"Uns war die Gier nicht bewusst"

Ben&Jerry's Gründer Greenfield: "Uns war die Gier nicht bewusst"

Nachhaltigkeit. Ben&Jerry's als Vorzeigeunternehmen

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Interview: Heinz Wallner

profil: Herr Greenfield, wieso wird eine Eismarke wie Ben&Jerry's plötzlich sozial?
Jerry Greenfield: Wir hatten keine Art Offenbarung. Ben und ich haben anfangs gar nicht daran gedacht, soziale und nachhaltige Aspekte in den Mittelpunkt unseres Geschäfts zu stellen. Uns ist ja erst nach vier, fünf Jahren überhaupt klar geworden, dass wir zu einer echten Firma geworden sind. Das hat uns Kinder der Sechziger eigentlich total erschüttert. Wir waren ja auf Peace&Love und all dem.

profil: Aber plötzlich war Ihr Eis derartig in aller Munde, dass Sie echt Geld verdient haben?
Greenfield: Zumindest etwas. Wir sind jedenfalls ein Rädchen in der großen Maschine der Wirtschaft geworden. Also genau das, was Flower-Power-Leute nicht wollten. Daher wollten wir sofort wieder aus dem Eisgeschäft aussteigen.

profil: Was hat Sie davon abgehalten?
Greenfield: Wir haben Rat bei einem Freund gesucht - ein ziemlich exzentrischer Kerl, aber erfolgreicher Restaurant-Wirt in Süd-Vermont. Bei ihm haben wir uns ausgekotzt. Darüber, dass unser Geschäft nichts zur Gesellschaft beträgt, dass es unsere Beschäftigten nicht fördert, dass es überhaupt nicht nachhaltig ist, obwohl uns dieses Wort damals nicht eingefallen ist. Der Typ hat sich unseren Sermon angehört und dann nur gesagt: Warum ändert ihr das nicht?

profil: Das hat gereicht, um Ihr Geschäftsmodell neu auszurichten?
Greenfield: Es war der Anstoß. Dann haben wir dieses obskure Gesetz von Vermont entdeckt. Es besagt, dass du kleine Anteile an deiner Gesellschaft an Freunde oder Bekannte aus der lokalen Umgebung verkaufen kannst - eine Art Genussscheinmodell mit Mini-Dividenden, das noch nie zuvor in Vermont ausprobiert worden war. Wir haben also, anstatt Risikokapitalgeber ins Boot zu holen, unsere lokale Community am Geschäft beteiligt und dieses Geld in die Firma gesteckt. Die Idee war einfach: Wenn Ben&Jerry's floriert, dann floriert auch unserer Gemeinde.

profil: Eine frühe Form von Crowd-Funding?
Greenfield: Heute würde man wohl so dazu sagen. Der damals kleinste Beteiligungsbetrag war 126 Dollar. So haben wir 750.000 Dollar aufgetrieben. Das war auch der Beginn der Ben&Jerry's-Stiftung, die heute den Social-Entrepreneur-Wettbewerb durchführt. Eineinhalb Jahre später, 1984, sind wir in den USA an die Börse gegangen. Unsere Bedingung für die Anleger: 7,5 Prozent aller Vorsteuergewinne des Unternehmens müssen der gemeinnützigen Stiftung zufließen. Das gilt bis heute.

profil: Der Börsegang von Ben&Jerry's fiel in die erste Hochphase des Turbokapitalismus
Greenfield: Stimmt, jetzt erinnere ich mich wieder an all die feindlichen Übernahmen und Fusionsgeschäfte. Barbarians at the Gate hieß das damals. Aber uns war dieser Beginn des Zeitalters der Gier überhaupt nicht bewusst.

profil: Wie ist Ihre Bedingung einer gemeinnützigen Stiftung damals von den Investoren aufgenommen worden?
Greenfield: Ben wollte zuerst, dass die Stiftung zehn Prozent der Gewinne kriegt. Die Banken haben uns aber gesagt: Unmöglich, Wall Street wird das nie akzeptieren, maximal fünf Prozent. Also haben wir uns schließlich auf 7,5 Prozent geeinigt, weil es die oberste Schmerzgrenze für die Wall Street war.

profil: War dieses soziale Engagement gefährdet, als Sie im April 2000 an Unilever verkauft haben?
Greenfield: Nein, Unilever ist gar nichts anderes übrig geblieben, als die Stiftung weiterzuführen, weil wir darauf bestanden haben. Allerdings ist die Finanzierung der Stiftung inzwischen nicht mehr an die Gewinne gebunden, sondern an die Umsatzentwicklung.

profil: Warum haben Sie überhaupt verkauft?
Greenfield: Ben und ich wollten ja gar nicht verkaufen, weil wir nicht glaubten, dass irgendein anderes Unternehmen unsere sozialen Werte teilen würde. Aber unser damaliger Vorstandsvorsitzender, der übrigens Aktienoptionen besaß, wollte verkaufen. Und wir hatten schlicht und einfach nicht mehr genügend kontrollierende Unternehmensanteile. Das war schon eine schwierige Situation. Jedenfalls hat Unilever die essenzielle Integrität der Marke garantiert, ganz voran unsere Unternehmenskultur: Die Arbeit bei Ben &Jerry's muss Spaß machen, unsere Arbeitsplätze sind human, es gibt es keine herkömmlichen Konzernstrukturen, wir sind durch und durch antiautoritär. Das geht alles auf Ben Cohen zurück. Der ist noch nie auf eine Regel getroffen, die er nicht gebrochen hat. Das ist für viele Mitarbeiter eine recht interessante Sache, wenn so eine Person ihr Chef ist. Ach ja, und wir machen auch noch eine Sache, die ebenfalls ein großes Vergnügen ist: Eiscreme.

profil: Und Ihre harten Bedingungen?
Greenfield: Auch kein Problem. Die Ben&Jerry's-Stiftung existiert nach wie vor. Und immer noch stammen 80 Prozent der Eiscreme-Bestandteile, also hauptsächlich die Milch sowie die Fruchtund Getreideelemente, von lokalen Bauern. Außerdem haben wir ein unabhängiges Gremium installiert, das die soziale Mission des Unternehmens überwacht.

profil: Hat dieses Gremium ein Vetorecht, wenn es meint, bestimmte Geschäftsabläufe seien nicht mit dieser sozialen Mission vereinbar?
Greenfield: Theoretisch: Ja. In der Praxis: Schwierig. Wenn der Unilever-Vorstand sagt: Es interessiert uns nicht, was ihr meint - was soll das Gremium dann tun?

profil: Muss sich der Multi angesichts der heutigen wirtschaftlichen Bedeutung von Nachhaltigkeit und sozialem Engagement nicht alle zehn Finger abschlecken, Ben&erry's im Portfolio zu haben?
Greenfield: Das können Sie aber laut sagen.

profil: Und für diesen Mehrwert wurden tatsächlich 326 Millionen Euro bezahlt?
Greenfield: Netter Versuch. Ich erinnere mich leider nicht mehr an den genauen Betrag, aber es war sicher ein fairer Preis.

Zur Person
Jerry Greenfield, 63, hat 1978 gemeinsam mit seinem Schulfreund Ben Cohen in Vermont, USA, die bereits nach wenigen Jahren äußerst erfolgreiche Eiscreme-Marke Ben&Jerry's gegründet. Greenfield gilt wegen seines gesellschaftlichen Engagements und der frühen strategischen Ausrichtung auf nachhaltige Produktion als Social Entrepreneur par excellence. Im Jahr 2000 verkauften er und Cohen ihre Anteile an den britisch-niederländischen Multi Unilever, was Greenfield zehn, Cohen 50 Millionen Dollar einbrachte. Seither zieht der gebürtige New Yorker Greenfield als Nachhaltigkeits-Botschafter durch die Lande.