BFI-Pädagoge Karl Pleyl mit seinen Schülerinnen Anna (li.) und Muraweed.

Sprachregelung: So gelingt die multikulturelle Schule

Sprachregelung: So gelingt die multikulturelle Schule

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Die Frage fällt in den meisten Bewerbungsgesprächen: Welche Sprachen beherrschen Sie? Als Antwort wird der fließende Umgang mit zwei, besser drei Sprachen fast schon selbstverständlich vorausgesetzt. In den Jahren, bevor diese Frage üblicherweise gestellt wird, also in der Schule, fehlt diese Selbstverständlichkeit seltsamerweise völlig. Mehrsprachigkeit wird hier häufig nicht als Ressource, sondern als Hemmschuh betrachtet.

Ein Umdenken erscheint zwingend notwendig: Bei 21 Prozent der rund 680.000 schulpflichtigen Kinder in Österreich ist Deutsch nicht die Muttersprache; in Wien macht dieser Anteil sogar 50 Prozent aus. Zugleich zeigen Bildungsevaluierungen eine deutliche Diskrepanz zwischen den Leistungen von Einheimischen und Schülern mit Migrationshintergrund. Unter Letzteren ist der Anteil derer, die maximal den Pflichtschulabschluss erreichen, mit 30 Prozent doppelt so hoch wie unter Einheimischen.

21 Prozent der schulpflichtigen Kinder in Österreich haben nicht Deutsch als Muttersprache.

Die Resultate der Pisa-Tests festigen diesen Eindruck. Doch auf welche Weise können Schüler mit Migrationshintergrund besser gefördert werden? Die vorhandenen Maßnahmen wirken halbherzig bis lieblos. Bildungsexperten hoffen nun auf die Wirkung der öffentlichen Diskussion über Flüchtlinge: Auch wenn die 8000 schulpflichtigen Flüchtlinge, von denen dabei die Rede ist, nur einen minimalen Anteil der Schüler im heimischen Bildungssystem ausmachen, könnte diese Debatte zur allgemeinen Sensibilisierung im Umgang mit Mehrsprachigkeit beitragen.

Im Zuge der Flüchtlingskrise wurde schon eigenes Lehrmaterial in Form kostenloser Apps und zweisprachiger Bücher entworfen. Um die Mehrsprachigkeit als Ressource zu nutzen und unterschiedliche Kulturen und Wertewelten als Bereicherung für den Unterricht einzusetzen, muss jedoch noch viel getan werden. Was genau, das hat profil im Gespräch mit Lehrern, Schülern und Bildungsexperten eruiert: Hier sind die fünf goldenen Regeln für den erfolgreichen Umgang mit mehrsprachigen Kindern.

1. Selbstbewusstsein geben

"Viele Eltern denken, dass sie mit ihren Kindern deutsch sprechen müssen - auch wenn es nicht ihre stärkste Sprache ist“, sagt Barbara Herzog-Punzenberger, Forschungsleiterin der Arbeitsbereiche Migration und Bildung der Johannes-Kepler-Universität in Linz. Dabei ist längst bekannt, dass ein festes Sprachfundament den weiteren Spracherwerb begünstigt, wenn nicht gar erst ermöglicht.

Spricht einer der Elternteile fließend deutsch, ist das umso besser: Längst attestiert die Hirnforschung der Mehrsprachigkeit regelrechte Wunderwirkungen, angefangen von besseren meta-kognitiven Fähigkeiten bis zur Verzögerung von Alzheimer. "Sollten die Eltern aber nicht so gut deutsch sprechen, dürfen wir uns nicht aufregen, wenn das Kind im Kindergarten noch kein Deutsch spricht“, so Herzog-Punzenberger. "Der Mutter das Gefühl zu geben, sie wäre an Sprachdefiziten schuld, ist genau der falsche Weg.“

Mussten Kinder ihre Heimat schon als Kleinkinder verlassen oder sind sie gänzlich in Österreich aufgewachsen, beschränken sich ihre Muttersprachkenntnisse oft auf Grundvokabular und Alltagsjargon. Förderkurse sind dann nicht nur in Deutsch, sondern auch in der Herkunftssprache von Vorteil. So bietet die Volksschule Ortnergasse im 15. Wiener Bezirk Türkisch und Serbisch als Zusatzstunden an, die Kaufmännischen Schulen des BFI Bosnisch, Kroatisch und Serbisch als Sprachzweig. "Wir müssen die Wertung der Fremdsprachen ablegen. Die Kinder werden für ihre Mehrsprachigkeit stigmatisiert, obwohl sie eigentlich mehr können als ‚rein österreichische‘ Schüler“, meint der BFI-Pädagoge Karl Pleyl.

2. Deutsch lehren

"Nie habe ich ein lähmenderes Gefühl erlebt, als die Unfähigkeit, mich im Unterricht auszudrücken“, erzählt die 18-jährige HAK-Schülerin Muraweed, die vor zehn Jahren aus Afghanistan nach Wien kam. "Da meine Muttersprache Dari ein anderes Schriftbild hat, konnte ich nicht einmal Buchstaben lesen. Es war mir so peinlich. In meiner Klasse gab es auch keine anderen Afghanen, die mir hätten helfen können.“ Ihre Klassenkollegin Anna, 21, hatte da schon mehr Glück: Als sie im Alter von elf Jahren aus Serbien nach Wien kam, verschafften ihr Mitschüler, die neben Deutsch auch Serbisch sprachen, einen Zugang zur deutschen Sprache. Inzwischen übernehmen häufig Begleitlehrer diese Funktion.

Ohnehin hätte sich die Situation stark verbessert, seit das verpflichtende Kindergartenjahr eingeführt wurde, berichtet Lehrerin Saskia Hula von der Volksschule Ortnergasse: "Ich habe inzwischen kaum Schüler, die gar kein Deutsch sprechen.“ Im Unterricht kann sie die verschiedenen Niveaus gut austarieren: "Gerade in Deutsch ist es einfach - da schreibt jeder auf seinem Niveau, Bücher kann ich individuell zuteilen.“ Laut der Migrations- und Bildungsexpertin Herzog-Punzenberger verfügt jedoch nicht einmal die Hälfte der heimischen Lehrer über entsprechende Erfahrung oder eine Ausbildung zum sprachsensiblen Unterricht.

Idealerweise sollten entsprechende Schulungen vom gesamten Lehrpersonal eines Schulstandorts absolviert werden und nicht nur von einzelnen Experten. Ressourcenknappheit spielt hier eine große Rolle. "Oft müssen unsere Sprachlehrer für kranke Kollegen einspringen, weil wir einfach zu knapp aufgestellt sind. Dann fällt der Sprachunterricht aus“, beklagt Hula.

3. Vertrauen aufbauen

"Hausbesuche“ lautet der schlichte Name des Schulprojekts, in dem Saskia Hula die Lebenswelten ihrer Schüler kennenlernt. "Es kostet zwar Zeit, bringt aber Energie“, zieht die Volksschullehrerin Bilanz. Zweck der Hausbesuche wäre nicht die Belehrung der Eltern, sondern das gegenseitige Kennenlernen: "Wenn ich weiß, dass die Mutter nicht mit ihren Kindern lernt, weil sie bis spät arbeitet, habe ich viel mehr Verständnis für die Lebensrealitäten der Schüler.“ Hula bemüht sich, auch die islamischen Feiertage zu kennen und beschränkt die Bedeutung von Weihnachten im Unterricht auf das Brauchtum. "Als Lehrerin muss man auch die Heimatkultur des Kindes schätzen. Kein Mensch würde sich an etwas anpassen wollen, von dem er ständig nur Herabschätzung erfährt.“

4. Zugehörigkeit schaffen

"Nach Luxemburg stehen wir europaweit an zweiter Stelle beim Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund. Das ist die Realität. Davor die Augen zu verschließen, ist sinnlos“, betont die Bildungsexpertin Barbara Herzog-Punzenberger. Der Lehrplan müsse dieses Gesellschaftsbild wiedergeben. Kinder sollten ihr Familienleben im Unterricht wiedererkennen können, um sich als Teil dieser Gesellschaft zu fühlen. Fehlt diese Zugehörigkeit, kommt es leicht zu Entfremdungsprozessen.

Ähnliches meint die 21-jährige Anna aus Serbien, wenn sie sagt: "Schule muss auf das echte Leben vorbereiten. Wenn ich in einer Stadt lebe, in der die Realität multikulturell ist, sollte das im Unterricht widergespiegelt werden.“ In diesem Sinne fordert auch Astrid Holzinger, Bildungsreferentin der Arbeiterkammer, dass die ethnische Vielfalt der Gesellschaft bei den Lehrkräften abgebildet wird. Die Handlungen der Lehrer werden entscheidend dazu beitragen, "ob wir demnächst in einer von Zusammenhalt geprägten Gesellschaft leben werden oder in einer, in der ein Großteil der Bevölkerung alleine gelassen wird“, sagt Herzog-Punzenberger.

5. Kultur erfahren

Wer auch bei Freizeitaktivitäten gezwungen ist, deutsch zu sprechen, wird die Sprache schneller lernen. Und nur, wer sein subjektives Erleben mit österreichischer Kultur in Verbindung bringen kann, wird sich dieser Kultur auch emotional zugehörig fühlen. Nach Ansicht des Lehrers Karl Pleyl beschleunigt Ganztagsunterricht, der auf diese Erkenntnisse eingeht, die Integration und den Spracherwerb ganz erheblich. Die Chancengleichheit ergebe sich dabei vor allem aus dem Zugang zu unterstützter Hausübungsbetreuung und kulturellem Angebot. Vor allem Kinder aus bidungsfernen Schichten profitieren davon - egal mit welcher Muttersprache.

Wegweiser

Barbara Herzog-Punzenbergers internationale Bildungs-Favoriten:

• Seit 2010 beschreibt im Bundesstaat Washington, USA, der "Literacy Plan“ die institutionellen Grundlagen und die praktische Umsetzung des Spracherwerbs der Schüler von der Geburt bis zum 12. Schuljahr. Integriert sind Diagnoseanweisungen und die Anleitung zu individueller, kurzfristiger und zielorientierter Hilfe, sollte jemand aus dem Rahmen fallen. "Wir haben große Schwachstellen in der Feststellung von Sprachniveau und einer entsprechenden, schnellen Hilfeleistung“, so die Bildungsexpertin der Johannes Kepler Universität in Linz.

• Im kanadischen Toronto nimmt die Verteilung der öffentlichen Ressourcen an die Schulen Rücksicht auf Standorte, deren Bedarf nach Unterstützung durch sozial schwache Schichten höher ist. "Bei uns fließen derlei Faktoren nicht mit ein“, beklagt Herzog-Punzenberger. "Wo ein hoher Anteil sozial schwacher Schüler ist, wären Ganztagsschulen mit entsprechend besserer Ausstattung nötig.“