Warum grüner Wasserstoff in Österreich noch nicht massentauglich ist
Der französische Autor und Visionär Jules Verne schrieb schon in seinem 1874 veröffentlichten Buch "Die geheimnisvolle Insel": "Das Wasser ist die Kohle der Zukunft. Die Energie von morgen ist Wasser, das durch elektrischen Strom zerlegt worden ist. Die so zerlegten Elemente des Wassers, Wasserstoff und Sauerstoff, werden auf unabsehbare Zeit hinaus die Energieversorgung der Erde sichern." Seit man im 18. Jahrhundert entdeckt hat, dass man mit Strom Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegen kann, beflügelt das die Energiefantasien der Forscher. Kein Wunder, denn ein Wasserstoffantrieb emittiert nur Wasser, sonst nichts.
Doch es gibt ein Problem, an dem schon seit rund 200 Jahren gearbeitet wird: Die Herstellung des Gases ist sehr aufwendig und damit teuer. Seit die russischen Billiggas-Träume geplatzt sind, bekommt Wasserstoff aber wieder eine Chance, und zahlreiche Projekte in Österreich zeigen, welche Potenziale im Wasserstoff stecken.
Von Strom zu Wasserstoff
Die nachhaltige Erzeugung von Strom aus Wind, Sonne und Wasser unterliegt schon seit Anbeginn dem Vorwurf, dass nur ausreichend Strom produziert werden kann, wenn auch das Wetter mitspielt. Genau diese Lücke lässt sich mit Wasserstoff schließen. Wird der überschüssige Grünstrom für die Elektrolyse verwendet, um grünen Wasserstoff herzustellen, kann man damit in großem Stil Energie speichern und bei Bedarf nutzen, zum Beispiel durch Rückverstromung des Gases. Eine Vision, an der besonders österreichische Forscher schon lange arbeiten und bei der wir im globalen Spitzenfeld mitspielen. Das HyCentA (Hydrogen Center Austria) Research GmbH, eine Tochtergesellschaft der Technischen Universität Graz, ist das größte außeruniversitäre Forschungszentrum zum Thema Wasserstoff in Österreich. 160 Forscher beschäftigen sich täglich mit grünem Wasserstoff. Alexander Trattner, CEO and Research Director am HyCentA: "Wir haben die aktuelle Generation der Wasserstofftechnologie so weit gebracht, dass man sie jetzt in den Markt überführen kann. Als nächsten Schritt gilt es, Fabriken für die Fertigung zu bauen und Industrialisierungsprozesse besser zu verstehen. Nur so kann man ganz hoch skalieren und die Kosten senken." Für die Forscher ist klar, dass wir mit grünem Wasserstoff die Energieabhängigkeit Österreichs reduzieren können. Trattner: "Grüner Wasserstoff ist ebenso ein Teil der Lösung wie grüner Strom. Wir müssen es schaffen, dass wir alle uns zur Verfügung stehenden erneuerbaren Energieträger optimieren und ausbauen. Technologisch ist es schaffbar, dass wir uns zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien versorgen. Woran aber gearbeitet werden muss, sind die Rahmenbedingungen."
Die Zukunft hat in der Tiroler Gemeinde Völs in der Nähe von Innsbruck bereits Ende 2022 begonnen. Dort hat die Lebensmittelhandelskette MPreis Europas größte Single-Stack-Elektrolyseanlage zur Produktion von grünem Wasserstoff in Betrieb genommen. Demnächst wird die Bäckerei Therese Mölk den Wasserstoff zur Beheizung von Backöfen einsetzen. Und ab Dezember 2022 werden die ersten Brennstoffzellen-Lkw der Firmenflotte in Betrieb genommen. Ewald Perwög, Projektleiter MPreis Sustainable Energy Solutions: "Dieses Projekt ist Teil unserer Dekarbonisierungsstrategie, die MPreis seit Jahrzehnten sehr engagiert verfolgt. Gestartet sind wir mit Passivhaus-Supermärkten, dann kamen unsere Photovoltaikanlagen mit rund 14 Megawatt Leistung, und nun erzeugen wir unseren Wasserstoff für unsere Lkw selbst." Insgesamt hat das Familienunternehmen 13 Millionen Euro, die zur Hälfte aus Fördermittel stammen, in die Anlage investiert. Doch von der ersten Idee bis zur Umsetzung dauerte es sechs Jahre, denn es brauchte Überzeugungsarbeit bei den Nachbarn und auch bei den Ämtern. Perwög: "Beim Thema Wasserstoff gibt es noch immer große Vorbehalte und auch Angst, dass etwas schiefgehen könnte."
Grüner Wasserstoff hat heute eine zentrale Bedeutung bei der Energiewende in den unterschiedlichsten Bereichen. Als Grundstoff in der chemischen Industrie und als Treibstoff bei industriellen Prozessen wie etwa bei der Stahl-oder Ziegelherstellung kann in Zukunft auf das nachhaltige Gas zurückgegriffen werden. Aber auch im Verkehr oder als Energiespeicher hat Wasserstoff Potenzial. Johannes Schneider, Experte für Industriegüter-und Energieversorgungsunternehmen bei Strategy& Österreich: "Mit Blick auf den European Green Deal und die damit einhergehenden Dekarbonisierungsziele für die österreichische Industrie haben wir im Rahmen der Erstellung der Stromstrategie 2040 für Österreich den Bedarf an grünem Wasserstoff für 2040 auf rund 80 TWh geschätzt. Dieses Volumen wird nicht allein in Österreich erzeugt werden können. Daher gehen wir davon aus, dass etwa 25 Prozent vor Ort erzeugt werden und 75 Prozent importiert werden müssen."Aus diesem Bedarf entstehen vielfache Geschäftsmodelle und Marktchancen für zahlreiche Akteure entlang der gesamten Wertschöpfungskette, wie etwa beim Aufbau einer entsprechenden Wasserstoffinfrastruktur, bei der Herstellung des für die Elektrolyse erforderlichen Stroms aus erneuerbaren Quellen oder dem Handel und Import von grünem Wasserstoff aus anderen Regionen. Schneider: "Wie groß in Summe das Umsatzpotenzial für diese gesamte österreichische Wasserstoffwirtschaft im Zeitverlauf sein wird, ist derzeit nicht seriös abzuschätzen." Doch ein Rahmen für die Kosten steht bereits fest. Das Klimaschutzministerium schätzt das österreichweite Investitionsvolumen im Wasserstoff-Bereich auf rund 937 Millionen Euro bis 2030.
Langsames Vorankommen in Österreich
Obwohl die Forschung in Österreich sehr weit gediegen und damit das Know-how vorhanden ist, geht es hierzulande, anders als bei unseren Nachbarn, nur sehr langsam mit dem grünen Wasserstoff voran. "In Österreich kann derzeit durchaus ein "Henne-Ei-Problem" konstatiert werden: Mit den derzeit sicher abzusetzenden Mengen kann grüner Wasserstoff noch nicht zu wettbewerbsfähigen Preisen hergestellt werden. Das wiederum hält Großverbraucher von einer Umstellung ihrer Anlagen ab und hindert zudem Investments in großvolumigere Elektrolyseure. Das Lösen dieses "Henne-Ei-Problems" ist Voraussetzung, um der Wasserstoffwirtschaft in Österreich zum Durchbruch zu verhelfen",so Schneider.
Nachdem mit dem Krieg in der Ukraine die Unzuverlässigkeit Russlands als Wirtschaftspartner mehr als belegt und damit die Ära des billigen russischen Gases vorbei ist, erfahren alternative Energieträger wie grüner Wasserstoff neuen Auftrieb. Das zeigt sich auch bei den zahlreichen Initiativen, die derzeit gesetzt werden. In wenigen Wochen startet die Wien Energie mit dem Bau einer Elektrolyseanlage, die grünen Wasserstoff mit Drei-Megawatt-Leistung erzeugen soll. Michaela Leonhardt, Leiterin Erneuerbarer Wasserstoff bei Wien Energie: "In diesem Sommer haben wir außerdem im Kraftwerk Donaustadt die Vorbereitungsarbeiten für den Betriebsversuch für bis zu 15 Prozent Wasserstoff-Beimischung in einem Bestandskraftwerk gestartet. Gemeinsam mit RheinEnergie, Siemens Energy und Verbund werden wir hier nächstes Jahr zum weltweit ersten Mal Wasserstoff im laufenden Betrieb bei diesem Turbinentyp einspeisen."
Die OMV AG baut gemeinsam mit der Kommunalkredit Austria AG am Gelände der Raffinierie Schwechat einen 10-MW-PEM-Elektrolyseur. Das wird die größte Anlage dieser Art in Österreich, die ab 2023 rund 1500 Tonnen grünen Wasserstoff erzeugen soll. Thomas Uitz, OMV Advisor H2 Mobility: "Eingesetzt wird der grüne Wasserstoff zur Hydrierung von biobasierten und fossilen Kraftstoffen, um grauen Wasserstoff in der Raffinerie zu substituieren. Dies führt zu einer jährlichen Reduktion der OMV Carbon Footprints von bis zu 15.000 Tonnen fossilem CO2 und ermöglicht bei Nutzung von grünem Wasserstoff mehr als 17 Millionen gefahrene Busoder Lkw-Kilometer ohne CO2-Emissionen pro Jahr."
Regionale Vorzeigeprojekte
Auch bei der Energie Steiermark AG geht bald eine Anlage in Betrieb. Vorstandssprecher Christian Purrer und Vorstandsdirektor Martin Graf der Energie Steiermark AG: "Mitte November dieses Jahr beginnt der Probebetrieb des ersten Ausbauschrittes mit einem Elektrolyseur. Dieser ermöglicht eine Produktion von rund 150 Tonnen Wasserstoff jährlich. Bei weiterem Bedarf wird anschließend in einen zweiten Elektrolyseur investiert."Es gibt sogar schon einen ersten Abnehmer für den grünen Wasserstoff. Wolfram, einer der weltweit führenden Anbieter hochwertiger Pulver auf Basis des Metalls Wolfram, wird diesen in der industriellen Produktion einsetzen. Darüber hinaus wird es auch Kunden aus dem Automotivbereich und dem öffentlichen Personenverkehr geben. Zum Beispiel soll damit das Projekt move2zero der Graz Holding mit Wasserstoff unterstützt werden, das eine ganzheitliche Dekarbonisierung des städtischen Bustransportsystems in Graz zum Ziel hat.
Im Juni 2022 wurde zwar vom Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie eine Wasserstoffstrategie verabschiedet, aber Papier ist geduldig. HyCentA-CEO Trattner: "In den Plänen und Strategien werden ambitionierte Ziele gesteckt, aber wir sollten anfangen, die ersten Schritte zu gehen und nicht diskutieren, ob wir in den nächsten Jahren einen Wasserstoffanteil von zehn oder 15 Prozent haben wollen, sondern wie wir zumindest ein bis zwei Prozent erreichen. Verbesserungsbedarf gibt es auch im Baurecht, denn jede lokale Behörde entscheidet bei Wasserstoffinfrastruktur und deren Genehmigungen anders. Das erschwert die Umsetzung von Projekten." Aber auch auf Bundesebene gibt es noch einiges zu regeln, meint Purrer von der Energie Steiermark: "Eine Hürde ist das Fehlen regulatorischer Rahmenbedingungen wie beispielsweise Verordnungen zum Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz. Um international mithalten zu können, müssen auch genügend Förderungen zur Verfügung gestellt werden, soll Österreich unabhängig von Wasserstoffimporten werden."
"Das amortisiert sich für die Umwelt sofort"
Ewald Perwög, Projektleiter MPreis Sustainable Energy Solutions, spricht über die Dekarbonisierungsstrategie der Lebensmittelhandelskette MPreis und den ersten Wasserstoffkreislauf, den ein KMU in Österreich aufgebaut hat.