Panorama

Gegen Geldentwertung: Sparen in Zeiten der Rekordinflation

Steigende Zinsen. Turbulenzen an den Aktienmärkten. Sinkende Immobilienerträge. Alles Argumente für das Sparbuch. Doch das hat ausgedient, ein realer Vermögenszuwachs ist damit kaum mehr möglich.

Drucken

Schriftgröße

So haben sich viele Neo-Aktionäre den Umstieg vom Sparbuch auf Wertpapiere nicht vorgestellt. Vernichtete bisher „nur“ die Inflation ihr Sparvermögen, sind es jetzt auch noch kapitale Kursverluste von 20 Prozent und mehr bei Aktien und Anleihen. Und auch der Goldpreis dümpelt bei  steigenden Zinsen vor sich hin. Erträge aus der beliebten Geldanlage kommen derzeit nur aus dem hohen Dollar, in dem das Edelmetall notiert. Selbst Betongold ist kein sicherer Ertragsbringer mehr. „Grundbuch statt Sparbuch rechnet sich oftmals wegen der gestiegenen Finanzierungskosten und der hohen Bau- und Immobilienpreise nicht mehr“, hält Peter Brezinschek, Chefanalyst der Raiffeisen Bank International (RBI), fest. 

Sparer unterschätzen Inflation

Dies wären alles Argumente für ein Comeback des Sparbuchs, ebenso wie die aktuelle IMAS-Befragung von 900 Österreicherinnen und Österreichern im Auftrag der Erste Bank. Demnach ist das Sparbuch hierzulande immer noch das beliebteste Vorsorgeprodukt, gefolgt vom Bausparen, Lebensversicherungen, Wertpapieren und Immobilien. Nach jüngsten OeNB-Zahlen schaut die Realität aber anders aus. Die Bedeutung von gebundenen Einlagen nimmt deutlich ab. Betrug ihr Anteil am gesamten Geldvermögen 2006 noch 28 Prozent, waren es zur Jahresmitte 2022 nur mehr elf Prozent. Denn für den Sparer spielt der Realzins eine Rolle. Der war laut OeNB schon in der Vergangenheit oftmals negativ. Zwischen 1960 und 1993 lag der inflationsbereinigte Eckzinssatz in 56 Prozent aller Monate unter der Teuerungsrate.

Die Inflation werde von Sparern leider gerne unterschätzt, warnt der Thinktank Agenda Austria in einer Analyse. Da die Zinsen auf Spareinlagen derzeit praktisch noch bei null sind, könnten die Sparer in zwei Jahren rund 13,3 Prozent ihrer Kaufkraft verlieren. Selbst wenn die Europäische Zentralbank ihr Ziel von zwei Prozent jährlicher Inflation erreiche, halbiere sich die Kaufkraft der Ersparnisse binnen 35 Jahren. Bei fünf Prozent Inflation braucht es dazu nur 14 Jahre, bei acht Prozent Inflation neun Jahre. Die Ökonomen der Agenda Austria erwarten heuer in Österreich eine Inflation von acht Prozent. Damit würden auf Österreichs Sparkonten 7,2 Milliarden Euro im Jahr vernichtet. Auf den übrigen Konten verlieren die Anleger 16,5 Milliarden Euro im Jahr. 

Die Oesterreichische Nationalbank rechnet heuer nicht nur mit einem Rückgang der Geldvermögen, sondern auch insgesamt mit einem um 1,5 Prozent geringeren Realeinkommen der Österreicher:innen. Die Sparquote werde von zwölf Prozent auf 7,2 Prozent des Einkommens sinken. Die Erste Bank berichtet, dass der aktuell durchschnittliche Sparbetrag pro Monat 301 Euro gegenüber noch 344 Euro im Vorjahr beträgt. „Die Sparquote in Österreich wird sich wieder auf acht bis neun Prozent einpendeln“, meint RBI-Chefanalyst Peter Brenzinschek, „nämlich dann, wenn die Arbeitnehmer 2023 und 2024 wieder die deutlichen höheren Lohnabschlüsse im Börsel haben und auch die Inflationsrate nachlässt und sich 2024 normalisiert.“ Peter Brezinschek geht davon aus, dass die zweistellige Inflationsrate bis Jahresende 2023 wieder auf vier Prozent und darunter sinkt: „Die Kerninflation sinkt getrieben von den Löhnen zwar nicht, jedoch Energie und Lebensmittel werden keinen Teuerungsbeitrag mehr zur Gesamtinflation beitragen.“ 

Kein Comeback des Sparbuchs

Wenn das Einkommen wieder steigt, geht Gerda Holzinger-Burgstaller, CEO der Erste Bank, davon aus, dass auch wieder mehr gespart wird: „Die jüngsten Zinsanhebungen der Europäischen Zentralbank lassen viele Sparer wieder aufhorchen. Aber eines ist weiterhin klar. Das Sparbuch ist für langfristige Vorsorge nicht geeignet, und selbst wenn die EZB die Zinsen noch etwas anhebt, ist am Sparbuch oder Girokonto ein Wertverlust des Geldes weiterhin garantiert.“  Tatsächlich sind Österreichs Sparerinnen hier auch nicht untätig. Sie haben in der Pandemie ihr Vermögen vom Sparbuch vor allem in Aktien umgeschichtet und 2021 damit auch gut verdient. Im ersten Halbjahr 2022 wurden sie dann umso härter von den Finanzmarktturbulenzen getroffen. Das sorgte erstmalig seit der Finanzkrise für rückläufige Geldvermögen der Österreicher:innen. Im ersten Halbjahr 2022 sind die Ersparnisse gegenüber dem Jahresultimo 2021 um 3,4 Prozent auf rund 799 Milliarden Euro gesunken. 

„Es gibt für Aktieninvestoren durchaus Gründe, vorsichtig zu sein, zumal an den Aktienmärkten noch nicht alles gegessen ist“, warnt Peter Brezinschek, „wir wissen noch nicht, ob wir eine Stagflation sehen und wie lange sie dauern kann. Wie die Energielage sich entwickeln wird, ob wir dann im Winter 2023/2024 auch gefüllte Gasspeicher haben. Auch schüren die Eingriffe europäischer Staaten in die Gewinne bei Unternehmen und Aktionären Unsicherheit. Die Unplanbarkeit verhindert Investitionen und schädigt das Vertrauen in den europäischen Kapitalmarkt.“ Man dürfe ihn aber nicht falsch verstehen, so Brezinschek: „Ich bin ein großer Verfechter, die Ansparpläne mit Wertpapieren jetzt weiter zu besparen, sogar aufzustocken.“ Zum einen, weil man bei den aktuell niedrigen Kursen jetzt mehr Anteile für sein Geld bekommt. Zum anderen, weil die Börse der Realwirtschaft sechs bis neun Monate vorauseilt und wir im Frühjahr 2023  bei der Konjunktur eine Bodenbildung sehen sollten. „Vor allem aber, weil Spareinlagen zwar als Liquiditätsreserve für Kaufgelegenheiten, aber noch nie für die langfristige Vorsorge eine besonders lohnende Entscheidung gewesen sind“, so Brezinschek. Das kann auch Stefan Bruckbauer, Chef-Analyst der UniCredit Bank Austria unterstreichen, der sich angeschaut hat, was in den letzten zehn Jahren in Österreich aus 1000 Euro geworden wäre, wenn man sie in verschiedenen Anlageklassen investiert hätte. 

Auch wenn bei einem langfristigen Anlagehorizont von acht bis zehn Jahren nichts an der Aktie vorbeiführe und Dividenden, also regelmäßige Ausschüttungen der Unternehmen an die Aktionäre, eine gute Alternative zum Sparbuchzins sein können, relativiert Peter Brezinschek die künftigen Aktienertragschancen: „Das goldene Zeitalter mit Renditen bei europäischen Aktien von sieben bis acht Prozent inklusive Dividenden ist vorbei.“ Claudia Figl, Partnerin der Wiener Privatbank Gutmann, empfiehlt vorsichtigen Anlegern Aktien von Unternehmen, die in letzter Zeit Preismacht bewiesen haben und die Teuerung an die Kunden weitergeben konnten. Zu den starken Kurskorrekturen an den Börsen meint sie: „Bärenmärkte an den Aktienmärkten haben, wie das Beispiel des amerikanischen Dow Jones Industrial Average Index zeigt, meist etwas über ein Jahr angehalten. Die Kurse haben durchschnittlich etwa 30 Prozent verloren. Wenn es nicht nur technische Kurskorrekturen nach starken Anstiegen waren, sondern auch die Realwirtschaft stagnierte oder schrumpfte, dann war der Einbruch mit etwa 35 Prozent noch stärker und die Dauer deutlich länger wie in den Rezessionsjahren 2001 und 2009.“

Wir wissen noch nicht, ob wir eine Stagflation sehen und wie lange sie dauern kann.

RBI-Chefanalyst Peter Brezinschek

Auch wenn es kurzfristig immer wieder zu Bullenmärkten, Blasenbildung, Korrekturen und sogar Crashs kommen werde, halten auch die Wissenschafter von Agenda Austria ein Plädoyer für Aktien. Der globale Aktienmarkt spiegle langfristig das Wachstum der Weltwirtschaft wider. Wer sich also ein Stück dieses Marktes kauft, wächst mit der Wirtschaft und schlägt über einen Zeitraum von zehn Jahren oder mehr viele andere Anlageklassen, das Sparbuch sowieso. Tatsächlich hat seit 1928 der S&P500, der Index der 500 größten US-Konzerne, in 93 Prozent aller Zehn-Jahres-Perioden den Anlegern Gewinne beschert. 

Wertpapiere als Sparplan

So viel zur Theorie. Und wie reagieren die Jungaktionäre in der Praxis auf die gestiegenen Zinsen, die hohe Inflation und auf die Kapitalmarktturbulenzen? „Das Sparbuch ist tot, es lebe das Investieren. So denken auch unsere Kunden,“ berichtet Oswald Salcher, Country Manager Trade Republic Austria, dass weiter fleißig auf die Wertpapiersparpläne einbezahlt wird, „denn jetzt tut Inflation richtig weh. Unsere Kunden haben mindestens einen Sparplan und mehr, und hier sind die Transaktionen konstant.“ Wobei er nicht verhehlt, dass die Börsen-Euphorie insgesamt weg ist und die Zahl der Aktientransaktionen schon deutlich zurückgegangen ist, bei ETFs hingegen nur minimal. „Andererseits gibt es aber auch mehr Anleger, die bei den hohen Schwankungen an den Märkten ihr Glück mit Zertifikaten und anderen Derivaten versuchen, was nicht viel mit Sparen zu tun hat“, erklärt Salcher. Wertpapierpläne werden in Österreich weiterhin nachgefragt, bestätigt auch die Erste Bank. In Österreich würden bei den rund 250.000 Fondssparplänen ihrer Institute monatlich im Schnitt 200 Euro einbezahlt. 


„Da sich die Banken nicht mehr zum Nulltarif bei der Europäischen Zentralbank finanzieren können, bringen sie auch wieder mehr Pfandbriefe, Hypothekar- und Wohnbauanleihen auf den Markt“, beobachtet Claudia Figl von der Bank Gutmann. Damit kehrt auch der Bausparkredit zurück. Wegen der niedrigen Zinsen gab es zuletzt deutlich weniger Bausparer. Attraktiv hat den Bausparvertrag als Sparprodukt aber auch früher schon nur die staatliche Prämie gemacht, die 2022 bei bescheidenen 1,5 Prozent liegt. 
Übrigens, die einzige „Assetklasse“ die 2022 bisher zulegen konnte, ist der Dollar. Um sich vor Geldentwertung zu schützen, gilt Altbewährtes: „Am Ende ist aus meiner Sicht als Inflationsschutz ein realer Wert wie Aktien oder Immobilien das Beste“, subsumiert Bruckbauer, „aber auch Einzahlungen in das staatliche Pensionssystem in Österreich bieten einen gewissen Inflationsschutz, da die Pensionen meist an die Inflation angepasst werden.“ „Wichtig ist, dass man nicht alles auf eine Karte setzt, sondern sich bei der Geldanlage immer breit aufstellt“, nennt die Erste Bank-CEO Holzinger-Burgstaller die Regel Nummer eins zum Anlageerfolg.

„Es wird mehr konsumiert, weniger gespart“

OeNB-Gouverneur Robert Holzmann sieht einen deutlichen Trend  zu Wertpapieren und Gold.

Wie reagieren die österreichischen Haushalte auf die negativen Realzinsen, die Inflation und das turbulente Börsenumfeld?
Robert Holzmann
Nachdem während der Pandemie 2020 und 2021 zwangsläufig deutlich mehr gespart wurde, lassen die Daten über die Finanzinvestitionen im ersten Halbjahr den Schluss zu, dass wieder mehr konsumiert wurde. Die Finanzinvestitionen lagen bei 7,2 Milliarden Euro und damit etwa auf dem Niveau des Vergleichszeitraums 2019. So wird 2022 vermutlich wieder mehr vom Einkommen für den Konsum aufgewendet werden als zuvor und damit weniger für Investitionen in Finanzprodukte, aber auch in reale Güter übrig bleiben.
Wie viele Österreicher besitzen inzwischen Aktien oder andere Wertpapiere?
Holzmann
Während der Pandemiezeit war eine stärkere Ausrichtung von Kleinanlegern in Wertpapiere zu beobachten. Viele junge Anleger haben die Pandemiezeit genutzt, um in Wertpapiere anzulegen: Der Anteil der 18- bis 24-Jährigen hat sich in der Pandemie vervierfacht, der Anteil der 25- bis 39-Jährigen hat sich verdoppelt.
Sind die Neo-Aktionäre durch die Börsenturbulenzen jetzt verschreckt?
Holzmann
Das ist anhand der aktuell verfügbaren Zahlen nicht zu erkennen. Das Einlagenwachstum inländischer Haushalte bei österreichischen Banken ging von 5,7 Prozent im August 2021 auf zwei Prozent im August 2022 zurück. Aufgebaut werden weiterhin lediglich täglich fällige Einlagen mit einem Wachstum von sechs Prozent im August 2022. Seit 2020 fließt nur noch jeder zweite Euro der Finanzinvestitionen in Einlagen, zwischen 2015 und 2019 waren es noch drei von vier Euro. Investmentzertifikate und börsennotierte Aktien sind seit Pandemiebeginn deutlich stärker gefragt als bisher. Zwischen 2020 und dem ersten Halbjahr 2022 flossen knapp 40 Prozent der Finanzinvestitionen in diese Anlageform, zwischen 2015 und 2019 waren es 25 Prozent.
Wie sorgen die Österreicher neben Aktien, Fonds und Sparbücher noch vor?
Holzmann
Die Statistik verzeichnet vor allem ein vermehrtes Interesse in Goldveranlagungen. Seit Beginn der Pandemie wurde so viel Gold erworben wie in den fünf Jahren davor. Hingegen haben die Haushalte seit Beginn der Covid-Pandemie ihren Bestand an Anleihen im Portfolio noch reduziert.
Bremsen die höheren Kreditzinsen, höheren Baupreise und das weniger verfügbare Einkommen die Nachfrage nach Immobilien?
Holzmann
Wir sehen derzeit, dass die gegenwärtige Kombination steigender Zinsen und Baupreise in Verbindung mit einer gestiegenen Konjunktur- und Einkommensunsicherheit sowie Verschärfungen der Kreditvergaberichtlinien nicht ohne Folgen für den Immobilienmarkt bleibt. Die Teuerung im Immobiliensektor bleibt weiterhin hoch.