Zwischenbilanz zum Burkaverbot - „Wir vermelden: Keine Verstöße“
Wer Walter Strallhofer zehn Minuten zuhört, merkt schnell: Hier handelt es sich um einen Mann, für den sein Job viel mehr ist als eine Aneinanderreihung von Arbeitstagen. Für ihn ist sein Beruf eine ernsthafte und ehrenvolle Aufgabe. Vermutlich ärgert er sich auch deswegen so.
Seit zehn Jahren ist der gebürtige Steirer Strallhofer Polizist im 12. Wiener Gemeindebezirk. Das ist an sich schon keine einfache Arbeit, doch nun muss Strallhofer auch noch ein Gesetz exekutieren, das sich im Grunde kaum exekutieren lässt. „Es ist nichts als Populismus – das Ergebnis einer klassischen Anlassgesetzgebung.“ Der Polizeibeamte meint damit das Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz, die österreichische Umschreibung des sogenannten Burkaverbotes, das im Vorjahr von der rot-schwarzen Bundesregierung beschlossen wurde. Obwohl das Verbot eigentlich auf das Tragen von Burkas und Niqabs (Gesichtsschleiern) abzielt, musste die Verordnung aus verfassungsrechtlichen Gründen auf alle Arten der Gesichtsverhüllung ausgeweitet werden, mit einer Vielzahl von Ausnahmen: Verboten sind etwa auch Schals im Gesicht (außer bei frostiger Kälte), Mundschutzmasken (außer bei Smogalarm) oder Weihnachtsmannkostüme (außer zu Weihnachten). Österreich schaffte es damit in die „Washington Post“ und auf den Twitter-Account des deutschen Satirikers Jan Böhmermann – was erfahrungsgemäß selten Gutes verheißt.
Der politische Wettlauf um populistische Maßnahmen bescherte Österreich ein Burkaverbot, das in den ersten zwei Wochen nach Inkrafttreten allein in Wien 30 Amtshandlungen nach sich zog – hauptsächlich gegen demonstrierende Clowns, Schalträger und Menschen in Tierkostümen. Am Nationalfeiertag wurde selbst das Maskottchen der Demokratiewerkstatt des Parlaments direkt vor dem Hohen Haus beamtshandelt. Anzeigen gegen muslimische Frauen mit Gesichtsschleier gab es bis dahin vier.
An Vorarlberg scheint das Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz überhaupt weitgehend vorbeigegangen zu sein.
Diese Häufung von Absurditäten führte schließlich zu einer parlamentarischen Anfrage an den Innenminister. Die Nationalratsabgeordnete Stephanie Krisper (NEOS) wollte wissen, wie viele Verstöße gegen das Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz seit Inkrafttreten registriert wurden und wie viele davon das Tragen eines religiösen Gesichtsschleiers betrafen. Herbert Kickls Antwort fiel knapp aus: Bis Ende Dezember habe es lediglich „zwei Festnahmen“ gegeben. „Weiterführende Statistiken“ lege das Innenministerium nicht an, weil die „retrospektive manuelle Auswertung der Daten einen unvertretbar hohen Verwaltungsaufwand“ verursachen würde. Von einer Beantwortung werde deshalb „Abstand genommen“.
profil hat nun selbst eine „retrospektive manuelle Auswertung der Daten“ vorgenommen und in Polizeidirektionen, Bezirkshauptmannschaften und Strafämtern nachgefragt. Abmahnungen werden zwar außerhalb Wiens nicht statistisch erhoben, doch es gibt Auskunft über Anzeigen und Festnahmen. An Vorarlberg scheint das Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz überhaupt weitgehend vorbeigegangen zu sein. „Da haben wir gar nichts vernommen“, berichtet ein Beamter der Landespolizeidirektion (LPD). Wobei: „Eine Kollegin hat, glaube ich, in der Nähe vom Bregenzer Bahnhof einmal jemanden abgemahnt.“ Nach einem Tag interner Recherche ist es dann offiziell: „Wir können vermelden: Keine Verstöße.“
So wie im Westen sieht es auch im Osten aus: keine Anzeigen oder Festnahmen im Burgenland, detto in Kärnten und Oberösterreich. Selbst in Salzburg mit Orten wie Zell am See, die als Urlaubsmagneten für arabische Touristen gelten, gab es bis Ende März lediglich eine einzige Anzeige. „Dabei handelte es sich aber um keine Frau mit Gesichtsschleier, sondern um einen Mann mit Sporthaube“, betonte die Polizeisprecherin. Das Verwaltungsstrafverfahren wurde inzwischen eingestellt.
Es ging vor allem um winterliche Kleidung. (Tiroler Polizei)
Auch in der Steiermark vermeldete nur der Leibnitzer Bezirkshauptmann einen Verdacht auf Verstoß: „Das Tragen eines Gesichtsschleiers war jedoch nicht Gegenstand dieses Verfahrens.“ Mehr Details nannte er nicht. In Tirol wurden insgesamt sechs Innsbrucker angezeigt, aber auch hier in keinem Fall wegen „Burka oder Ähnlichem“. Über die Art der Vermummung gab die Tiroler Polizei nur so viel preis: „Es ging vor allem um winterliche Kleidung.“
Kitzbühel hatte da schon größere Sorgen. Es gab zwar keine Anzeigen, anfangs aber einige Unklarheiten, „im Speziellen in Bezug auf das Hahnenkamm-Rennen“, berichtet der Strafamtsleiter der Bezirkshauptmannschaft. Das wichtigste Sportereignis der Nation und eine Schlagzeile zum Burkaverbot? Das kann hier natürlich niemand brauchen. Glücklicherweise konnte vor den Skirennen alles geklärt werden. „Gesichtsbemalungen sind erlaubt, weil es kein Stoff ist, Maskottchen sind erlaubt, weil das unter Berufsausübung fällt, Trachtenkapellen sind erlaubt, weil das zum Brauchtum zählt“, erklärt der Beamte mit einem gewissen Stolz in der Stimme.
Niederösterreich verbuchte insgesamt sechs Anzeigen, vier davon in St. Pölten – jedoch immer gegen dieselbe Frau, weil sie sich vier Mal geweigert hatte, ihre Burka abzunehmen. Die Polizeibeamten in Niederösterreich werteten dies als „Provokation“. Am Flughafen Schwechat wurden außerdem „Asiaten“ angehalten, ihre Mundschutzmasken abzunehmen, und in Neunkirchen kam es zu einem Verwaltungsstrafverfahren, bei dem es wieder um keine Burka ging. Im Bezirk Tulln wurde ein Mann angezeigt, weil er in der Öffentlichkeit mit „einer Maske“ auftrat.
Spitzenreiter ist mit Abstand Wien: Die Landespolizeidirektion vermeldet für den Oktober des Vorjahres 81 Abmahnungen und zwölf Anzeigen, für November 23 Abmahnungen und zwei Anzeigen und für den Dezember nur noch sechs Abmahnungen und eine Anzeige. Ein großer Teil der Fälle sei auf Anrufe aus der Bevölkerung zurückzuführen, berichtet Polizeisprecher Patrick Maierhofer: „Seit Anfang des Jahres gab es aber de facto keine Amtshandlungen mehr, darum haben wir auch die Statistik eingestellt.“ Wie viele Amtshandlungen auf Burka-Trägerinnen zurückzuführen sind, könne er nicht sagen. Aber auch in Wien ist davon auszugehen: Es ist nicht die Mehrheit. Allein im Zuge der ersten Demonstration wurden zwei Anzeigen und mehr als 40 Abmahnungen ausgesprochen.
Wenn dieses Gesetz als Beitrag im Kampf gegen den konservativen Islam gedacht war, kann ich nur sagen: Das ist in die Hose gegangen. (Polizeigewerkschafter Hermann Greylinger)
Die Zahlen zum Burkaverbot zusammengefasst: Seit Inkrafttreten gab es insgesamt 29 Anzeigen, 14 außerhalb Wiens, wobei nur vier davon wegen des Tragens einer Burka erstattet wurden – und zwar vier Mal gegen dieselbe Person. „Wenn dieses Gesetz als Beitrag im Kampf gegen den konservativen Islam gedacht war, kann ich nur sagen: Das ist in die Hose gegangen“, sagt der rote Polizeigewerkschafter Hermann Greylinger, der das Gesetz in Summe für „Mist“ hält. Es sei im Grunde nicht vollziehbar, darum fordere er auch Rechtssicherheit für die Beamten: „Amtsmissbrauch steht schnell im Raum, wenn man einmal nicht verhältnismäßig gestraft hat.“ Inzwischen würden die meisten Polizisten „die Finger vom Burkaverbot lassen“.
Das bestätigt Walter Strallhofer: „Am Anfang haben sich vereinzelte Kollegen ein Steckenpferd aus dem Gesetz gemacht und explizit geschaut, wen sie anzeigen können.“ Mittlerweile sei das anders: „Erstens: So viele Vermummte haben wir nicht.“ Und: Neben der fehlenden Rechtssicherheit „wissen die Kollegen natürlich, dass die Frauen die Gesichtsschleier aus einem bestimmten Grund tragen“. Die Frauen müssen die Bedeckung vor Ort nicht ablegen, sondern nur auf dem Wachzimmer zur Identitätsfeststellung. „Die Kollegen müssen sie dann dorthin begleiten. Manche fragen sich da: Warum soll ich mir das antun?“
Was sich nach einem halben Jahr Burkaverbot mit Gewissheit sagen lässt: Zielsicher ist es nicht. Ob es trotzdem seinen Zweck erfüllt, nämlich die „Integration im Land fördert“, indem es religiöse Vollverschleierungen aus der Öffentlichkeit verbannt, bleibt jedoch offen. Dafür müsste man erst mal wissen, wie viele Burka- und Niqab-Trägerinnen es überhaupt in Österreich gibt. 150? 500? 1000? Niemand weiß es. Außerdem: Legen die meisten muslimischen Frauen den Gesichtsschleier in der Öffentlichkeit tatsächlich ab – oder bleiben sie einfach zu Hause?