Was die 4-Tage-Arbeitswoche bringt
"Wir denken, der alteingesessene Acht-Stunden-Tag beziehungsweise die 40-Stunden-Woche hat ausgedient." Diese klare Aussage stammt von Grayling-CEO Sigrid Krupica. Die Wiener PR-Agentur Grayling hat im Oktober bei Vollzeitbeschäftigten auf eine Vier-Tage-Woche mit 32 Stunden ohne Gehaltsverlust umgestellt: "Die Flexibilität, sich Zeit und Ort der Arbeit frei einzuteilen, ist immer stärker gefragt. Eine interne Umfrage zu diesem Thema hat belegt, dass der Wunsch nach einem neuen Arbeitszeitmodell im Team groß war. Außerdem geht es uns bei Grayling seit jeher mehr um die Leistung und weniger um die Arbeitszeit. Wir sind deshalb sehr zuversichtlich in die neue Ära gestartet und setzen dabei stark auf die Eigenverantwortung unseres Teams-das hat schon in der Pandemie wunderbar funktioniert",so Sigrid Krupica. Der gesetzliche Rahmen gibt Unternehmen jedenfalls in Österreich schon viel Spielraum für eigene Modelle und Experimente. Doch bei Grayling merkt man bereits, dass Adaptierungen nötig sind: So gilt die neue Regelung für Vollzeitbeschäftigte, während man für Teilzeitkräfte erst eine Lösung finden muss.
4-Tage-Experiment in Großbritannien
Mehr Erfahrungen mit der Vier-Tage-Woche gibt es bereits in anderen Ländern. Einer der größten bisherigen Versuche findet aktuell in Großbritannien statt: Mehr als 3000 Beschäftigte in rund 70 britischen Unternehmen und Organisationen haben sich dafür angemeldet. Start war im Juni 2022-der Versuch ist auf einen Zeitraum von sechs Monaten angelegt. Organisiert wird er von der Non-Profit-Organisation 4-Day-Week-Global zusammen mit dem Thinktank Autonomy. Forscher der Universitäten Cambridge, Oxford und Boston College begleiten und evaluieren den Feldversuch. Die teilnehmenden Unternehmen und Organisationen sind dabei sehr unterschiedlich: die Royal Society of Biology, das Brauereiunternehmen Pressure Drop und ein Fish'n-Chips-Geschäft. Dem Versuch liegt ein beliebtes Modell zugrunde: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bekommen 100 Prozent ihres Gehalts, arbeiten 80 Prozent der bisher vorgegebenen Zeit und sollen in dieser Zeit 100 Prozent ihrer bisherigen Leistung erbringen. Grundlage dieses Versuchs ist die Annahme, dass weniger Arbeitszeit aufgrund der erhöhten Freizeit zu mehr Produktivität führt.
Die Organisatoren der britischen Studie lieferten im Herbst eine Zwischenbilanz: Ein Großteil der Befragten bevorzugt demnach das neue Modell-und das ohne Nachteil für Ihre Produktivität im Job. Während sich manche in ihrer Freizeit neuen Hobbys widmen und etwa ein Instrument lernen, nutzen andere den zusätzlichen freien Tag für Hausarbeit. So gelinge es den am Experiment teilnehmenden Personen, Wochenenden freier und mit der Familie zu gestalten. Für die Unternehmen war die Umsetzung der ersten Bilanz zufolge durchaus eine Herausforderung, einige berichten von chaotischen Zuständen und einer mehrwöchigen Umgewöhnungsphase.
Während Großbritannien noch testet, hat Island eine Vorreiterrolle eingenommen. Ein von der Regierung in Auftrag gegebenes Pilotprojekt für die Vier-Tage-Woche mit rund 2500 Beschäftigten führte zur Einführung dieses Zeitmodells. Dabei wurde eine Reduktion des Burnout-Risikos gemessen, die Produktivität und die Qualität von Dienstleistungen verschlechterte sich laut der Studie nicht. Als Reaktion darauf änderte Island die Strukturen, weshalb vergangenes Jahr 86 Prozent der arbeitenden Bevölkerung in anderen Zeitmodellen als der uns bekannten Vollzeitbeschäftigung angestellt waren.
Auch Lena Marie Glaser, Buchautorin ("Arbeit auf Augenhöhe") zum Thema New Work, bewertet die Offenheit und praktischen Versuche positiv. Sie wünscht sich allerdings, dass die Gedanken und Gespräche noch weiter gehen: "Ich beobachte, dass die Vier-Tage-Woche oft mit New Work gleichgesetzt wird, so wie andere darunter in erster Linie Homeoffice verstehen. Also die Frage, wo, wann und wie man arbeitet. New Work und mein Ansatz gehen aber weit darüber hinaus."So beobachtet Glaser, dass immer mehr Menschen sich neue Arbeitsmodelle wünschen. Homeoffice und die Vier-Tage-Woche sind dabei nur Bausteine: "Es geht darum, die Arbeitszeit zu reduzieren und die Arbeitsbedingungen zu verbessern." Zentral wäre dafür ein "Arbeiten auf Augenhöhe".
Trend Quiet Quitting
Der Frust unter den Erwerbstätigen führt zum Phänomen Quiet Quitting. Diese "innere Kündigung" bedeutet, dass sich Mitarbeiter weniger engagieren als möglich. Für Lena Marie Glaser ist dieser Prozess eine direkte Reaktion darauf, zu wenig eingebunden und ernst genommen zu werden: "Hier haben Führungskräfte eine Vorbildfunktion, und es geht letztlich um Partizipation",weiß sie aus der Praxis. Neue Lösungen müssten im Dialog entstehen, das erfordere auch ein Umdenken, was Arbeit und Leistung bedeuten. Und das kann sich auszahlen: "Unternehmen sehen, dass es auch ein Vorteil sein kann, ein guter Arbeitgeber zu sein auf einem Arbeitsmarkt, auf dem sich Arbeitnehmer ihren Job aussuchen können. Dieses Agieren auf Augenhöhe verlangt von Führungskräften und Arbeitnehmern neue Kompetenzen, und auch Entlastungen." Dazu gehört für Lena Marie Glaser auch die betriebliche Gesundheitsvorsorge. Und sie ist überzeugt: Wenn diese Bedingungen gegeben sind und diese Grundsätze beachtet werden, dann profitieren alle, und es gibt eine bessere Arbeitskultur und bessere Jobs, und das nicht nur für Spitzenkräfte und High Potentials. Dafür aber reicht eben die Vier-Tage-Woche nicht aus, sondern es braucht größere Veränderungen. Eine andere Frage bleibt: Wie lange ist der Arbeitsmarkt bei anhaltender Inflation noch so gestaltet, dass sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den Arbeitgeber aussuchen können?
Manche Arbeitgeber zeigen sich jedoch kritisch gegenüber New-Work-Ansätzen. Am lautesten positioniert sich Stefan Pierer, KTM-Vorstandschef und Präsident der Industriellenvereinigung Oberösterreich: "Vier Tage arbeiten und für fünf verdienen, das wird's nicht spielen",sagte er der "Kleinen Zeitung" im Juli. Der Unternehmer argumentiert, dass der Wohlstand, den sich die Gesellschaft in Österreich in den letzten Generationen erwirtschaftet hat, nur durch eine hohe Leistungsbereitschaft möglich war. "Viele Menschen sind demotiviert, weil die Steuerquote so hoch ist. Ich verstehe das. In meiner Generation konnte man sich noch einen anderen Wohlstand schaffen. Das muss wieder zurückkommen",ergänzte Pierer später gegenüber der "Kronen Zeitung".
Freiwillig flexible Arbeitgeber
Große Arbeitgeberverbände wie die Wirtschaftskammer oder auch die Industriellenvereinigung geben sich auf profil-Anfrage verhalten zur Vier-Tage-Woche. Man wolle es ihren Mitgliederunternehmen selbst überlassen, die für sie passendsten Lösungen zu finden. Ähnlich argumentiert auch Dénes Kucsera, Ökonom bei der Agenda Austria: "Es spricht nichts dagegen, dass Unternehmen freiwillig die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter verkürzen. Wenn die Produktivität dadurch steigt, werden Unternehmen das ohnehin anbieten. Dazu braucht es keine Empfehlungen der Politik oder des Staates. Das sind individuelle Entscheidungen von Betrieben und Angestellten." Kucsera sieht die Politik gefragt: "Österreich ist ein Hochsteuerland. Vor allem Arbeit ist so hoch besteuert wie in kaum einem anderen Land im Euro-Raum. Gemessen an den Arbeitskosten haben Österreichs Arbeitnehmer die drittniedrigsten Nettolöhne in der industrialisierten Welt. Damit ist der finanzielle Anreiz, Arbeit aufzunehmen, in kaum einem anderen Land geringer."
Für die Wirtschaftskammer sind die Strukturen für flexible Arbeitszeiten gegeben, erklärt ein Sprecher auf Anfrage: "Die Einführung einer Vier-Tage-Woche ist für einzelne Betriebe ein gangbarer Weg, um den Mitarbeitern Wegzeiten zu ersparen, mehr zusammenhängende Freizeit zu ermöglichen und so als Arbeitgeber attraktiver zu werden. Durch die gesetzliche Flexibilisierung der Arbeitszeit im Jahr 2018 ist es rechtlich möglich, durch die Verteilung der Arbeitszeit auf weniger Wochentage eine Vier-Tage-Woche einzuführen. Allerdings ist das stark von den betrieblichen Abläufen abhängig und daher nicht überall möglich. Schließlich erwarten Kunden an fünf Tagen, oft auch am Samstag, Betreuung. Aus diesem Grund muss die Einführung einer Vier-Tage-Woche freiwillig bleiben bzw. im gegenseitigen Einvernehmen erfolgen. Ein einseitiger Rechtsanspruch ginge vielfach an der betrieblichen Realität vorbei."
Die Arbeiterkammer zeigt sich in ihrer offiziellen Position aufgeschlossen gegenüber dem Vier-Tage-Modell. Sie appelliert, nicht nur Stunden umzuschichten, sondern wirklich die Arbeitszeit und auch die erwartete Leistung zu verringern. Dafür sei eine gesetzliche Kürzung der Normalarbeitszeit notwendig. Davon gab es in der Vergangenheit schon einige: 1959 führte Österreich die 45-Stunden-Woche ein. Ab 1970 wurde stufenweise reduziert, die 40-StundenWoche kam 1975. Zehn Jahre später folgten die in vielen Branchen mittlerweile üblichen 38,5 Stunden. Eine neuerliche Arbeitszeitverkürzung auf etwa 32 Stunden wäre also ein historischer Schritt.
"Wir erhalten spürbar mehr Bewerbungen"
Die PR-Agentur Grayling spürt seit der Einführung des neuen Arbeitsmodells mehr Drive im Team. CEO Sigrid Krupica gibt Einblick in die Details.