Vegane Shops: Marketing-Gag oder Zukunft?
Beef-Burger, Chicken-Burger oder doch lieber ein Cheeseburger mit Bacon? Das Menü im Burger King am Westbahnhof liest sich wie in jedem anderen herkömmlichen Fast-Food-Restaurant-doch es gibt einen entscheidenden Unterschied, denn nichts auf dieser Karte besteht aus Fleisch. Alles hier ist rein pflanzlich. Im Juli dieses Jahres eröffnete der erste vegane Burger King Österreichs, und hier besteht etwa der Käse nicht aus Kuhmilch, sondern aus Wasser, Kokosöl und Linsenprotein, und der Speck ist ein auf Buchenholz geräuchertes Sojaprodukt. Man habe mit größter Sorgfalt in Bezug auf Geschmack und Konsistenz ausgewählt, kommuniziert Burger King. Ob der Erfolg dem Rechnung trägt? "Was ich Ihnen mitteilen kann, ist, dass die Entwicklung äußerst positiv verläuft und weit über unseren Erwartungen liegt", sagt ein Mitarbeiter der Pressestelle. Was das jetzt genau heißt, ob Gag oder nachhaltig erfolgreich, bleibt leider ein Geheimnis, denn: "Für weitere Aussagen stehe ich aktuell nicht zur Verfügung",so der Pressesprecher weiter.
Egal wo man ideologisch steht, das Geschmacksrad der pflanzlichen Ernährung hat sich weitergedreht. Wer noch vor zehn Jahren vegan essen wollte, musste Sojaschnitzel kaufen, sie über Nacht einweichen, und trotz raffiniertester Kochkunst erinnerten sie geschmacklich eher an Sägemehl. Heute hingegen hat man die Qual der Wahl. Jeder Supermarkt, auch weit von urbanen hippen Stadtzentren entfernte, hat eine Abteilung mit vegetarischen und veganen Ersatzprodukten: Käse, Wurst, Schnitzel, Thun-Visch (die vegane Form des gleichnamigen Fischs),auf den Markt drängen laufend innovative Ideen. Der Markt für Fleischalternativen ist so stark gewachsen, selbst die Zahl der Anbieter lässt sich heute kaum noch eruieren. Es gibt Start-ups wie Revo, die veganen Lachs im 3D-Drucker produzieren, oder die Pflanzerei, die veganen Leberkäse herstellt, genauso wie LikeMeat und Greenforce aus Deutschland, The Vegetarian Butcher aus den Niederlanden, Impossible Foods aus Kalifornien. Im Jahr 2020 machte die deutsche Rügenwalder Mühle eigenen Angaben zufolge erstmals mehr Umsatz mit fleischlosen Produkten als mit Wurst, und auch der Rewe-Konzern trägt dem neuen Zeitgeist Rechnung.
Pflanzlicher Supermarkt in affiner Nachbarschaft
Im September eröffnete die erste rein pflanzliche Billa-Filiale, genannt Pflanzilla – ein Wortspiel aus Pflanze und Gorilla. Letzterer ist das stärkste Tier im Dschungel, das sich nur von Pflanzen ernährt. Untergebracht ist der Billa Pflanzilla im Gerngross-Center auf der Mariahilfer Straße in Wien-Neubau, wo die Veganer-Dichte mutmaßlich besonders hoch ist. Auf 200 Quadratmetern Fläche werden zu hundert Prozent pflanzliche Produkte angeboten, die Auswahl mutet dabei wie die eines regulären Supermarkts an. Es gibt Aufstriche, Backwaren, Süßigkeiten, Kühlregale mit Käse und Wurst genauso wie Tiefgefrorenes und Getränke. Und bei jedem Produkt gilt: alles pflanzlich.
"Wir sehen das nicht als Trend oder Hype, sondern als einen Shift hin zu einer nachhaltigeren, abwechslungsreichen Ernährung", sagt Billa-Vorständin Elke Wilgmann. Der Plan scheint aufzugehen, so sei der Riesenansturm der ersten Wochen zwar zurückgegangen, die Nachfrage bleibe aber stabil auf hohem Niveau. Am häufigsten über den Ladentisch wandern Feinback-und Konditoreiwaren, Milchalternativen und lokale Ersatzangebote wie etwa jene der Pflanzerei. Insgesamt 600 neue Produkte sind bei Pflanzilla zu haben, die es sonst im Billa-Sortiment nicht gibt. Für langfristige Prognosen sei es zu früh, schließlich habe man erst im September eröffnet, aber Billa-Managerin Wilgmann gibt sich zuversichtlich: Die Kunden wollen gerne Neues ausprobieren, sie seien aufmerksamer bei Qualität und Herkunft der Lebensmittel und machten sich mehr Gedanken um den Zusammenhang von Massentierhaltung, Ernährung und Klimakrise. Das Konzept von Pflanzilla ist nicht ganz neu: Einen Bezirk weiter, im 6. Wiener Gemeindebezirk, gibt es bereits seit einigen Jahren einen voll veganen Supermarkt, nämlich Maran Vegan, er eröffnete 2013 mit rund 4000 Produkten.
"Der Begriff plant-based kommt in der öffentlichen Wahrnehmung viel besser an, er klingt nicht nach Verzicht."
Ernährung im Umbruch
Das von Wilgmann erwähnte veränderte Essverhalten lässt sich in Zahlen gießen: In Österreich gab es im Jahr 2021 laut Schätzung der Veganen Gesellschaft Österreichs (VGÖ) rund 840.000 Vegetarier, 106.000 Veganer – und über 4,6 Millionen Flexitarier. Menschen also, die zwar hin und wieder Fleisch essen, aber auch gerne nach Alternativen schauen-und sich generell bewusst und qualitätsvoll ernähren. Sie sind auf dem Markt die treibende Kraft. Ihre Motive liegen neben einer gesunden Ernährung auch beim Umweltschutz: Der eigene CO2-Fußabdruck lässt sich maßgeblich reduzieren, wenn man Fleisch und andere tierische Produkte durch pflanzliche Alternativen ersetzt. Tatsächlich würde ein reduzierter Fleischkonsum eine Reihe an aktuellen Problemen der Menschheit lösen: Zu viel Fleisch schadet laut Studien der vergangenen Jahre unserer Gesundheit, unserer Lebenserwartung, dem Klima und den Tieren.
So ist etwa die Fischerei ein problembehaftetes Gebiet: Die Überfischung hat negative Auswirkungen auf die Biodiversität und führt zum Kollaps ganzer Fischpopulationen. Gleichzeitig ist der Lachs einer der beliebtesten Speisefische der Welt, jedes Jahr werden 2,7 Millionen Tonnen davon gegessen. Ein Problem, dessen sich das Start-up Revo Foods angenommen hat-und Lachs im 3D-Drucker produziert. Allein in diesem Jahr hat das Jungunternehmen seinen Umsatz verdoppelt, erzählt Mitgründer Robin Simsa: "Die Qualität der Produkte wird immer besser, man merkt, dass die Nachfrage am Markt steigt." In einigen Jahren würden pflanzliche von tierischen Produkten nicht mehr zu unterscheiden sein.
Abgesehen davon, dass in Österreich im Durchschnitt fast doppelt so viel Fleisch gegessen wird, wie Ärzte raten-rund 65 Kilogramm pro Person und Jahr, empfohlen werden um die 30 Kilogramm-,hat ein geringerer Fleischkonsum vielfältig positive Auswirkungen auf die Umwelt. "An dieser Entwicklung kommt man als größere Organisation nicht vorbei", sagt Nina Mohimi, die als Kommunikationsberaterin unter anderem Lebensmittelproduzenten berät. "Es ist ein Statement, um sagen zu können, man bewegt sich in eine nachhaltigere Richtung. Das lässt einen als Marke gesünder wirken, egal ob es stimmt oder nicht. Und schlussendlich würde man auch viel zu viel Geld liegen lassen, wenn man nicht mitmacht. Man muss nur mal überlegen, wie das ist, wenn man als Gruppe etwa im Büro essen geht: Man orientiert sich eher an denen, die vegetarisch oder vegan essen, selbst wenn das nur eine in der Gruppe ist. Allein deshalb schon müssen sowohl Kantinen als auch Lokale umdenken, damit ihnen nicht die ganze Gruppe verloren geht." Und der Zukunftsmarkt ist umkämpft. Start-ups und klassische Fleischproduzenten konkurrieren mit den pflanzlichen Marken der Konsumgütermultis wie Nestlé (Garden Gourmet) und Unilever (The Vegetarian Butcher).Im vergangenen Jahr kam etwa die Rügenwalder Mühle an ihre Kapazitätsgrenzen, genauso wie Like Meat, die ihren Umsatz 2021 um 26 Prozent steigern konnten und nun nach Rügenwalder in Deutschland die Nummer zwei bei Fleischersatz sind.
Pflanzen in der Feinkost
Nadina Ruedl hat vor eineinhalb Jahren Die Pflanzerei gegründet, seit einem halben Jahr ist sie aktiv auf dem Markt. Ihr Vorzeigeprodukt: der pflanzliche Leberkäse, genannt Gustl. "Ich wollte die Menschen in Österreich bei ihrem Lieblingssnack abholen", erzählt sie. Der Leberkäse war hier naheliegend, denn davon gehen in Österreich pro Woche 1,3 Millionen Semmeln über die Theke. Anfang Februar 2022 war Ruedl mit ihrer Idee in der Fernsehsendung "2 Minuten 2 Millionen" zu sehen: "Was ich damals wollte, war unvorstellbar: Mit meinem Gustl rein in die Feinkosttheken der großen Supermärkte."Mittlerweile ist sie damit seit 1. Oktober bei Rewe in der Feinkost. Das zeige deutlich, dass der Lebensmittelhandel sehr wohl bereit sei, sich zu verändern. "In die Regale im Supermarkt komme ich leichter, da gibt es eine viel breitere Auswahl. Aber in der Feinkost gibt es ein kleines Sortiment an Fleischprodukten-wenn eines davon eine pflanzliche Alternative ist, dann zeigt das deutlich, was sich verändert."Ruedls Grundgedanke ist einfach-sie möchte die Gruppe der Fleischreduzierer erreichen. Wenn in der Theke etwa sechs Produkte liegen, könnten fünf davon aus Fleisch sein-und eines eine pflanzliche Alternative: Ein Lebensmittel, in dem laut Pflanzerei kein Gluten drinnen ist, kein Glutamat, kein Palmöl, dafür aber frisches Gemüse. "Ich bin bewusst hingegangen und wollte Transparenz schaffen",sagt Ruedl. "Gerade in einem Bereich wie dem Veganismus, wo es oft heißt, das sind doch nur Zusatzstoffe. Wir nehmen fast alle Inhaltsstoffe aus Österreich, und wir produzieren mit Metzger-Handwerk ."
"Unternehmen haben sich einen großen Gefallen getan, als sie kommunikativ weg vom Schlagwort 'vegan' und hin zu 'pflanzlich' gegangen sind", sagt Beraterin Mohimi. "Der Begriff plant-based kommt in der öffentlichen Wahrnehmung viel besser an, er klingt nicht nach Verzicht, sondern danach, sich selbst etwas Gutes zu tun."Es ist ein Thema, das auch künftig immer größer werden wird, denn immer mehr Kundinnen und Kunden verlangen nach Transparenz bei der Herkunft. Wie viel Chemie ist in den Lebensmitteln, wie ist es verpackt, welche Herkunftskette steht dahinter? Anstelle von Fleischersatzprodukten wird es laut Mohimi zunehmend darum gehen, Essen neu zu denken. Wie kann Ernährung aussehen, die weder meinen Körper noch den Planeten unnötig belastet?
Strukturreform für die Landwirtschaft
Auch wenn die Fleischwirtschaftslobby in Österreich traditionell stark ist, soll es langfristig zu einer stärkeren Förderung von pflanzlichen Produkten kommen müssen, appelliert Ruedl: "Momentan liegt der Gustl mit 3,99 Euro neben dem tierischen Leberkäse mit 1,99 Euro. Da frage ich mich, wie das sein kann? Wie kann ein Lebewesen, das ernährt werden muss, das Platz und Unterkunft braucht, das einen Landwirt und vielleicht noch dessen Familie ernähren soll, so viel weniger kosten, als das, was ich verlangen muss, wenn ich mit Gemüse arbeite, das aus dem Marchfeld kommt?" Fleisch sei zu billig, findet sie, das könne sich so nie rechnen. Laut der Pflanzerei-Gründerin müssen die Förderungen reformiert werden, hier sei die Politik wie die Landwirtschaftskammer oder der Bauernbund gefragt. Es gehe um Strukturänderungen in der Landwirtschaft.
Tatsächlich wird die Verfügbarkeit der Grundprodukte eine der neuen großen Herausforderungen der Ernährung werden: Im Moment ändert sich eine ganze Lebensmittelsparte, das bedeutet auch, es müssen neue Proteinquellen erschlossen und in Mengen angebaut werden. Erbsen, Linsen, Kartoffeln, Soja-Regionalität gewinnt wieder an Bedeutung. Ruedl braucht für ihr Produkt das Protein einer bestimmten Sorte Erbsen. Einen Produzenten in Österreich dafür zu finden, sei ein Spießrutenlauf ohne Ergebnis gewesen. Heute kauft sie die Erbsen in Frankreich ein. "Die Landwirtschaftskammer geht in die falsche Richtung",sagt sie, "da geht es mir nicht um eine moralische Bewertung, aber wir könnten uns gerade in Österreich so stark positionieren."
Für einen Marketing-Gag allein wäre das, was Unternehmen hier vorproduzieren, zu teuer und aufwendig, meint Lebensmittelexpertin Nina Mohimi. Schlussendlich werde sich der Markt wie in allen anderen Lebensmittelbereichen auch hier einpendeln. "Es wird innovative Start-ups genauso geben wie die großen Player." Der Trend zu Veggiefleisch und Hafermilch werde nicht abreißen. Die Weltbevölkerung soll laut den Vereinten Nationen (UNO) bis 2060 die Zehn-Milliarden-Menschen-Marke durchbrechen. Um Umwelt und Klima nicht weiter massiv zu schädigen und um diese Menge an Menschen ausreichend mit Proteinen zu versorgen, führt an tierfreien Alternativen zu Fleisch und Milch wohl kein Weg vorbei.