Karriere-Klick: Frauen profitieren von Digitalisierung

Die digitale Leistungsgesellschaft verlangt nach Teamfähigkeit, Kommunikationsfreude und der Fähigkeit zum Multitasking. Gute Chancen für Frauen, Karriere zu machen, wie Studien belegen. Bloß in die Chefetagen der Unternehmen ist diese Botschaft noch nicht gesickert.

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Momente der betrieblichen Beschaulichkeit fühlen sich meist anders an. "Es kann schon vorkommen, dass ich während eines Meetings auf meinem Laptop einige Mails abrufe, gleichzeitig mit ausländischen Kollegen aus dem Konzern durch eine Videokonferenz verbunden bin und Nachrichten über WhatsApp erhalte. Das geht alles. Ich könnte viele Aufgaben gar nicht erledigen, wäre ich nicht imstande, effizient mit dieser Technologie umzugehen.“

Birgit Theyer ist ohne Schleudergefahr dort mit Tempo unterwegs, wo bei anderen elektronisches Aquaplaning einsetzt. Die Human-Resources-Chefin des IT-Dienstleisters Atos Österreich gehört zu jenen Fachkräften, die offenbar auf der Datenautobahn problemlos ihre Spur halten können. Sie befindet sich damit auf Augenhöhe mit jenem Phänomen, das in fast allen Wirtschaftsbereichen kaum einen Stein auf dem anderen lässt: Digitalisierung.

"Digital Fluency" bringt Flexibilität und bessere Work-Life-Balance

Wenn es nach Experten geht, wird eine Gruppe beruflich besonders vom Wandel profitieren: Frauen, die mehr können als Liken und Twittern in der Mittagspause. Die gute Nachricht für jene, die genug von Diskussionen um Gleichstellung und gläsernen Decken haben, stammt von Accenture. Mit einer global angelegten Studie in 31 Ländern stellt das Beratungsunternehmen neue Bewegung für veraltete Strukturen in Aussicht: Demnach nutzen Frauen die Chancen der Digitalisierung für ihren Aufstieg und die Verringerung des Karriereabstands zu männlichen Kollegen.

Auch in Österreich macht sich zumindest bei solchen Befragungen ein reformorientierter Geist bemerkbar: 52 Prozent sind nämlich überzeugt, dass es innovative Technologien für Frauen leichter machen, Arbeit zu bekommen und auf Dauer am Berufsleben teilzunehmen. Mehr Flexibilität im Job und bessere Work-Life-Balance orten 52 Prozent aller Teilnehmer. Außerdem meinen 33 Prozent, dass digitale Werkzeuge die Kinderbetreuung erleichtern. Mails bearbeiten und an einer Videokonferenz teilnehmen kann eine Managerin selbst auf dem Sofa, sollten Sohn oder Tochter eine Verkühlung auskurieren müssen.

Ein hipper Terminus wird von Accenture gleich mitgeliefert: Ausgeprägte "Digital Fluency“, der Mix von einschlägigen Kompetenzen und neuen beruflichen Möglichkeiten, gilt als harte Währung für den Aufstieg weiblicher Fachkräfte nach oben. Die Studie verweist dabei auf einen international gültigen Zusammenhang zwischen besagter Digital Fluency, intellektuellem Niveau sowie jobtechnischen Aussichten: In 16 der 31 untersuchten Länder erreichen Frauen höheres Bildungsniveau als männliche Kollegen - unter anderem, weil sie digitale Medien effektiver nutzen.

Beschaffung von Know-How als Grundbedingung

Langsam finden sich leise Signale der Umorientierung. Tatsächlich schauen Firmen intensiver hinter die Kulissen von Kandidatinnen, ob deren digitales Talent nicht mit dem Aufrufen einer Website endet. Beim Softwareentwickler Atos Österreich checkt Birgit Theyer bewusst das Level: "Wir achten bei der Besetzung neuer Stellen immer mehr auf den Aspekt. In persönlichen Gesprächen wird rasch klar, ob eine Kandidatin etwa Skype verwendet oder Facebook nutzt, also privat mit der Materie vertraut ist. Dann wird sie die Tools beruflich so selbstverständlich einsetzen wie in früheren Zeiten das Festnetztelefon.“

Bewerberinnen, die hier Recruiting-Pluspunkte sammeln, rücken dem "Ja“ des Personalisten also ein Stück näher. Die Beschaffung von Know-how gilt trotzdem als Grundbedingung, denn Frau sein allein garantiert trotz aller Berater-Prognosen keinen automatischen Karriereschub. Wie bei männlichen Kollegen geht es auch um Durchsetzungsvermögen.

Eleonora Kernmayer-Farr beispielsweise hat Betriebswirtschaftslehre studiert und später in IT-Unternehmen und bei E-Commerce-Spezialisten Schritt für Schritt ihr Spezialwissen erweitert. Heute ist sie als Solution Engineer bei Klarna Austria tätig und erarbeitet für die Kunden dieses E-Commerce-Zahlungsdienstleisters technische Lösungen. "Karriere in der digitalen Welt erfordert nicht unbedingt ein technisches Studium. Wer ein gewisses Talent, Interesse und Liebe zur Materie mitbringt, kann sich die Qualifikationen im Lauf der Zeit on-the-job aneignen. Wichtig ist es weiters, mit Leuten zu arbeiten, die besser sind, um den internen Wettbewerb anzufeuern. Auch spezielle Online-Kurse für die Weiterbildung sind hilfreich“, nennt die 33-Jährige die Instrumente für potenzielle E-Virtuosinnen.

Vielleicht öffnet sich anschließend deutlich rascher eine Einstiegsluke zur Finanzindustrie. Der Bankensektor erlebt ohnehin einen tiefgreifenden Change-Prozess. Ilse Fetik, Betriebsratsvorsitzende der Erste Bank, ortet jedenfalls eine Karriere-Hoffnungszone in der gebeutelten Sphäre von Konten und Aktien: "Auch Beratungen verlagern sich verstärkt in den Online-Bereich, was eine andere Qualität in der Kommunikation verlangt. Bei persönlichen Gesprächen lässt sich eher erkennen, was ein Kunde wirklich möchte und was vielleicht gar nicht ausgesprochen wird. Bei E-Mails oder Videochats hingegen fällt das oft schwer. Hier ist Empathie erforderlich, die speziell Frauen besitzen, um solche Kontakte produktiver zu gestalten.“

Balance zwischen Technik und Soft Skills

Auf die Strahlkraft dieser Tugenden, mögen sie auch ein wenig nach Rollenklischee klingen, baut ebenso Sonja Aigner, die Grundkenntnisse über neue Medien auf der Fachhochschule Hagenberg erlangt hat: "Frauen punkten in der digitalen Welt durch ihre Intuition. Selbst eine ausgefeilte Programmierung ist nur gut, wenn sie einfach vom User zu bedienen ist und der Mensch mit seinen Bedürfnissen angesprochen sowie abgeholt wird. Hier entscheidet der Inhalt. Für die Balance zwischen Technik und Soft Skills zeigen Frauen das nötige Gespür.“

Die Marketingchefin des Kräuterunternehmens Sonnentor, wo der Anteil an weiblichen Führungskräften 50 Prozent beträgt, verweist zudem auf eine Bodenständigkeit, die angesichts aller hippen Werkzeuge und Spielzeuge den klaren Blick auf den Sinn bewahrt: "In der Praxis wird deutlich, dass Frauen weniger abgehoben mit neuen Entwicklungen umgehen, sich ein fundiertes Bild machen und exakt das herausfiltern, was nützlich für ihren Job ist.“

In vielen Chefetagen ist diese Botschaft trotz zahlloser Beschwörungsformeln, dass Frauen auf jeden Fall gefördert werden sollten, nur bedingt angekommen. Abseits der motivierenden Prognosen eines nahenden Aufstiegs regiert in den Unternehmen aber häufig der Reformstau. Daher lautet das frustrierende Motto für Frauen, die keine Lust auf die zweite Reihe im Erwerbsleben zeigen, wie gewohnt: Bitte warten.

"Digitale Kompetenz wird weiterhin vorwiegend Männern zugesprochen"

Ein generelles Indiz für jene Situation, an der wohl auch der kompetenteste Umgang mit Technologie kurzfristig nur wenig ändern können wird, stammt von EY Österreich: So werden etwa die Topebenen des Mittelstands weiter von Männern dominiert. Nur jede vierte Führungskraft ist weiblich. Bei insgesamt 86 Prozent der KMUs erweist sich die Führungsriege überwiegend als Herrenclub. Elfriede Baumann, Partnerin bei EY Österreich: "Männer geben immer noch den Ton an. Es ist allerdings ein positives Signal, dass sich die Verantwortlichen bewusst sind, wie wichtig gemischte Teams für den Unternehmenserfolg sind.“ Eine weitere fundamentale Problemzone ortet Gerlinde Hauer, Expertin der Arbeiterkammer Wien, darin, dass digitales Engagement oft nur halbherzig betrieben wird: "Es hängt davon ab, ob in einem Unternehmen überhaupt Offenheit gegenüber solchen neuen Technologien vorhanden ist.“ Wenn konservative Entscheider Serverfarmen für eine landwirtschaftliche Einrichtung halten und Social Media als neue karitative Organisation gesehen wird, dann dürfte selbst die beste Frau in solchen Unternehmen kaum Chancen haben. Gleichfalls sind es einzementierte Sichtweisen, die wie Felsbrocken im Weg liegen, weiß Hauer: "Natürlich gibt es die geschlechtsstereotype Brille. Digitale Kompetenz wird weiterhin vorwiegend Männern zugesprochen, denn Frauen sind in technischen Berufen ohnehin stark unterrepräsentiert. Hier muss sich die Unternehmenskultur ändern, nur dann sind besser bezahlte Jobs für Frauen möglich, und Firmen können deren Potenzial verwenden.“

Die Handelskette Billa ist diesen Schritt gegangen. Seit eineinhalb Jahren leitet Julia Stone dort den E-Commerce-Sektor. In ihr Aufgabengebiet fallen Lösungen für Distribution, Ausbau und Weiterentwicklung den Onlineshop betreffend. "Dass ich mich gegen andere Kandidaten - in diesem Segment typischerweise Männer - durchgesetzt habe, liegt am Kompetenzspektrum und der Erfahrung, die ich etwa in London, in unterschiedlichen Industrien oder traditionellen Firmen sammeln konnte. Die Kombination aus Weiterbildung, internationalen Aufenthalten und meine strategisch ausgerichtete Denkweise dürften hier überzeugt haben“, meint Stone.

Von solchen Karriereverläufen dürfen zumindest viele Kolleginnen einstweilen nur träumen. Ein Blick in das Nachbarland zeigt auf, wie leichtfertig letztlich mit Talenten verfahren wird. Deutsche Arbeitgeber könnten die Drehzahl bei wichtigen Faktoren wie Innovationsfähigkeit erhöhen, wenn Mitarbeiterinnen nicht immer nur auf der internen Nebenspur unterwegs sein müssten, ermittelte die Boston Consulting Group. Rocío Lorenzo, Partnerin besagter Managementberatung, findet zu jenem Umstand ebenso klare wie kritische Worte. "Die Wertschöpfung könnte bis zu acht Prozent steigen, würden Potenziale von Frauen auf dem Markt aktiviert. Die Arbeitskräftelücke könnte hingegen um 35 Prozent sinken. Doch solche Chancen wurden bislang nicht genutzt.“