Extrem angepasst

Extrem angepasst: "Normcore" macht das Leben an der Uni entspannter

Mode. "Normcore" macht das Leben an der Uni entspannter

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Auf Überforderung gibt es zwei Arten, zu reagieren: Entweder man versucht verzweifelt mitzuhalten, oder man schaltet einen Gang zurück. Zwar ist der Zugang zu Mode über Discounter, die den neuesten Trend direkt vom Laufsteg bekannter Labels kopieren, um vieles einfacher und billiger geworden als noch vor rund 20 Jahren, trotzdem fühlt man sich als Konsument oft überfordert. Jeder Designer schwärmt von Individualität, aber wie individuell sind wir eigentlich im Zeitalter von Instagram und Facebook, wo jeder noch so ausgefallene Look sofort mainstreamtauglich weiterverbreitet wird? Manche Modehäuser schleudern bis zu zwölf Kollektionen pro Jahr auf den Markt. Wer will da allen Ernstes am modischen Puls der Zeit bleiben – oder sogar eine Nasenlänge voraus sein?

Im Oktober 2013 versuchte die New Yorker Marketing-Agentur K-Hole in ihrer Trend-Analyse "Youth Mode: A Report on Freedom" zu beschreiben, wie Jugendliche auf diese Überforderung reagieren. Der Text stellte die Frage, ob wir nicht alle darunter leiden, "etwas Besonders sein zu müssen". K-Hole kreierte einen Begriff, der seitdem weltweit die Runde macht: Normcore. "Früher wurden Menschen in Gemeinschaften hineingeboren und mussten ihre Individualität finden. Heute werden Menschen als Individuen geboren und müssen ihre Gemeinschaft finden", schrieb K-Hole und zog daraus den Schluss: Nicht Abgrenzung, wie sie der Hipster betrieben hat, der sich absurderweise sogar davon distanzieren wollte, Hipster zu sein, ist das neue Ziel, sondern das Aufgehen in der Masse. Du musst nichts Besonderes sein, um dein Leben zu genießen, so der befreiende Slogan. Die ewige Suche nach Andersartigkeit ist ohnehin längst inflationär geworden.
Wie irritierend dieser neue Trend sein kann, musste die New Yorker Journalistin Fiona Duncan vergangenen Sommer erleben. Sie konnte in ihrer ansonsten so hippen Nachbarschaft plötzlich nicht mehr unterscheiden, wer nun ein cooler Kunststudent war und wer ein durchschnittlicher amerikanischer Tourist. Der Look der beiden hatte sich einfach zu sehr angeglichen. Die Jugendlichen trugen auf einmal Trekkingsandalen, Birkenstocks oder Crocs, Funktionsjacken, No-Name-Jeans sowie billige Baseball-Kappen vom Souvenirstand.

Duncan brauchte einige Monate, um den Schock zu verarbeiten, dass es plötzlich cool war, wie Comedian Jerry Seinfeld, US-Präsident Barack Obama oder Apple-Gründer Steve Jobs auszusehen. Ihr diesen Februar im "New York Magazine" erschienener Artikel "Fashion for Those Who Realize They’re One in 7 Billion" begründete den Normcore-Hype, jene Diskussion, die zu verstehen versucht, warum es plötzlich angesagt ist, wie "eine Mischung aus den eigenen Eltern und Pauschalurlaubern" auszusehen, wie es die "Süddeutsche Zeitung" jüngst auf den Punkt brachte.

Der feine Unterschied
Grundsätzlich gilt auch bei diesem Trend – zumindest, wenn man ihn als rein modisches Phänomen betrachtet: Manche sind mehr Normcore als andere. Auch beim Normalsein zählt der feine Unterschied. Schließlich besorgte sich selbst Steve Jobs seine extrem durchschnittlich aussehenden schwarzen Pullis nicht vom Discounter, sondern ließ sich an die 100 Exemplare vom japanischen High-Fashion-Designer Issey Miyake anfertigen. So trägt der modisch avancierte Normcore-Aficionado zwar Trekkingsandalen, am besten aber so extravagante wie vom deutschen Querkopf Bernhard Willhelm oder die aktuelle Kooperation der US-Outdoor-Marke Teva mit dem New Yorker Hipster-Label Opening Ceremony. Und auch Fleece-Jacke ist nicht gleich Fleece-Jacke: Das US-Funktionskleidungslabel Patogonia etwa ist um einiges angesagter als die deutsche Marke Jack Wolfskin.

Gesamtgesellschaftlich betrachtet passt das Normcore-Phänomen perfekt zur Generation Y, also all jenen, die ab dem Jahr 2000 Teenager waren und wenig Gelegenheit zur Rebellion hatten, schließlich wurde die politische Lage zunehmend unsicherer. Die Anschläge von 9/11, die Finanzkrise, und weltweiter Terror prägten ihre globale Wahrnehmung. Hinzu kommt die eigene vage berufliche Zukunft. Sobald die eigenen Job-Chancen alles andere als rosig sind, ist die Verunsicherung groß. Man möchte lieber alles richtig machen, als aufbegehren: brav studieren, eine Studienrichtung wählen, der Potenzial eingeräumt wird, und vor allem: nur nicht zu viel Zeit verbummeln. Dass die Studentinnen und Studenten, die von den Medien auch gern "Kuschel-Generation" genannt werden, modisch wie ihre eigenen Eltern aussehen, ist dabei eine Art Ironie des Schicksals. Das Wohlstandsniveau ihrer Vorfahren werden sie mit großer Wahrscheinlich nie erreichen. Zugleich sind viele von ihnen bis ins Erwachsenenalter von ihren Eltern finanziell abhängig. Kein Wunder, dass da der Antrieb fehlt, etwas verändern zu wollen, und sei es nur in seinem Kleidungsstil. Der Generation Y wird schließlich auch nachgesagt, sie agiere ständig im Erschöpfungsmodus. Sonderlich kreativ macht das auf die Dauer nicht. Ein Wellness-Wochenende in der Therme ist schließlich auch ganz gemütlich, warum soll man denn in die weite Welt schweifen? Neo-Spießigkeit, Pragmatismus und Konformismus gehen mitunter seltsame Verbindungen ein.

Eigentlich ist das Hardcore
Trotzdem haftet dem Normcore-Phänomen auch etwas Befreiendes an: Wer nicht dauernd etwas Besonderes sein möchte, hat mehr Energie dafür, sein Leben trotz aller Banalitäten zu genießen. Wer nicht permanent einem neuen Look hinterherhecheln muss, hat mehr Zeit für seine Freunde. Wer auf das Tragen von teuren Labels verzichtet, ist finanziell unabhängiger, viele Produkte sind absurderweise ohnehin schon out, sobald sie auf den Markt kommen. Wer weniger cool sein möchte, führt vielleicht tatsächlich neugierigere Gespräche als die Hipster, die eh schon immer alles wussten und nicht müde wurden, die Welt ständig mit ihrer Ironie zu überschütten, die nicht selten völlig unreflektiert sexistische Klischees transportierte.
Letztendlich geht Normcore davon aus, dass es so etwas wie Normalität gar nicht gibt, sondern nur eine zugespitzte, verschärfte Form des Alltäglichen. So normal ist der Alltag von Studierenden schließlich auch nicht: Tagtäglich in überfüllten Hörsälen zu sitzen, keine sichere Zukunft vor Augen zu haben und dazu der ständige Druck, bloß nicht zu versagen. Eigentlich ist das Hardcore. Und Funktionskleidung passt ausgezeichnet, um diese Krisenzeiten zu überstehen.

Karin   Cerny

Karin Cerny