der Bühne fallen“. Zwar kommt nur eine erdachte Romanfigur Disraelis zu diesem Schluss, doch ist für Hübner „den meisten schon klar, was hinter den Kulissen läuft. Wie es läuft, kann man erahnen.“ Schließlich kenne man die „Befehlsausgabestellen“. In einem reichen Fundus verfügbarer Zitate muss ausgerechnet der englische Premier mit jüdischen Wurzeln herhalten, der zu Lebzeiten antisemitischen Attacken ausgesetzt war.
Der Antisemitismus-Forscher Armin Lange verortet auf profil-Anfrage eine „geschickte“ Vermeidung Hübners, „das Judentum oder jüdische Personen zu nennen“. Doch „spiele“ er „mit der Doppeldeutigkeit seiner Aussagen“. Als Antisemiten würde der Professor für Antisemitismusforschung und antikes Judentum an der Universität Wien Hübner jedoch nicht bezeichnen, dafür müsste er ihn „einer breiteren Analyse unterziehen“. Bewerten lassen sich allerdings einzelne Aussagen.
Beim Erfinder der Public Relations und moderner Marketingkampagnen, Edward Bernays, kommt Hübner nicht ohne die Zusatzinformation aus, dieser entstammte einer „bekannten Rabbiner-Familie aus Hamburg“ und sei deshalb „tief in der Szene verankert“ gewesen. Lange hält diese „Schlüsselformulierung“ aufgrund ihrer Eindeutigkeit für „sehr problematisch“.
Professor für Antisemitismusforschung und antikes Judentum, Universität Wien
Damit, dass Johannes Hübner hinzufügt, dass Bernays zu einem der „reichsten Menschen der USA und zu einer der einflussreichsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts“ wurde, „beschwört“ er Lange zufolge „antisemitische Verschwörungsnarrative, die behaupten, jüdische Menschen würden ihren angeblichen oder echten Reichtum verwenden, um heimlich die Entscheidungen von Regierungen zu bestimmen. Sollte sich Hübner im Kontext des Zitats nicht von diesen Implikationen distanziert haben, liegt hier eine antisemitische Äußerung vor“, heißt es weiter. Wie dünn das Eis ist, auf dem er sich bewegt, scheint Hübner allerdings klar zu sein. Als er im Vortrag den „sehr, sehr komplexen“ Ablauf der russischen Oktoberrevolution 1917 streift, fällt es ihm „sehr, sehr schwer, darüber zu sprechen, weil man da in die Gefahr gerät, antisemitische Verschwörungstheorien zu bedienen. Deswegen werde ich auch dieses Kapitel hier sehr kurz halten.“ Experte Lange folgert, dass „das Zitat suggeriert, dass Hübners eigenes Verständnis der Ereignisse ‚antisemitischen Verschwörungstheorien‘ nahesteht, er aber bewusst eine öffentliche Wahrnehmung vermeiden möchte, die ihn als Unterstützer solcher Ideen bloßstellt.“
Dabei wird Hübner durchaus konkret. Für den Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg seien „einflussreiche, jüdische, damals bereits teilweise zionistische Kreise“ verantwortlich, die allerdings die vorherige Absetzung des russischen Zaren zur Bedingung machten. Für Forscher Lange stellt „diese Behauptung allein ein antisemitisches Verschwörungsnarrativ“ dar. Doch weicht Hübner von dem der „Nazis, die finanzielle Vorteile für das angebliche Finanzjudentum erlogen“, ab. Hübners These, dass die Zarenfamilie abgesetzt wurde, weil „damals nur in Russland“ Juden diskriminiert wurden, ist Lange zufolge schlicht falsch. Im „frühen 20. Jahrhundert“ habe es „Diskriminierungen jüdischer Menschen in vielen Ländern der Welt gegeben, inklusive den USA“, so der Wissenschafter.
Rundumschlag
Damit ist es allerdings nicht getan. Johannes Hübner greift tief in die Requisitenkiste aller erdenklichen Verschwörungserzählungen, mischt legitime Zweifel mit fragwürdigen Erklärungen. Das Kennedy-Attentat, „da gibt es Zweifel an der Ein-Täter-Theorie“. Gendern: Ergebnis von Gehirnwäsche. Die aktuelle Klimapolitik: nur eine verirrte „Sehnsucht nach unbeschwerter Natur, natürlichem Essen“ in einer „industrialisiert-technischen“ und „digitalisierten Zeit“. Sagt der Mann, der im Herbst 2023 für Schlagzeilen sorgte, als er als Teil einer Gruppe um den ehemaligen FPÖ-EU-Parlamentarier Andreas Mölzer, angeblich ohne Wissen der eigenen Partei, wohl aber des Außenministeriums, nach Afghanistan reiste.
Dort traf man sich mit Taliban-Vertretern und überzeugte sich offiziell von der Sicherheit des Landes, in das die FPÖ perspektivisch wieder abschieben möchte. Inoffiziell soll es jedoch um die Freilassung des dort inhaftierten Rechtsextremisten Herbert F. gegangen sein. Der 84-Jährige sitzt unter Spionageverdacht im Gefängnis, nachdem er im Rahmen einer „Buchrecherche“ festgenommen worden war. Der vom rechten Blog „Info Direkt“ „Völkerfreund“ genannte F., für den am Tag des Vortrags eine Mahnwache abgehalten wurde, ist später auch Thema eines Flurgesprächs. Hübner mutmaßt, dass Außenminister Alexander Schallenberg auf Zeit spielt, bis sich der Fall durch ein Ableben des Häftlings von selbst erledigt.
Opfer der Cancel Culture
Leicht besser ergeht es da schon dem ehemaligen Universitätsprofessor Lothar Höbelt, der „40 Jahre lang unbehelligt vortragen“ konnte, dann aber Opfer der Cancel Culture geworden sei und in Pension geschickt wurde: „Unter dem stillschweigenden Beifall von ‚Falter‘, ‚Profil‘, ‚Standard‘ und Co, die da Verständnis gezeigt haben für die demokratische Meinungsäußerung der ,engagierten‘ Studenten“, wurden „seine Hörsäle beharrlich besetzt“, echauffiert sich Hübner. Dass Lothar Höbelt in seiner Lehrzeit im „Scherz“ die NS-Größe Hermann Göring zitierte und als Historiker „Erinnerungskultur für prinzipiell schlecht“ erachtet, sagt Hübner zwar nicht, aber es würde mit ziemlicher Sicherheit auch niemanden stören.
Doch gibt sich Hübner mitunter überraschend versöhnlich. Als ehemaliger Abgeordneter muss er im Parlament und in Ausschüssen zu Erkenntnissen gelangt sein, die ihn zumindest nicht glauben lassen, „dass wir in Europa oder auch in den USA von einer Herrschaft des tiefen Staates sprechen können“. Das oft zähe, teils absurde Ringen um Kompromisse in der Politik ist möglicherweise das beste Gegenmittel gegen den Glauben, fremde Mächte steuerten die Geschicke der Welt.
Nach dem Vortrag konfrontierte profil Hübner per Mail mit seinen Aussagen. In einem Telefonat erklärte er, dass er vor dem Redaktionsschluss nicht zu allen Punkten Stellung nehmen könne. Nur so viel: Den Antisemitismusvorwurf weist er dezidiert zurück.
In den FPÖ-Bildungsstätten geht es derweil weiter. Wegen des großen Erfolgs findet das Seminar am 6. März noch einmal statt. Um Voranmeldung wird gebeten.
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Moritz Gross
hat im Rahmen des 360° JournalistInnen Traineeship für das Online-Ressort geschrieben.