Erneuerbare Energie

Zwischen Protest und Propaganda: Windkraft-Gegner-Treffen in Tulln

In Neuaigen trafen sich am Sonntag Bürgerinitiativen, um gegen Windkraft zu mobilisieren. Die Anwesenden, darunter auch Politiker von FPÖ und MFG, nutzten die Veranstaltung, um ihre teils radikalen Ansichten zu verbreiten – inklusive Falschnachrichten und Verschwörungstheorien.

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Sieben Meter hoch ist das „Mahnmal“ gegen Windenergie in Neuaigen bei Tulln. „Nehmen Sie die Gesamthöhe dieses symbolischen Windrades (7 m) mal 41 dann erhalten Sie die Gesamthöhe der neuesten Windrad Generation (285 m)” steht auf dem Stamm der Holzkonstruktion. Daran fixiert demonstriert ein 150 Meter langes rot-weiß-rotes Band die „Dimension EINES (!!!) Rotorblattes”. 

Es ist nicht das einzige Modell, mit dem österreichische Bürgerinitiativen an diesem Sonntag unweit von Tulln ihre Meinung gegen Windkraft-Projekte kundtun. Aber nicht nur lokale Projektgegner berichten auf der Veranstaltung von ihren angeblichen Mühen gegen „korrupte Gemeinderäte” und „Bestechungsgelder der Betreiber”. Auch der niederösterreichische Landtagsabgeordnete Dieter Dorner (FPÖ) und Vertreter der MFG nutzen die Veranstaltung für Wortmeldungen. Komplettiert wird das Stelldichein von einem, der im Zuge der Coronapandemie zigtausende Menschen für Demonstrationen in Wien mobilisiert hat und die Nähe zu Rechtsextremen nicht scheut: Martin Rutter.

Kurz nach 14 Uhr in Neuaigen: Auf der Bienenwiese von Bernhard Mayerhofer haben Anti-Windkraft-Initiativen aus ganz Österreich ihre Stände aufgebaut. Info-Flyer liegen auf, die lokalen Projektgegner geben Auskunft über bestehende, verhinderte oder abgesagte Windkraftprojekte. Hausherr Mayerhofer tritt in den Rede-Pavillon, begrüßt die Anwesenden und informiert über Speisen und Getränke aus eigener Produktion. Auf einmal Kuhglocken. Vom Parkplatz ziehen sieben Männer mit weißen T-Shirts und Holzgestell, an denen die Glocken montiert sind, in Richtung Rede-Pavillon und auf die mit Sonnenschirm überdachten Bierbänke zu. „Freiheitstrychler“ steht auf den Leibchen.

„Wir Freiheitstrychler gehen und stehen ausschließlich für den Weltfrieden, für unsere Freiheit, für unsere Selbstbestimmung, für die Wahrheit und nicht für Meinungen, und für eine heile und gesunde Welt“, sagt der für die Freiheitstrychler in Österreich verantwortliche Gerhard Huber wenig später, als sich die Männer mit ihren Glocken rund um den Rede-Pavillon versammelt haben. „Dieser Fokus schützt uns Freiheitstrychler, damit wir nie in ein Eck gedrängt werden können, auch in kein politisches Eck“, sagt Huber. 

Wer genau schaut, dem fallen dann aber doch zwei extra aus einem Nachbarbundesland angereiste Politiker, ebenfalls ausgestattet mit Kuhglocken, auf, die ideologisch klar zu verorten sind: Joachim Aigner (Landesparteiobmann der MFG in Oberösterreich) und Manuel Krautgartner (Klubobmann der MFG im OÖ-Landtag).

Menschen, Freiheit(strychler), Grundrechte - MFG?

Die „Freiheitstrychler“ setzen sich für den Weltfrieden, Freiheit und Selbstbestimmung ein. In ein politisches Eck möchte man sich aber nicht gedrängt sehen. Dennoch marschieren Joachim Aigner (im Bild) und Manuel Krautgartner (beide MFG-Landtagsbgeordnete in Oberösterreich) mit. Auf Nachfrage schreibt die MFG, dass Aigner und Krautgartner keine Mitglieder sind, das Angebot, als Außenstehende am Aufmarsch der Freiheitstrychler mitzugehen, habe man jedoch gerne angenommen.

Bei der Landtagswahl in Oberösterreich Ende September 2021 erreichte die Covid-Maßnahmen-kritische MFG (Menschen – Freiheit – Grundrechte) aus dem Stand 6,2 Prozent der Stimmen und sitzt seither mit drei Abgeordneten im oberösterreichischen Landtag. Seither setzt sie sich dort vor allem für von Impfschäden betroffenen Personen, gegen „links-woken sexualpädagogische Ideologien“, aber auch gegen kriegswirtschaftliche Entwicklungen in der EU ein. Und: gegen den Ausbau der Windkraft. Damit sind sie an diesem Sonntagnachmittag nicht allein.

„Wir wollen nicht, dass unser Land von den hässlichen weißen Monstern zur Fratze gemacht wird“, erklärt Angelika Starkl, die Pressesprecherin des Bürgerinitiativen-Zusammenschlusses, das gemeinsame Interesse. Vom erstmaligen Zusammenkommen der diversen Projektgegner erhofft sich Starkl mehr Druck auf Entscheidungsträger, um bereits geplante Windkraftprojekte zu verhindern. In den kommenden Stunden überlässt Starkl den Rede-Pavillon Personen, die über ihre Anliegen sprechen wollen.

An das Rednerpult treten im Laufe des Nachmittags Mitinitiatoren des Treffens, Bürger (es sind fast ausschließlich Männer), die sich von Windrädern gestört fühlen, und Politiker. Dass der als Energietechniker vorgestellte Martin Steiner als Nationalratskandidat für die MFG antritt, erfahren die Zuhörerinnen und Zuhörer nicht. Ebenso versteckt fallen die Hinweise auf die eigenen politischen Errungenschaften der auftretenden Politiker aus. Und das, obwohl Hausherr Mayerhofer eingangs noch mahnt: „Ich will hier keinen Wahlkampf führen, wenn einer mit einer politischen Rede beginnt, dann verweise ich ihn meines Grundstücks.“ Passieren wird das im Laufe des Nachmittags aber nicht.

Alles gegen den Windkraft-Ausbau

„Wir wollen nicht, dass unser Land von den hässlichen weißen Monstern zur Fratze gemacht wird“, sagt Angelika Starkl (im Bild), Pressesprecherin des Bürgerinitiativen Zusammenschlusses. Ihr Ziel: Den Ausbau der Windkraft in Österreich zu stoppen.

Raumordnung, Volksbefragungen und Co.

In den folgenden zwei Stunden geht es um Fragen wie Raumordnung, politische Teilhabe (Stichwort: Volksbefragung) oder auch Entschädigungszahlungen, die Windkraftbetreiber an Gemeinden leisten. Nicht nur einmal werden diese Gelder pauschal mit Korruption verglichen. Von 500 Euro-Scheinen, mit denen Grundbesitzern von Windparkbetreibern „erpresst“ werden, ist die Rede. Über die Erzählung und das Hörensagen gehen diese Aussagen aber nicht hinaus, Belege dafür fehlen.

Dass es zu solchen Erzählungen kommt, liegt auch daran, dass es keinen österreichweit einheitlichen Richtsatz dafür gibt. Im Burgenland existiert etwa eine gesetzliche Regelung für Zahlungen an die Gemeinde und das Land. Diese sieht für Photovoltaikanlagen maximal eine jährliche Abgabe in Höhe von 1400 Euro pro Hektar beanspruchter Fläche vor und für Windkraftanlagen eine jährliche Abgabe in der Maximalhöhe von 3.000 Euro pro Megawatt. „In Deutschland gibt es ähnliche Regelungen. Es wäre zu begrüßen, wenn es auch für Österreich einen einheitlichen Richtsatz gäbe“, heißt es vom Verbund, der derzeit 315 Windkraftanlagen in Österreich, Deutschland, Rumänien und Spanien betreibt.

Von Falschaussagen bis zu Verschwörungs-Erzählungen

Nicht alle Redebeiträge sind an diesem Sonntagnachmittag faktentreu. So behauptet ein Redner, dass Windräder mit Dieselmotoren betrieben werden, wenn der Wind zu schwach ist. Aussagen wie: „Die Windräder in der Nordsee wurden zwei Jahre lang mit Dieselmotoren betrieben, weil man versäumt hatte, Leitungen zu legen, die den Strom abtransportieren können“, bleiben ohne Einordnung. Richtig ist, dass sich der Anschluss ans Stromnetz aufgrund von Munitionsaltlasten aus dem Zweiten Weltkrieg auf dem Meeresboden verzögerte. Zwischen der Fertigstellung der 30 Windräder im August 2013 und der Inbetriebnahme des Windparks im Februar 2014 wurden die Windräder aus Schutz vor Korrosion und Überhitzung sporadisch mithilfe von Dieselgeneratoren angetrieben.

Im ähnlichen Tenor geht es weiter, als der Energietechniker Martin Steiner ans Rednerpult tritt: „Die Naturwissenschaft hat den physikalischen Prozess des Klimas nicht verstanden. Es ist Anmaßung von Wissen, wenn die Politiker glauben zu wissen, wie das Klima funktioniert”, sagt Steiner. Klimaschutz sei laut dem MFG-Politiker ein Geschäftsmodell, das zulasten des Großteils der Bevölkerung gehe. Es würden nur die Grundbesitzer profitieren, die „einen geilen Pachtvertrag“ bekommen und die Betreiber, die „einen ökosozialistischen Einspeisetarif kriegen, völlig egal, ob dieser verschissene Strom jetzt gerade benötigt wird oder nicht“, so Steiner. Profitieren würde auch die Gemeinde, „die aus meiner Sicht unter höchstem Korruptionsverdacht steht, wenn sie die Errichtung von Windkraftanlagen genehmigt“, poltert der MFG-Politiker.

Es folgen Aussagen wie etwa, dass die Klimakatastrophe „nur in den Mainstream-Medien und in der Politik stattfindet“, nicht aber in der Realität. Wenig später referiert eine Musiktherapeutin über Chemtrails, bis kurz darauf der FPÖ-Mann Dieter Dorner ans Rednerpult schreitet. „Windräder vernichten unsere Landschaft und unsere Heimat, ich möchte nicht weiter darauf eingehen, was meine Vorredner schon gesagt haben, sie haben mit fast allem, was sie gesagt haben, zu 100 Prozent recht“, sagt der FPÖ-Klubsprecher für Verkehr, Kommunales und Rechnungshofangelegenheiten im niederösterreichischen Landtag. Dorner und wenig später auch der MFG-Klubobmann im oberösterreichischen Landtag, Manuel Krautgartner, wünschen sich in ihren Reden mehr Engagement der Bürgerinnen und Bürger in ihren Heimatorten. Wenn der Druck dort stark genug sei, könne man Windräder verhindern.

Rechtsextreme am Windkraft-Gegner-Treffen in Neuaigen?

An diesem Nachmittag wird auch mehrfach ein Artikel der „NÖN“ angesprochen, in dem erwähnt wird, dass einige rechte Telegram-Gruppen zur Teilnahme am Treffen in Neuaigen aufgerufen haben. Organisatorin Angelika Starkl erklärte in Folge der Berichterstattung, dass man keinen Einfluss darauf habe, in welchen Gruppen ein entsprechender Infoflyer geteilt wird. Von Rechtsextremen distanziere man sich und werde diesen auch keine Bühne bieten, hieß es vor dem Treffen. 

Das Rednerpult wurde Rechtsextremen tatsächlich nicht zur Verfügung gestellt. Aber ganz distanzieren wollte sich Starkl dann doch nicht. Martin Rutter, der im Zuge der Coronapandemie zu Demonstrationen in Wien aufrief und 2017 eine Rede beim Ulrichsbergtreffen hielt, ist ab 16 Uhr ein gern gesehener Gast auf der Bienenwiese. Warum? „Als echter Demokrat unterstütze ich den Mehrheitswillen der Menschen vor Ort gegen die Mega-Windkraftwerke und die Diktatur von Politik und Kapital“, sagt Rutter zu profil.

Ulrichsbergtreffen

Die Ulrichsberggemeinschaft ist ein österreichischer Verein, der nach Ende des Zweiten Weltkriegs gegründet wurde und sich nach dem Ulrichsberg in Kärnten benennt. Jährlich nehmen dort rechtsextrem und neonazistisch Gesinnte sowie Veteranen der Waffen-SS teil. Die Veranstaltung wird vom Verfassungsschutz beobachtet.

Warum Angelika Starkl den Kontakt zu Personen, die bei Rechtsextremen-Veranstaltungen auftreten, nicht scheut, und ob alle anwesenden Bürgerinitiativen glücklich darüber sind, dass ihr Anliegen öffentlich mit Rutter verbunden wird, ließ die Pressesprecherin des Bürgerinitiativen-Zusammenschlusses unbeantwortet. Anders als die MFG: „Nur weil man sich mit jemandem unterhält, bedeutet das nämlich nicht, dass man dessen Ansichten teilt oder gutheißt“, sagt MFG-Klubobmann Krautgartner zu profil.

In Tulln ist man jedenfalls nicht begeistert vom Treffen am vergangenen Sonntag. „Politische Extreme, egal, ob von links oder rechts sind in Tulln nicht willkommen“, sagt der Tullner Bürgermeister Peter Eisenschenk (ÖVP). Und auch die Windkraft ist laut dem ehemaligen Nationalratsabgeordneten kein Thema mehr: „Es gab im Vorjahr Pläne, am Gebiet der Stadtgemeinde drei Windräder aufzustellen und wesentlich mehr noch in den Nachbargemeinden. Das wurde diskutiert, aber mit der Entscheidung des Landes, dass eine Zonierung dort nicht möglich ist, ist das Thema vom Tisch“, sagt Bürgermeister Eisenschenk.

Auf der Bienenwiese sieht man das am Sonntag anders. Die Behauptung, dass es zu „Rezonierungen“ komme, wird unter den Sonnenschirmen mehrfach ventiliert. Gegen 18 Uhr lichten sich die Reihen. Die letzten Gäste folgen den Trommlern zum symbolischen Windrad. Entgegen ersten Ideen wird dieses dann doch nicht verbrannt oder zersägt. 

Julian Kern

Julian Kern

ist seit März 2024 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. War zuvor im Wirtschaftsressort der „Wiener Zeitung“.