KOALITION: PRESSESTATEMENT VON FPÖ UND ÖVP: STOCKER (ÖVP) / KICKL (FPÖ)
Regierungsverhandlungen
Zwei Tage Funkstille: Kickl, Stocker und das fehlende Vertrauen
Zwei Tage lang haben Herbert Kickl und Christian Stocker nicht miteinander gesprochen, der erste persönliche Termin heute dauerte nur 40 Minuten. Das fehlende Vertrauen könnte sich in einer Regierung rächen.
48 Stunden lang wussten selbst die Verantwortlichen nicht mehr: Geht das noch weiter? Zwischen dem frühen Dienstagabend, als die Koalitionsverhandlungen unterbrochen wurden und dem späten Donnerstagnachmittag konnten weder FPÖ noch ÖVP sagen, ob die Gespräche fortgesetzt werden. Die Volkspartei wartete auf eine Reaktion auf ein Angebot, das die Freiheitlichen nie bekommen haben wollten. Statt direkter Gesprächen wurde via Medien und Bundespräsidenten Stille Post gespielt.
Zwei Tage lang wartete die Republik darauf, dass die Parteichefs Herbert Kickl und Christian Stocker wieder miteinander sprachen. Zum Glück, möchte man meinen, fiel die Funkstille der höchsten politischen Ebene nur in eine Zeit der allgemeinen Krise, nicht inmitten eines akuten Notfalls.
Nach einem gemeinsamen Anruf war man sich einig: Ja, es geht noch weiter. Bis auf Widerruf.
KOALITION: TREFFEN MIT BUNDESPRÄSIDENT VAN DER BELLEN UND FPÖ-CHEF KICKL
Am heutigen Freitag gab es erstmals seit dem Eklat am Dienstag wieder ein persönliches Treffen zwischen den Parteispitzen. Mag sein, dass beide Parteien doch noch eine Koalition bilden – auch, wenn das heutige Treffen bereits nach 40 Minuten wieder für eine „Mittagspause“ unterbrochen und kurz darauf beendet wurde. Am Nachmittag gab die ÖVP in einem knappen Statement bekannt: „Die Verhandlungen über eine ausgewogene Verteilung der Ressorts werden fortgesetzt, das nächste Gespräch findet Anfang kommender Woche statt.“ Klingt so, als würden die beiden am Wochenende nicht mehr zusammenkommen – oder es womöglich die Öffentlichkeit nicht wissen lassen wollen. Lassen sich die beiden Parteien etwa wieder 48 Stunden lang Zeit?
Bundespräsident Alexander Van der Bellen hält sich trotzdem für den Fall der Fälle bereit und hat seinen Besuch bei der Ski-WM am Wochenende zumindest abgesagt. Die Frage, ob er zuversichtlich zum Zustandekommen einer Koalition sei, beantwortete Van der Bellen mit einem "mh".
Offensichtlich ist: Zwischen Herbert Kickl und Christian Stocker kommunikative Löcher auf. Abseits offizieller Termine scheint der FPÖ-Chef sein ÖVP-Gegenüber gar zu meiden. Kickl ist ein misstrauischer Einzelgänger, als Kanzler einer blau-schwarzen Koalition müsste er zum Teamspieler werden – und das auch der Öffentlichkeit beweisen. Stattdessen treffen sich die höchsten Verhandler auch heute wieder im Geheimen. Weder Zeit noch Ort des Treffens wurden im Vorhinein kommuniziert.
Gemeinsame Auftritte sind kein Garant für eine gemeinsame Regierung, das haben ÖVP, SPÖ und Neos eindrucksvoll bewiesen. Aber wer sich in Einigkeit der Öffentlichkeit präsentiert, signalisiert immerhin, eine einheitliche Botschaft zu haben. Dreimal traten die Verhandler für eine Dreierkoalition als Gruppe vor die Kameras, ehe sie das Ende der Gespräche einzeln kommunizierten. Bei den Koalitionsverhandlungen im Jahr 2017 luden Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache regelmäßig im Duett in das Palais Epstein, um erste Annäherungen zu verkünden.
Stocker und Kickl hatten hingegen nur einen gemeinsamen Auftritt zu Beginn ihrer Verhandlungen, danach konnten oder wollten sie es lange nicht mehr wiederholen. Man hätte es als Stillschweigen zweier vertrauter Verhandler interpretieren können, würden nicht genügend Gegenbeweise vorliegen: Herbert Kickl schlug in einem Facebook-Posting seine Pflöcke ein, Christian Stocker ließ die Öffentlichkeit via Aussendung wissen, wie überrascht er davon war. Man bemüht sich nicht einmal darum zu vermitteln, dass hier zwei Partner an einer kollegialen Zusammenarbeit interessiert seien. Dabei handelt es sich noch um den einfacheren Part einer Zusammenarbeit. Der schwierigere wäre die tatsächliche Regierungsarbeit.
Wenn politisch Andersdenkende auf ,Fahndungslisten' gesetzt werden sollen, sind wir am Weg in die Diktatur.
Christian Stocker
über die Wortwahl von Herbert Kickl
Offensichtlich konnten die beiden ihre tiefe, gegenseitige Skepsis nicht abbauen. Wie auch? Lange war sie Teil des politischen Selbstverständnisses beider Parteien. Noch vor einem Jahr hatte Herbert Kickl eine „lange Fahndungsliste der Verantwortungsflüchtigen“ ausgegeben, auf die er prominente ÖVP-Namen setzte. Stocker war es, der als Generalsekretär wieder einmal zur Verteidigung ausrücken musste: „Wenn politisch Andersdenkende auf ,Fahndungslisten' gesetzt werden sollen, sind wir am Weg in die Diktatur. Kickl entlarvt sich nicht nur als Sicherheitsrisiko für unser Land, sondern auch als Antidemokrat“. Im Parlament rief Stocker dem FPÖ-Chef im November noch zu: „Es will Sie niemand in diesem Haus. Auch in dieser Republik braucht Sie keiner.“
Nun braucht die Volkspartei Herbert Kickl allerdings doch. Und dafür hat er bereits sein Wort gebrochen. Er hat nichts zu verlieren. Der 64-Jährige bewegt sich ohnehin auf das Ende seiner politischen Laufbahn zu, ein blau-schwarzes Scheitern unter seiner Führung würde daher keine Zukunftshoffnung zerplatzen lassen. Und Stocker ist Anwalt. So laut er nach außen hin poltert, so strategisch geht er dabei vor. Misslingt ein Vorhaben, wendet er eine neue Taktik an, um das Ziel seines Mandanten zu erreichen. Der Eindruck, den Stocker dadurch beim Gegenüber hinterlässt, ist nebensächlich. Das bewies der Niederösterreicher schon 2022, als er zum Beginn des ÖVP-Untersuchungsausschusses die Befragung des damaligen ÖVP-Chefs Karl Nehammer durch ständige Geschäftsordnungsdebatten torpedierte.
Eigentlich müsste dort, wo ÖVP und FPÖ schon zueinander gefunden haben, die Zuversicht am größten sein. Aber selbst in manchen Bundesländern, in denen Blau und Schwarz koalieren, fragen sich ÖVP-Funktionäre: Kann das im Bund gut gehen? Die Skepsis beruht auf zwei Gründen, der wichtigste heißt weiterhin Herbert Kickl. Dass sich die Bundes-FPÖ unter seiner Obmannschaft von den Landesparteien unterscheidet, war für viele ÖVP-Landesfunktionäre keine hohle Wahlkampfphrase, sondern Überzeugung. Die Ablehnung der Person Kickl und von allem, was sie verkörpert, ist authentisch.
Und jetzt soll die ÖVP nicht nur mit Kickl, sondern auch noch unter seiner Führung regieren?
Zweiter Grund für die Skepsis ist das Machtgefälle, das zwischen den Parteien herrscht. Das neue Selbstbewusstsein der Freiheitlichen trifft auf die tiefe Verunsicherung und Orientierungslosigkeit der ÖVP. Die Verhandlungsposition entspricht gar nicht dem Ergebnis der Nationalratswahl, beobachten besorgte Parteimitglieder in den Ländern. Erinnerung aus der ÖVP: Die Freiheitlichen lagen mit nur zweieinhalb Prozentpunkten Vorsprung auf Platz eins. Doch beide Seiten agieren so, als wären die Kräfteverhältnisse nach aktuellen Umfragewerten verteilt: Mit einer noch stärkeren FPÖ und einer noch schwächeren ÖVP.
Wenn es kein Verhandeln auf Augenhöhe gibt, so die Sorge innerhalb der ÖVP, könne es auch kein gleichberechtigtes Regieren geben.
Dabei wären Verhandlungen nicht nur dazu da, um sich inhaltlich näher zu kommen, sondern auch menschlich. Selbst das detaillierteste Regierungsprogramm kann nicht jede politische Frage festschreiben, das hat Türkis-Grün gezeigt. Die größten Krisen der Amtszeit von ÖVP und Grünen waren für beide Parteien unvorhersehbar, die Folgen der Pandemie und des russischen Angriffskrieges konnten auch deswegen ohne großen Zerrüttungen gemeistert werden, weil es lange Zeit ein persönliches und fachliches Grundvertrauen zwischen den wichtigsten Playern der Koalition gab.
Auch in den Ländern überwanden ÖVP und FPÖ in Regierungsverhandlungen die persönlichen Gräben, wie ein Beteiligter berichtet. „Es geht auch gar nicht anders, wenn man Stunden um Stunden miteinander verbringt.“ Spätestens bei der ersten Regierungsklausur muss die neue Einigkeit vorgeführt werden: Der steirische Landeshauptmann Mario Kunasek, FPÖ, und seine Vize Manuela Khom, ÖVP, traten vergangenes Wochenende im Gleichschritt auf und nahmen sich vor, beim gemütlichen Teil die Vertrauensbasis beider Parteien „zu vertiefen“.
In Niederösterreich wählte die FPÖ von Udo Landbauer die oberste Koalitionspartnerin Johanna Mikl-Leitner nicht einmal zur Landeshauptfrau, mittlerweile haben sich die beiden Parteien auf eine klare Rollenverteilung geeinigt. Wenn sie klare Kante zeigen wollen, auch gegenüber dem Koalitionspartner, sind die Landesparteizentralen gefragt. Landbauer wirkt nach außen hin wie ein Scharfmacher, ist im persönlichen Umgang aber zurückhaltend. Als Schatten-Landesparteichef der Freiheitlichen gilt ohnehin Reinhard Teufel, der offiziell den Landtagsklub leitet. Gemeinsam mit ÖVP-Klubchef Jochen Danninger ist er für die inhaltliche Abstimmung verantwortlich.
Wer sollen der Jochen Danninger und Reinhard Teufel im Bund werden, der August Wöginger und die Sigrid Maurer von Blau-Schwarz? Norbert Hofer wäre eine Option gewesen, doch der Freiheitliche hat sich Richtung Burgenland verabschieden müssen. Reinhard Teufel spielt zwar auch auf Bundesebene eine große Rolle, allerdings als rechte Hand von Herbert Kickl – in der Lichtenfelsgasse genießt er kein Vertrauen.
Eine Ebene hätten Christian Stocker und FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz gehabt, wäre Stocker nicht aufgestiegen. In Wiener Neustadt saßen beide als Vizebürgermeister ind er Stadtregierung. Als Vizekanzler wäre Stockers Gegenüber aber Kickl. Fehlt das Vertrauen, ist die Zusammenarbeit wohl von kurzer Dauer.
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Iris Bonavida
ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.
ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.