Panorama

Warum Insekten als Lebensmittel nicht massentauglich sind

Obwohl über essbare Insekten viel geredet wird, landen sie hierzulande noch selten auf dem Teller.

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Die Reaktionen waren heftig, als die EU Ende Jänner weitere Insekten als Lebensmittel zuließ. Die erste Aufregung hat sich gelegt, aber essbare Insekten bleiben ein Thema. Deren zunehmende Verbreitung in Europa fußt auf einem Report des niederländischen Insektenforschers Arnold van Huis gemeinsam mit der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) aus dem Jahr 2013. Demnach sind Insekten eine Proteinquelle mit Zukunftspotenzial, um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Zugleich ist die Insektenzucht umwelt- und klimafreundlicher als die herkömmliche Tierzucht. Diese beansprucht laut FAO rund 70 Prozent der globalen landwirtschaftlichen Flächen und ist für 14,5 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich, Greenpeace zufolge sind es 20 Prozent. Da sich die Nachfrage tierischer Produkte vom Jahr 2000 bis 2050 mehr als verdoppeln werde, braucht es laut FAO-Bericht "innovative Lösungen": Insekten benötigen weniger Platz, Futtermittel und Wasser als Rinder, Schweine und Hühner. Ihre Aufzucht verursacht geringere Emissionen. Als Kaltblütler sind sie extrem effizient dabei, Futter in Protein zu verwerten. Ihr essbarer Anteil ist mit 80 bis 100 Prozent extrem hoch. Mit den Vorzügen der Insektenzucht werben auch Anbieter von insektenbasierten Nahrungsmitteln in Europa, frei nach dem Motto: ist gesund, schmeckt gut und ist klimaschonend. Was aber müsste passieren, damit essbare Insekten tatsächlich den erhofften positiven Effekt auf das Klima haben- zumindest hierzulande?

Mehlwurmzucht in Kärnten

In Europa, wo der Energieeinsatz für die Insektenzucht wohlgemerkt höher ist als in tropischen Gebieten, gibt es mehrere größere Insektenzuchtfarmen. Als europäischer Vorreiter in Sachen Zucht und Forschung gelten die Niederlande, der größte Züchter ist heute Ynsect in Frankreich. Auch in Österreich existiert eine Branche, wenn auch überschaubarer. Im Kärntner Lavanttal etwa züchtet Andreas Koitz von Prime Insects in seiner Hof-Manufaktur seit 2017 Mehlwürmer, mitunter für den menschlichen Verzehr. "Im Gegenzug zu den großen, investorengetriebenen Zuchtbetrieben sind wir eigenfinanziert und arbeiten schon jetzt wirtschaftlich", sagt er. Der Hof ist ihm zufolge der erste und angeblich einzige biologische Mehlwurmzuchtbetrieb in Europa. Im Moment ist allerdings nur der Betrieb selbst biozertifiziert. Eine Bio-Auszeichnung für essbare Insekten gibt es bisher nicht. Als Bio-Betrieb verzichtet Koitz auf Futtermittel, das mit Chemikalien oder Schwermetallen belastet sein könnte. Er füttert vor allem mit Weizenkleie, einem Nebenprodukt der Mehlproduktion, sowie mit Bierhefe aus dem Brauvorgang oder Obst und Gemüse, das für den Handel nicht passt. Die Insekten verarbeitet er selbst zu Produkten wie Schoko-Würmchen, Müsliriegel oder Brotbackmischungen mit Mehlwurm-Anteil. Er verkauft sie im Online-Shop, auf Messen und Märkten. Mit seinen Insektenprodukten will er "den Auswüchsen der Landwirtschaft entgegensteuern": weg von billigem und hin zu seltener konsumiertem, hochwertigem Fleisch plus Insekten als Ergänzung. Ansprechen möchte er vor allem Menschen, die einen Bedarf an hochwertigem Protein haben, etwa sehr sportliche oder ältere Personengruppen.

Das Unternehmen ZIRP Insects mit Sitz in Wien will mit seinen Produkten-vom Proteinriegel mit Buffalowurmmehl bis zu gefriergetrockneten Snack-Grillen-ebenfalls Sportlerinnen und Sportler erreichen, aber auch Menschen, die ihren Fleischkonsum reduzieren wollen, sowie Flexitarier und Veganer. "Insekten sind eine ideale Ergänzung zu pflanzlicher Ernährung", sagt Firmengründer Christoph Thomann. Die Produkte gibt es unter anderem im eigenen Online-Shop zu kaufen, die pflanzenbasierten Burger-Laibchen mit gemahlenen Buffalowürmern auch im Supermarkt. Das Unternehmen bezieht die Insekten von großen europäischen Zuchtfarmen, unter anderem in den Niederlanden und Belgien. Auch dort werden sie mit Überschüssen gefüttert, etwa Altbrot, Biertreber oder für den Verkauf ungeeigneten Karotten. "Für die Insektenzucht wird nichts extra produziert", betont Thomann, "das Futtermittel steht nicht in Konkurrenz zu Lebensmitteln."

Der Absatzmarkt ist noch sehr klein und wird aus unserer Sicht auch in nächster Zeit nicht rasant wachsen.

Teresa Bauer

Ernährungsexpertin, VKI

Bisher wenig Akzeptanz für Insekten-Essen

Trotz einiger Vorreiter sind Insektenprodukte in Österreichs Einkaufsregalen und Restaurants bisher nur vereinzelt anzutreffen. "Der Absatzmarkt ist noch sehr klein und wird aus unserer Sicht auch in nächster Zeit nicht rasant wachsen",sagt die Ernährungswissenschafterin Teresa Bauer vom Verein für Konsumenteninformation (VKI).Der Studie "Die Akzeptanz von Insekten in der Ernährung" aus dem Jahr 2018 zufolge könnten sich nur zehn bis maximal 15 Prozent der Konsumierenden im deutschsprachigen Raum vorstellen, Insekten in ihr Ernährungsverhalten zu integrieren. Laut Thomann von ZIRP Insects sind rund 30 Prozent der österreichischen Bevölkerung bereit für essbare Insekten. "Vorausgesetzt, sie werden angeboten, schmecken gut, und die Vorteile von Insektenprotein werden erklärt", sagt er.


Über die Akzeptanz der Entomophagie, also dem Verzehr von Insekten, forscht der Biologiedidaktiker Florian Fiebelkorn von der Universität Osnabrück. Ihm zufolge sind essbare Insekten in westlichen Gesellschaften aufgrund von Sozialisierung und Esskultur nur wenig akzeptiert. "Wir sind so sozialisiert, dass wir Angst vor bestimmten Tieren wie Ratten, Tauben oder auch Insekten entwickelt haben. Wir befürchten, dass sie uns Krankheiten bringen und krank machen. Wenn wir krankmachende Objekte in Mundnähe bringen, empfinden wir Ekel", erklärt er. Insekten zu essen, entspreche in Europa nicht der sozialen Norm. Um das zu verändern, brauche es systemisches Vorgehen auf mehreren Ebenen gleichzeitig: großflächige Bildungskampagnen, den einfachen Zugang zu insektenbasierten Lebensmitteln und politische Rahmenbedingungen, etwa die Förderung von Start-ups oder eine Steuerreduktion auf insektenhaltige Nahrungsmittel. Zur geringen Akzeptanz kommt, dass essbare Insekten als vergleichsweise teuer gelten. Das will Unternehmer Thomann so nicht stehen lassen. Auf ganze Insekten treffe das zwar aktuell noch zu. Das würde sich aber in den kommenden Jahren ändern, wenn die Nachfrage steige und größere Mengen produziert würden. Produkte mit einem Anteil an verarbeiteten Insekten wie etwa Burger-Laibchen seien aber schon heute nicht teurer als "ein hochwertiges Stück Fleisch, ein Pilzwürstel oder jedes andere Fleischersatzprodukt".Er beklagt die "Preisverzerrung bei tierischen Produkten" und fordert eine "neue Preisrealität, die auch externe soziale und ökologische Effekte der Erzeugung einpreist". Laut Andreas Mayer vom Institut für Soziale Ökologie der Universität für Bodenkultur (BOKU) in Wien könnte "mehr Kostenwahrheit beim Preis für tierische Lebensmittel" wiederum die Akzeptanz von Fleischersatzprodukten erhöhen.

Proteinmythos

Auch wenn Insekten zu essen künftig als normaler wahrgenommen würde: Die erhoffte klimaschonende Wirkung entfalten können Insektenprodukte nur dann, wenn sie tatsächlich Fleisch oder Fleischbestandteile ersetzen, sagt Ernährungswissenschafterin Bauer vom VKI. Werden sie zusätzlich konsumiert, verpuffe der gewünschte Effekt. Zudem sind die Menschen in Österreich grundsätzlich gut mit Protein versorgt, so die Expertin-inklusive Sportlerinnen und Sportler. Der ernährungsphysiologische Nutzen von insektenbasierten Produkten sei aktuell also eher noch gering. Sozialökologe Mayer: "Falls Insekten vorwiegend dafür verwendet werden, noch mehr Protein in alle möglichen Lebensmittel zu mischen, dann wird dies maximal ein gutes Geschäftsmodell sein, aber zu keinen Einsparungen bei Treibhausgasemissionen führen."VKI-Bauer betont, dass es dringend notwendig sei, den Verzehr von Fleisch und Fleischprodukten insgesamt zu reduzieren. "Das wäre aus Klimasicht die wichtigere Variante, als den ohnehin zu hohen Fleischkonsum durch Insekten zu ersetzen."Der Fleischverzehr lag laut Österreich-Ausgabe des Fleischatlas 2021 der Heinrich-Böll-Stiftung im Jahr 2019 noch bei rund 62 Kilogramm pro Person und Jahr. Forscher Fiebelkorn sieht die Berechtigung für essbare Insekten darin, dass es unrealistisch sei, einen Großteil der Menschen von der "gesundheits- und umweltschädlichen Ernährungsquelle Fleisch, Eier und Milch" wegzubekommen. Die Fleischindustrie habe einen regelrechten "Proteinmythos" etabliert, der sich nur schwer wieder abbauen lasse. Deshalb brauche es auf dem Weg zu einer vorwiegend pflanzlichen Ernährung eben Zwischenschritte und alternative Proteinquellen. Dass Insekten einen hohen Eiweißanteil haben, ist unbestritten. Sie enthalten außerdem Omega-3-Fettsäuren, B-Vitamine, Mineralstoffe und ungesättigte Fettsäuren. "Insekten haben auf jeden Fall eine interessante Nährstoffzusammensetzung", bestätigt die VKI-Expertin Bauer. Über ihren Beitrag zu unserer Ernährung müsse trotzdem weiter geforscht werden. Inwiefern das in Insekten enthaltene Chitin die Nährstoffaufnahme herabsetzt, ist noch nicht gänzlich geklärt, meint Bauer.

Insektenbasierte Nahrungsmittel sind nur eine von vielen Fleischalternativen. Gängigere Produkte basieren auf Pflanzen wie Seitan (Weizenprotein) oder Soja. Neuer und laut Forscher Fiebelkorn sehr vielversprechend sind In-vitro-Fleisch oder Fleischersatz aus fermentationsbasierten Proteinen, also aus Luft (Stickstoff), Mikroben und Sonnenlicht. Unternehmer Thomann von ZIRP bleibt vom Klimapotenzial seiner Produkte überzeugt. "Die zunehmende Akzeptanz wird zu mehr Nachfrage führen und das wiederum zu mehr Wirkung."Andreas Koitz baut seine Mehlwurmzucht bei Prime Insects im Moment aus. Er entwickelt noch mehr "massentauglichere" Produkte, bevor er im Einzelhandel präsent sein will. Künftig will Koitz auch Insektenzuchtsysteme für die kleinstrukturierte Landwirtschaft anbieten. "Unser Bauernhof ist seit Jahrhunderten im Familienbesitz, meine Eltern mussten ihn vor rund 20 Jahren aufgeben",erzählt er. "Ich wollte zwar wieder Bauer werden, aber wenn, dann mit der Landwirtschaft von morgen."