Burgenlands Seen am Ende
Die Lange Lacke im Seewinkel war noch vor wenigen Jahren ein international bedeutsames Vogelparadies. Im Herbst machten Zigtausende Zugvögel hier Station zum Überwintern oder einen Zwischenstopp auf dem Weg nach Afrika. Im Frühjahr nutzten andere Arten die Lacke im Grenzgebiet zwischen dem Neusiedler See und Ungarn als Brutgebiet. Dieses Jahr ist durch die geringen Niederschläge alles anders. Schon seit dem Frühjahr ist die Lange Lacke im Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel ein trockener Salzsee, alle Vögel sind verschwunden. Alle anderen Seen im Seewinkel sind ebenfalls ausgetrocknet. Beim Zicksee wurden im Sommer 30 Tonnen Fische in Teiche umgesiedelt, Tausende Fische sind trotzdem verendet. Auch beim Neusiedler See ist der Wasserstand auf einen niedrigen Stand gesunken, es fehlen rund 30 Zentimeter.
Salzlacken akut bedroht
Im Herbst ist der Grundwasserspiegel im Seewinkel, zum Beispiel in Illmitz, immer noch auf Rekordtief. Michael Dvorak, Ökologe bei der Vogelschutz-Organisation Birdlife, warnt: "Die Lage ist katastrophal. Wenn die Trockenheit noch drei Jahre andauert, ist der Neusiedler See verschwunden." Auch die im Jahr 2020 noch bestehenden 30 Salzlacken im Seewinkel seien durch den tiefen Grundwasserspiegel akut bedroht: "Es fehlen bis zu 200 Millimeter Jahresniederschlag. Außer zehn Lacken sind bereits alle anderen verloren. Auch die Lange Lacke ist im Westteil bereits vollständig zugewachsen und nicht mehr zu retten." Zum Hintergrund: Die Lange und andere salzhaltige Lacken trocknen im Sommer immer wieder aus, verlieren aber nicht den Kontakt zum Grundwasser. Von dort steigt salzhaltiges Wasser auf und verdunstet an der Oberfläche. Johannes Ehrenfeldner, Leiter des Nationalparks, erklärt: "Das Salz sorgt dafür, dass die Lacken dicht bleiben."Wenn es dann wieder regnet, bildet das Salz zusammen mit dem Bodenschlamm eine Schutzschicht, und die flachen Lacken füllen sich schnell wieder.
Intakte Salzlacken bilden einen in Europa fast einzigartigen Lebensraum. Im Nationalpark wurden bisher insgesamt 341 Vogelarten gezählt, darunter 150 Brutvögel. "Zugvögel finden in den seichten Salzseen ähnliche Voraussetzungen wie an der Nordsee oder im Baltikum. Besonders wichtig ist das für die Gruppe der Watvögel. Wir sehen, dass die Watvögel immer weniger rasten und schon gar nicht mehr brüten. Und wenn die Vögel weg sind, bleiben auch die Touristen aus",beschreibt Ehrenfeldner das Problem. Der immer noch wasserführende Neusiedler See sei kein Ersatz, weil er nicht nur ein getrenntes Grundwassersystem sei, sondern durch das Schilf auch ein ganz anderer Lebensraum.
Landwirtschaftliche Wassernutzung
Vögel wie der Säbelschnäbler könnten in Österreich dauerhaft verschwinden. Wenn wie letztes Jahr das Grundwasser stark und andauernd absinkt, reißt der Boden der Lacken auf, und beim nächsten Regen versickert das Wasser samt dem Salz zu schnell. Letzten Endes verlieren die Seen das Salz ganz, sie süßen aus und werden durch Pflanzen wie etwa Schilf überwuchert. Das ist nichts Neues: In den vergangenen 120 Jahren sind ohnehin schon drei Viertel der Lacken durch die Umgestaltung der Landschaft verschwunden. Der Seewinkel war einst ein Feuchtgebiet mit häufigen Überschwemmungen, das erst durch großräumige Entwässerung durch den Einser-Kanal und zahlreiche Nebenkanäle für die Landwirtschaft nutzbar gemacht wurde. Zusätzlich wurden rund um die Ortschaften Ringkanalisationen gebaut, die den Grundwasserspiegel weiter senkten.
Durch die Klimaerwärmung und die geringeren Niederschläge stieg auch die Entnahme von Grundwasser für die landwirtschaftliche Beregnung kräftig an. Kulturen mit besonders hohem Wasserbedarf wie Kartoffeln, Zuckerrüben und Mais wurden verstärkt angebaut. Christian Sailer, Leiter der Wasserwirtschaft im Burgenland: "Es entstanden im Lauf der Jahrzehnte viele landwirtschaftliche Brunnen, teils legal, teils illegal. Es gab sogar einst Wünsche von Großgrundbesitzern, den Neusiedler See komplett trockenzulegen." Die Grundwasserentnahme im Seewinkel wurde bisher durch Wasserrechte begrenzt. Allerdings sei die bisher erlaubte Wasserentnahme mit 21 Millionen Kubikmetern jetzt angesichts des mangelnden Regens und der erhöhten Verdunstung viel zu hoch: "Wir haben die laufende Wiedervergabe von Wasserrechten momentan auf Eis gelegt, wollen die gesamte Situation gründlich überdenken und sind auch im Austausch mit dem Nationalpark",erklärt Wasserwirtschaftsleiter Sailer.
Wenn die Trockenheit noch drei Jahre andauert, ist der Neusiedler See verschwunden.
Oberstes Ziel sei, das Wasser in der Region zu halten. Eine Möglichkeit sei, die bestehenden wenigen Wehranlagen auszubauen und zu regulieren, damit das Wasser nicht durch den Einserkanal in der Donau verschwindet. Außerdem soll die Wasserentnahme durch die Landwirtschaft reduziert werden. Sailer: "Ein Eingriff in bestehende Wasserquoten ist rechtlich schwierig. Es gibt aber Vorgaben der EU, die die Grundlage für solche Maßnahmen bilden können." Als weitere Lösung verhandelt die Wasserwirtschaft mit Ungarn über Wasserzuleitungen aus der Moson-Donau, einem Nebenarm der Donau. Dieses Donauwasser könnte einerseits durch Versickerung den Grundwasserspiegel heben und andererseits direkt für die Agrarbewässerung genutzt werden. "Die ungarischen Kollegen wären bereit, je nach Jahreszeit zwischen 1,5 und 3,5 Kubikmeter pro Sekunde zur Verfügung zu stellen. Wir können damit auch den Neusiedler See erhalten", berichtet Sailer.
Neusiedler See zuletzt 1865 ausgetrocknet
Der Neusiedler See ist ebenfalls eine Art von Lacke, die zuletzt 1865 sogar ausgetrocknet ist. 1872 führte ein sehr nasses Jahr zu einer Wiederbefüllung durch Überschwemmungen von Raab und Donau. Auch die Jahre 2007 bis 2016 waren eine relativ feuchte Periode. Um Schäden an Dämmen und Siedlungen zu verhindern, wurde damals Wasser in einem Gesamtumfang von rund 60 Zentimetern durch geöffnete Schleusen aus dem Neusiedler See entfernt. Birdlife-Experte Dvorak: "Man hat Wasser wie aus einer Badewanne abgelassen, das uns jetzt fehlt." Ein Ausweg gegen solche Wasserverschwendung könnte der Ausbau von Rückhaltebecken sein. Für den Ökologen Dvorak sind aber alle großtechnischen Pläne mit vielen Fragezeichen versehen: "Ich bezweifle, dass die Ungarn wirklich Wasser liefern werden. Und wenn, dauert die Umsetzung wie zum Beispiel der Bau langer Rohrleitungen mindestens fünf, vielleicht sogar zehn Jahre. So lange können wir nicht warten. 2023 wird aufgrund des anhaltenden Regenmangels wohl das erste Jahr sein, in dem alle Lacken von Anfang an ausgetrocknet sind und der Neusiedler See mit dem tiefsten Wasserstand seit Jahrzehnten in die nächste Hitzeperiode startet. Ich befürchte das Schlimmste: Der ganze Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel steht auf der Kippe." Die einzig wirksame Sofortmaßnahme sei, den Anbau extrem wasserbedürftiger Früchte wie Kartoffeln im Seewinkel zu stoppen und die Wasserentnahme durch die Landwirtschaft generell sehr stark einzuschränken.
Für Nationalpark-Chef Ehrenfeldner wäre neben der Umstellung der Landwirtschaft die Schließung des Entwässerungssystems die schnellste und billigste Sofortmaßnahme. "Außerdem müsste die Bewässerung viel wassersparender erfolgen: Die großen Kreisregner haben hohe Verdunstungsraten. Besonders tagsüber bei Hitze sind dann nur noch 40 bis maximal 50 Prozent für die Pflanzen verfügbar." Heuer wurde deshalb schon die Beregnung am Tag mit solchen Großregnern untersagt. Burgenland-Wasserwirtschaftsleiter Sailer: "Wenn es nicht besser wird, könnte in einer Phase zwei auch die Beregnung in der Nacht untersagt werden. Es bliebe dann nur die Wassergabe in Glashäusern und Folientunneln sowie die Tröpfchenbewässerung im Weinbau erlaubt."Einzelne Maßnahmen seien in Zeiten des Klimawandels nicht mehr ausreichend: "Wir brauchen ein grundsätzliches Umschwenken vom bisherigen Leitgedanken für alpine Regionen 'Wie werde ich überschüssiges Wasser schnell los?'hin zu mediterranem Denken: 'Wie kann ich den geringen Niederschlag möglichst lange im System behalten?'"
Wassermanagement in Tel Aviv
Wie fortgeschrittenes Wassermanagement funktionieren kann, zeigt Israel. Um die stark wachsende Bevölkerung und zusätzlich auch Palästina und Jordanien zu versorgen, wird an vielen Schrauben gleichzeitig gedreht. Darunter sind einige Maßnahmen, die ein Vorbild für Österreich sein könnten. Der Grundsatz in Israel ist, durch technische Maßnahmen den Wasserverbrauch zu senken. Laut einer Studie des israelischen Umweltministeriums aus dem Jahr 2017 wird das Abwasser inzwischen zu 86 Prozent wiederverwendet, primär für die Landwirtschaft. Das Wasser für die 2,5 Millionen Einwohner von Tel Aviv wird zum Beispiel bis zu 100 Prozent aus Meerwasserentsalzungsanlagen gewonnen und anschließend in einer zentralen Kläranlage südlich von Tel Aviv dreistufig geklärt. Efrat Kohen, Prozessingenieurin der Kläranlage, beschreibt den Prozess: "Weltweit einzigartig wird bei uns das Wasser drei Monate im Sand geklärt, um die letzten Keime zu vernichten. Das Wasser hat Trinkwasserqualität, die 165 Millionen Kubikmeter werden aber über ein spezielles Wassernetz in den Süden geleitet und dort nur für die Landwirtschaft verwendet."Die Landwirtschaft ist laut den lokalen Experten der wichtigste Wasserverbraucher Israels. Es wird aber vor allem mit der sparsamen Tröpfchenbewässerung gearbeitet, die in den 1950er-Jahren vom Israeli Simcha Blass entwickelt wurde (und inzwischen auch in Österreichs Gemüseund Weinbau verbreitet ist).Außerdem bauen Landwirte Sorten an, die sich durch geringen Wasserverbrauch auszeichnen.
Neben der Landwirtschaft ist seit Anfang des Millenniums auch die Natur ein gesetzlich bevorzugter Wasserverbraucher. Nissim Keshet, langjähriger Umweltdirektor in der israelischen Natur-und Parkbehörde: "In den vergangenen Jahren konnte so die Wasserzuführung für die Natur mehr als verzehnfacht werden und soll weiter steigen." Vor 20 Jahren wurde das Naturreservat Hula im Norden Israels auf Initiative von Keshet wiederbelebt: "Hula bekommt, wenn nötig, bestes nicht recyceltes Wasser zum günstigsten Preis."Heute ist das Reservat wieder eine international wichtige Zwischenstation für Zugvögel. Zweimal im Jahr passieren 500 Millionen Vögel das Reservat, 390 verschiedene Arten wurden beobachtet. Der nächste Schritt: Am Rande der Weltklimakonferenz in Ägypten schlossen Israel und Jordanien das erste Umweltschutzabkommen ab, mit dem Ziel, den Grenzfluss Jordan wiederzubeleben.
Radikaler Wandel
Österreich hat im Gegensatz zu Israel grundsätzlich genug Wasser. Allerdings verzeichnet der Osten, besonders das nördliche Weinviertel, zunehmend Probleme mit Wassermangel im Sommer. Das Landwirtschaftsministerium erwartet laut der 2021 veröffentlichten Studie "Wasserschatz Österreichs-Grundlagen für nachhaltige Nutzungen des Grundwassers", dass die landwirtschaftlich genutzte Fläche in Österreich bis zum Jahr 2050 um elf Prozent abnimmt. Um die Gesamterträge zu halten, müsste zunehmend bewässert werden. Der landwirtschaftliche Wasserbedarf dürfte sich von derzeit 69 Millionen Kubikmetern bis 2050 ungefähr verdoppeln.
Besonders im Seewinkel ist eine weitere Verschärfung der Grundwasserprobleme zu erwarten. Beim Neusiedler See steht die Existenz als Naherholungsgebiet auf dem Spiel. Schon heuer begann das Fischsterben, vor allem der Zander kam nicht mehr mit dem flachen, warmen Wasser zurecht. Nationalparkchef Ehrenfeldner: "Es ist zwar umstritten, ob der See durch Wasserzugaben gerettet werden soll, weil das den Chemismus ändern könnte. Ich halte aber die angedachte Zufuhr von einem Kubikmeter pro Sekunde für unproblematisch. Das ist die Menge, die normalerweise auch über die Wulka, den einzigen Zufluss des Sees, dazukommt. Gelingt es, die Lacken wieder zu befüllen, kommen auch die Vögel im Seewinkel rasch wieder zurück."Wenn nicht bald ein radikaler Wandel einsetzt, könnte die Gegend samt Nationalpark austrocknen, appelliert Ehrenfeldner: "Und wenn kein Wasser mehr da ist, ist es auch mit der Landwirtschaft aus."