Mahlodji in den Whatchado-Büros in Wien.

Ali Mahlodji: "Die ideale Schule setzt nicht Wünsche von Politikern um"

Ali Mahlodji: "Die ideale Schule setzt nicht Wünsche von Politikern um"

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Schulabbrecher, Jobhopper, Vorzeigeflüchtling, Start-up-Star: Ali Mahlodji wurde schon in viele Schubladen gesteckt. Für die Schüler, die er im Rahmen der "WhatchaSkool"-Vorträge besucht, will er "einfach nur Ali" sein. Das Projekt soll Kindern und Jugendlichen eine neue Form der Berufsorientierung bieten: persönlich, ehrlich und Smartphone-freundlich.

profil: Herr Mahlodji, Sie selbst haben die Schule abgebrochen, wie kam es dazu, dass Sie heute regelmäßig an Schulen Vorträge halten? Ali Mahlodji: Die einzige Art wirklich etwas zu verändern ist, sein Wissen weiterzugeben. Ich kenne das Gefühl, dazusitzen und sich zu denken, das ist vergeudete Zeit. Ich hatte nie ein Problem mit dem Thema Bildung, ich wollte immer alles wissen. Aber ich habe es nicht akzeptiert, dass da vorne Menschen gesessen sind, die es nicht interessiert hat. Ich habe mich auch bei vielen Sachen gefragt, warum muss ich das lernen? Ich habe keine Antwort bekommen, die Sinn gemacht hat. Ich stand auf Kriegsfuß mit dem System.

profil: Sie wollten es also besser machen? Mahlodji: Als ich später die Chance bekommen habe, als Lehrer zu arbeiten, habe ich mir gedacht, das muss ich nutzen. Denn wenn man im Leben Probleme hat, kann man drüber schimpfen, oder man kann es besser machen. Dinge verändert man nur, wenn man nicht mit dem Finger darauf zeigt, nicht jemand anderen dafür verantwortlich macht, sondern versucht selber mit gutem Beispiel voranzugehen. Wenn ich warte, bis die Politik das Bildungssystem verändert, brauche ich keine Kinder in die Welt zu setzen. Wenn ich heute mit meinen Vorträgen zwanzig Kinder inspirieren kann, dann mache ich das. Wenn das heißt, ich stelle mich in eine Klasse und mache mich zum Kasperl, dann mache ich das.

Selfie mit Käppi.

profil: Wie entstand das "WhatchaSkool"-Projekt? Mahlodji: "Whatchado" wurde immer bekannter und irgendwann haben sich Schulen bei uns gemeldet, ob wir zu ihnen kommen können. Es waren meistens Schulen, bei denen die Kinder einen schwierigen Background hatten und ein bisschen Unterstützung brauchten. Die erste Schule, an der ich war, war eine Volksschule und ich habe gewusst, die schlafen mir ein. Also haben wir den Vortrag cool und lustig gemacht und die Kinder gefragt: Was wollt ihr? Dann hat uns die Schule noch einmal eingeladen. Wir haben gesehen, dass es einen riesigen Bedarf gibt.

profil: Was machen Sie anders als andere Berufsberatungen? Mahlodji: Ich glaube, dass "Whatchado" und "WhatchaSkool" Lösungen sind, die wir selbst gerne bei unserer Orientierungssuche gehabt hätten. Wir haben unsere Vorträge nicht wissenschaftlich fundiert, wir haben sie nicht mit Experten besprochen. Wir haben uns gefragt: Was interessiert Kids, was bleibt hängen, was können wir transportieren, was ist ehrlich? Jeder von uns hat eine andere Geschichte, wir alle haben in unserem Leben so vieles gelernt, so viele Ups and Downs erlebt, aber darüber wird nicht gerne geredet. Man wird schnell einmal in eine Schublade gesteckt, und das möchten wir den Kindern abgewöhnen. Wir möchten ihnen nicht sagen, da war jetzt der CEO von einer GmbH da, sondern der Ali, der so redet, wie er es sich denkt.

Unser Bildungssystem ist gemacht für das Zeitalter der Industrialisierung.

profil: Sie sind in vielen Schulen unterwegs, sprechen mit Schülern und Lehrern, was fehlt dem österreichischen Schulsystem? Mahlodji: Ich war in Schulen mit Kindern aus sehr schwierigen Verhältnissen, ich war in privilegierten Privatschulen. Überall wissen die Lehrer, dass die Kinder in dem jetzigen System nicht auf den Arbeitsmarkt, auf die Welt vorbereitet werden. Du bist entweder gut, oder du bist schlecht. Du lernst in der Schule aber nicht, wie du dir selber Informationen organisieren kannst. In jedem Unternehmen der Welt muss man sich selbst organisieren. Man muss einen guten Mittelweg finden, wie man seine Probleme löst. Das lernt man im momentanen Bildungssystem nicht. Unser Bildungssystem ist gemacht für das Zeitalter der Industrialisierung, in dem man Menschen gebraucht hat, die in die Fabrik kommen und dort acht Stunden arbeiten.

profil:Gibt es Willen zur Veränderung? Mahlodji: Alle Lehrer und Bildungsexperten, die ich getroffen habe, sagen, sie wollen etwas verändern. Am Bildungsmarkt tut sich viel, aber oft aus privaten Initiativen heraus. Viele Lehrer schaffen es auf kreative Art und Weise das System zu ändern und andere verzweifeln.

profil: Was muss sich ändern? Mahlodji: Die ideale Schule setzt nicht die Wünsche von Politikern um, sondern fragt sich zuerst: Warum brauchen wir eine Schule? Die Antwort ist: Es gibt da draußen Herausforderungen in der Arbeitswelt, auf die wollen wir die Kinder vorbereiten. Wie ist denn diese Arbeitswelt? Welche Art von Menschen benötigt sie? Heute braucht es Menschen, die flexibel sind, die zwischen den Kulturen arbeiten können, die ihr individuellen Stärken einbringen. Dann muss man sich überlegen: Diese Kinder, die ich ausbilde, wie ticken die? Aus der Forschung wissen wir, ein Kind lernt teilweise nichts im Frontalunterricht, sondern nur, wenn die Neugierde geweckt wird.

Wir wissen, dass Kinder Prüfungsängste haben

profil: Wie sieht die ideale Schule aus? Mahlodji: Wir brauchen eine Schule, die sie sich auf die Kinder fokussiert. Wer sind diese Kinder, welche Herausforderungen warten in der Arbeitswelt auf sie? Dann entsteht automatisch eine Schule, die den Kindern vorgibt: Das ist das Ziel, das wollen wir lernen und du hast alle Möglichkeiten, die du brauchst. Bring es dir einmal selber bei und wenn du nicht weiterkommst, kannst du einen Lehrer fragen. Dasselbe bei Prüfungen: Nirgendwo in der heutigen Arbeitswelt sagt dein Chef plötzlich zu dir: "Nächste Woche haben wir alle Prüfung!" Wir wissen, dass Kinder Prüfungsängste haben, sie haben Stress. Ein neues Schulmodell gibt dem Kind die Möglichkeit selbst zu bestimmen, ob es bereit für die Prüfung ist. So muss die neue Schule gedacht werden.

profil: Was braucht der Markt? Mahlodji: Ein Kind muss mir keine Formel aufsagen können, sondern wissen, wo es sie findet. Ist die Quelle zuverlässig oder nicht? Die Kinder müssen lernen, sich selbst zu organisieren. Wie kann ich eine Fragestellung lösen, ohne dass ich die Lösung jetzt schon weiß? Das ist die Qualifikation, die die Zukunft braucht. Klar, es gibt Jobs, da muss man das Handwerk erlernen. Aber man muss auch wissen, wie man zu dem Wissen kommt, wenn man es nicht vorher an der Uni gelernt hat. Man muss den Leuten beibringen zu verstehen, dass sie eigentlich nichts wissen. Wir müssen den Menschen beibringen, wie man in Teams arbeitet, wie man Wissen weitergibt, wie man zwischen Kulturen arbeitet, wie man mit Leuten arbeitet, die anderer Meinung sind.

Mahlodji bei einem Vortrag in der Höheren graphische Bundeslehr- und Versuchsanstalt in Wien-Penzing.

profil: Sie sind seit 2013 EU-Jugendbotschafter, versuchen also Kinder in einer Zeit zu vertreten, in der die Jugendarbeitslosigkeit so hoch ist, wie noch nie. Mahlodji: Ich war erst vor ein paar Monaten wieder in Brüssel und bin in einer Diskussion gesessen, bei der über Jugendliche gesprochen wurde. Ich habe mir die Frage gestellt, warum sitzt hier kein Jugendlicher und redet mit? Meine Aufgabe als EU-Jugendbotschafter ist, Politikern immer wieder vor Augen zu führen, was da draußen wirklich passiert. Ihr redet über Kommunikationsformen, wollt Social Media-Projekte auf Facebook machen, um Jugendliche zu erreichen? Die sind aber gar nicht mehr dort! Das ist meine Aufgabe, es geht darum eine Art Sprachrohr zu sein, aber auch ein Vorbild.

Ein Flüchtling ist perfekt für den Arbeitsmarkt.

profil: Apropos Vorbild: Sie wurden von Sebastian Kurz auch zum Integrationsbotschafter ernannt. Sie sind selbst mit zwei Jahren als Flüchtling nach Österreich gekommen. Mahlodji: Ich bin froh, dass ich das damals noch nicht mitbekommen habe. Die Art und Weise, wie Anhänger einer gewissen Partei Flüchtlinge in Wien-Erdberg empfangen haben, halte ich für falsch. Man merkt, die Angst überwiegt. Es werden die falschen Dinge diskutiert. Wir reden ernsthaft darüber Grenzen aufzuziehen, anstatt nachhaltig zu denken. Anstatt zu sagen, wir sind eine Union, wir können diese Leute verteilen und in die Gesellschaft und Arbeitswelt integrieren.

profil: Wie kann das gelingen? Mahlodji: Wenn man in der Arbeitswelt mit Vorständen redet, mit Arbeitsforschern, sagen die, was der Arbeitsmarkt aktuell braucht, sind Menschen, die sich auf unterschiedliche Kulturen einlassen können, die mehrsprachig sind, die flexibel sind. Ein Flüchtling kann mehrere Sprachen, kann mit verschiedenen Kulturen umgehen, hat die Flexibilität mit Dingen umzugehen. Ein Flüchtling ist perfekt für den Arbeitsmarkt. Als Kind war ich ein Fehler im System, jetzt bin ich genau das, was der Arbeitsmarkt braucht. Man muss zumindest die Möglichkeit andenken, diesen Menschen Chancen zu geben und sie zu begleiten. Auch wenn man 100 Menschen eine Chance gibt und 99 nutzen sie nicht, der eine, der sie zu schätzen weiß, und über sich hinauswächst, an dem muss man festhalten.

Ali Mahlodji, 34, ist Gründer und Geschäftsführer von "Whatchado", EU-Jugendbotschafter auf Lebenszeit, EU-Ambassador for the "new narrative" sowie Integrationsbotschafter.