Wie kleine Marken den Elektronik-Markt aufmischen
Denkt man an Unterhaltungselektronik, so denkt man vor allem an Namen wie Samsung und Apple. Sie machten laut Marktforscher Counterpoint bei Smartphones im zweiten Quartal 2022 einen globalen Marktanteil von 21 und 16 Prozent aus. Knapp 60 Prozent des weltweiten Handy-Verkaufs fallen auf andere Hersteller. Unter sie reihen sich immer mehr Anbieter, die eine Alternative zu den Giganten anbieten wollen. Diesen Sommer präsentierte Carl Pei, der Gründer der Smartphone-Marke Oneplus, das Nothing Phone. Die Tech-Presse bezeichnet das Gerät als Anti-iPhone, für Pei ist es eine Alternative für frustrierte Nutzerinnen und Nutzer: "Konsumenten denken, dass Smartphone-Marken bewusst Features für nächste Launches zurückhalten, das stimmt aber nicht. Aber wenn sie so denken, sind sie wohl gelangweilt",erklärt er die Beweggründe in einem Interview mit dem Portal Engadget. Das Londoner Start-up will sich mit einzigartigen Produkteigenschaften von der großen Konkurrenz abheben, und auch in Österreich schlagen einige Hidden Champions einen ähnlichen Weg ein.
Audio aus Österreich
"Lauter Wahnsinnige, die das gerne tun, Patente halten und innovativ sein wollen."So beschreibt Martin Seidl, Gründer von Austrian Audio, den Antrieb zum Aufbau des eigenen Unternehmens. Und das mit Erfolg: Mikrofone von Austrian Audio werden auf Welttourneen von den größten internationalen Stars verwendet: Die Sound-Engineers der Rolling Stones, von Sting, Bon Jovi oder auch Jeff Beck greifen auf die Mikrofone und Kopfhörer aus Wien zurück. Der ORF nutzt diese für die Live-Übertragung des Neujahrskonzerts in 98 Länder. Neben anderen Innovationspreisen konnte Austrian Audio auch den wahrscheinlich wichtigsten Preis der Branche, den "Tec Award 2022",für den besten Kopfhörer des Jahres-den Hi-X65-gewinnen.
Unternehmen wie Austrian Audio eint die Motivation, auf dem Markt eine Alternative zu den großen Global Playern wie Sony, Samsung oder Apple zu bieten. Gerade in Europa wollen die vergleichsweise kleinen Betriebe mit Qualität, Design und Service punkten-und auch in Umwelt-und Nachhaltigkeitsfragen dem großen Mitbewerb voraus sein. In Wien-Liesing bei Austrian Audio hat man sich nicht per Zufall zusammengefunden. Ein Teil der Geschichte geht auf den renommierten Hersteller AKG zurück, der nach wirtschaftlichen Schwierigkeiten 2016 schließen musste. Martin Seidl gründete 2017 mit anderen Ex-Kollegen Austrian Audio, um sich auf dem Profiakustik-Markt zu etablieren. Heute beschäftigt das Unternehmen mehr als 50 Mitarbeiter und exportiert den Großteil seiner Produkte ins Ausland.
Als Erfolgsfaktor sieht Gründer Seidl die Überzeugung, dass sich Klangqualität mit modernster Übertragungstechnik verbinden lässt. Das Kernstück ist eine weltweit patentierte Kapseltechnologie, die den Klang der Mikrofone und Kopfhörer bestimmt. Doch während andere in der Industrie Digitalisierung ablehnen, hat sich Austrian Audio dazu entschlossen, die Geräte in einen modernen digitalen Workflow integrierbar zu machen. Während der sogenannte Audiopfad komplett analog bleibt, können Austrian-Audio-Produkte etwa per Bluetooth-Dongle in moderne Arbeitsumgebungen eingebunden werden. "Wir haben intern den Anspruch, nichts zu machen, was es schon gibt, sondern es besser zu machen", erklärt Martin Seidl.
Produkte für Profis und Prosumer
Parallel zum Profi-Markt entwickelt das Start-up eine Schiene für die breite Masse. Vor einigen Jahren nannte man sie Prosumer, Martin Seidl nennt sie Aspirationals. Die Produkte für diesen Markt verfügen grundsätzlich über die gleiche Technik, sind aber einfacher aufgebaut. Auf manche Features verzichtet man, um diese Geräte günstiger anbieten zu können. "In den letzten Jahren sind viele große Marken auf den Audiomarkt gedrängt, die nicht hier zu Hause sind und die Produkte in erster Linie als Zubehör verkaufen. Mit diesen steigen wir nicht in den Ring. Wir sprechen jene an, die etwas anderes wollen",so Seidl.
Ein weiteres österreichisches Unternehmen, das diesen Anspruch verfolgt, ist Pro-Ject aus Mistelbach. Heinz Lichtenegger hat Pro-Ject 1991 gegründet, als die Compact Disc sich größter Beliebtheit erfreute. Von Streaming und anderen Technologien war noch lange nicht die Rede. Lichtenegger wollte möglichst viele Personen für das Hobby Hi-Fi begeistern und ein Stereoerlebnis zu attraktiven Preisen bieten. Die Plattenspieler wurden laut dem Gründer vom Start weg in Europa handgefertigt. Dazu kaufte er mit seiner Firma Audio Tuning eine Fabrik in Tschechien und baute später einen internationalen Vertrieb auf. Zum Portfolio des Audiospezialisten gehören neben Plattenspielern etwa das Pro-Ject-Box-System, das hochwertige Hi-Fi-Komponenten in kleine Designer-Kisten steckt. Um das Geschäft weiter auszubauen, hat Lichtenegger in den vergangenen Jahren Mitbewerber wie die vormals britische Musical Fidelity übernommen. Heute beschäftigt das Unternehmen 45 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Österreich sowie 700 weitere in den Produktionsstätten.
Nachhaltige Produktion in China
Das Vinyl-Revival der vergangenen Jahre bedeutet auch mehr Mitbewerb für Pro-Ject. Auch wenn Stückzahlen und Rentabilität für Heinz Lichtenegger natürlich eine Rolle spielen, so kommt er noch heute ins Schwärmen, wenn er seine grundsätzliche Idee erklärt: "Musik und die Stereotechnologie leben vom Zuhören und von der Zeit, die man sich dafür nimmt. Eine Platte braucht ein bisschen Pflege und Interesse. Wer eine Schallplatte auflegt, nimmt sich mehr Zeit für die Musik. Es geht nicht um den höheren Preis, sondern darum, das Leben zu genießen." Der Unternehmer verbindet diesen Anspruch mit Nachhaltigkeit: Seine Fabriken und Standorte verwenden eigenen Angaben zufolge moderne Bauweisen und Energiesysteme, um die Umwelt zu schonen. Um neue Kundensegmente anzusprechen, betreibt Lichtenegger mit Tonefactory eine neue Marke für die Plugand-play-Generation. Diese Plattenspieler setzen ebenfalls auf hochwertiges Material und entsprechendes Gewicht, sind aber deutlich zugänglicher und auch günstiger als die Pro-Ject-Plattenspieler.
Zurück zum milliardenschweren Smartphone-Markt und zu seinen alternativen Herausforderern: Mit ihrem Start-up Shift bauen die Gründer Samuel und Carsten Waldeck die nächste Handy-Generation: "Wir wollen jene ansprechen, die Wert auf Nachhaltigkeit legen, auf Datenschutz und soziale Standards", erzählt CEO Samuel Waldeck. Der Ansatz von Shift sei nicht, das Produkt neu zu denken, sondern sich breit zu engagieren: "Das Produkt ist nur Mittel zum Zweck".Ihre Handys sind aber im Gegensatz zu den meisten Herstellern modular aufgebaut: Die Geräte können laut den Gründern ohne Werkzeug repariert oder einzelne Komponenten auch durch neuere oder bessere Bauteile ersetzt werden. "Nichtreparierbarkeit ist ein Designfehler",macht Samuel Waldeck den Unterschied klar. Dieser Ansatz wurde bereits mit dem deutschen Nachhaltigkeitspreis in der Kategorie Design ausgezeichnet.
Gefertigt werden die Shiftphones in einer eigenen Fabrik in China. Das Unternehmen betont, ein Mehrfaches des üblichen Lohns zu zahlen, europäische Standards zu pflegen und diese langfristig zu kontrollieren. Auch bei den Rohstoffen achte man auf vertrauenswürdige Lieferanten. Die Gründer selbst leben in Hessen ländlich, haben einen Dorfladen eröffnet und wollen Demokratie und den Austausch im realen Leben fördern. "Es ist diese Breite, die uns ausmacht, dieser generelle Ansatz. Aber der heißt eben nicht, dass wir nicht auch jeden Abschnitt der Lieferkette besser machen wollen",so Samuel Waldeck.
Bei der Unternehmensfinanzierung hat Shift bislang von traditionellen Investoren abgesehen. Stattdessen verkauft das Start-up die Produkte über Crowdfunding teilweise vor der Fertigung. Bei einzelnen Produkten gibt Shift den Kunden die Option, mehr zu zahlen und das Gerät dafür früher zu erhalten. Das Konzept will das Unternehmen aktuell auf andere Produktkategorien ausweiten und entwickelt mithilfe eines Crowdfundings einen Bluetooth-Kopfhörer. Die Produkte werden bislang nur auf den eigenen Vertriebskanälen verkauft, um den direkten Kontakt zur Kundschaft zu behalten. Derzeit sind die Shiftphones nur im deutschsprachigen Raum erhältlich, eine internationale Expansion sei angedacht. Nicht zuletzt wolle man auch eine Vorbildfunktion für die globale Branche einnehmen.
Neue Zielgruppen am Handy-Markt
Ein weiterer kleiner Handyproduzent ist Emporia Telecom aus Linz. Das Unternehmen spricht mit seinen Produkten ältere Menschen an, die auf deren Bedürfnisse eingehen und besonders lange halten sollen-um sich nicht immer an neue Geräte gewöhnen zu müssen, erklärt Geschäftsführerin und Eigentümerin Eveline Pupeter. Auch die Lieferkette, die Arbeitsbedingungen und die Transportwege spielen in der Strategie eine tragende Rolle-nicht zuletzt, weil immer mehr Unternehmen von ihren Lieferanten hier höhere Standards einfordern: "Ein Teil des Erfolgs von Emporia beruht auf der konsequenten Umsetzung von nachhaltigen Arbeitsabläufen und dem verantwortungsvollen Umgang mit den Ressourcen. Emporia wird sowohl in Europa als auch in Fernost laufend von unterschiedlichen Institutionen auditiert, um die Nachhaltigkeit der globalen Lieferkette zu garantieren",so Pupeter. Großkunden wie Magenta, Hartlauer oder Vodafone verlangen laut der Emporia-Chefin bereits einen Nachweis für den verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen.
Welche Bedeutung kleine Elektronikanbieter aus Konsumentensicht haben, erklärt Reinhold Schranz, Leiter des Europäischen Verbraucherzentrums Österreich. "Wir beobachten in Bezug auf die Beschwerden, etwa die Gewährleistung betreffend, keine signifikanten Unterschiede, die sich an der Unternehmensgröße oder Ausrichtung festmachen lassen. Zu Beschwerden kommt es bei den großen Unternehmen genauso wie bei den kleineren. Beim Service haben kleinere vielleicht den Vorteil, dass sie in ihren Strukturen besser auf individuelle Probleme sowie Kundinnen und Kunden eingehen können." Was Schranz sehr wohl beobachtet, ist eine Gefahr, die in letzter Zeit vermehrt durch undurchsichtige Händler auftritt: "Vielen Kunden ist etwa auf Amazon Marketplace gar nicht klar, bei wem sie kaufen und wer ihr Vertragspartner ist. Dies kann zu massiven Problemen in der Rechtsdurchsetzung führen, vor allem, wenn der Händler in einem Drittstaat wie China seinen Sitz hat." Der Kauf bei einem österreichischen oder europäischen Händler habe den Vorteil, einen Ansprechpartner direkt in Europa zu haben und seine Rechte leichter als in einem Drittstaat durchsetzen zu können.
Nachhaltig und fair produziert: Wie sehr die Hersteller den Wünschen der Kunden und des Handels nachkommen, hat "Stiftung Warentest" untersucht. Die Tester baten sieben große und zwei kleine Produzenten mittels Fragebogen um Auskunft: Fairphone und Shiftphone werben zwar mit ihrem hohen Sozial-und Umweltengagement, eine ethisch einwandfreie Produktion eines Smartphones kann aber kein Hersteller garantieren. Dafür sei die Vielfalt der notwendigen Materialien zu groß und die Lieferkette zu lang. Das Interesse der größeren Hersteller, eine faire Fertigung auch nachzuweisen, scheint gering: Google, Huawei, Sony und Xiaomi beantworteten die Fragebögen der Tester gar nicht. Nokia lieferte so dürftige Angaben, dass die Tester das Gesamturteil mit "Nicht Zufriedenstellend" ausweisen. Apple erreichte ein "Wenig Zufriedenstellend",weil es so wie der Marktführer Samsung nur auf eine gute Unternehmenspolitik verweisen konnte. Der südkoreanische Konzern gab sich auskunftsfreudiger und erreichte damit ein "Durchschnittlich".Das Gesamturteil "Gut" schafften Shiftphone und Fairphone, weil sie den Testern in alle Bereiche Einblick gewährten: Die Tester konnten etwa die Montagewerke per Online-Videoschaltung live besichtigen und mit der Belegschaft sprechen. Fazit: Hinter den großen Ethik-Versprechen der großen Hersteller verbirgt sich kaum Konkretes. Die Nischenhersteller hingegen nehmen sich selbst mehr in die Verantwortung und wollen damit schließlich ihre Positionierung als alternative Marken stärken.