EU-Wahl 2024

Nach der Niederlage: Macrons letztes Rendezvous

Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron reagiert auf den fulminanten Wahlsieg der Rechtsaußen-Partei von Marine Le Pen und kündigt Neuwahlen an. Das Risiko ist hoch.

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Dass die Rechtsaußen-Partei Rassemblement National die EU-Wahl in Frankreich gewinnen würde, war erwartet worden. Doch ein Ergebnis jenseits der 30 Prozent (prognostiziert werden 31,5) gilt als „historisch“. Tatsächlich hatte zuletzt im Jahr 1984 eine französische Partei bei der EU-Wahl mehr als 30 Prozent erreicht (ein Zusammenschluss konservativer und liberaler Kräfte kam damals auf 43 Prozent). Noch erstaunlicher ist der Erfolg des RN angesichts der Tatsache, dass mit Reconquête eine zweite Rechtsaußen-Partei kandidierte, die auf 5,5 Prozent kam.

Noch am Wahlabend zog Staatspräsident Emmanuel Macron, dessen Partei Renaissance gerade einmal halb so viele Stimmen wie der RN auf sich verbuchen konnte, die Konsequenzen. In einer überraschenden Rede an die Nation kündigte er die Auflösung des Parlaments und damit vorgezogene Neuwahlen für den 30. Juni und 7. Juli an.

Marine Le Pen, dreimalige Präsidentschaftskandidatin und die bestimmende Figur des RN, hatte in den vergangenen Monaten alles getan, um die EU-Wahl zu einem Votum über Macron zu stilisieren. Die voraussichtliche Kandidatin des RN bei den Präsidentschaftswahlen 2027 stand nicht am Wahlzettel, doch das Ergebnis spielt ihr in die Hände. Macron darf nach zwei Amtszeiten 2027 nicht mehr antreten, zudem hat er sein politisches Kapital weitgehend verspielt. Die Schlappe bei der EU-Wahl könnte ihm auch die innerparteiliche Macht rauben, seine Nachfolge selbst zu regeln.

Jetzt setzt er auf Alles oder Nichts. Bereits bei den Parlamentswahlen 2022 hatte Macrons Partei Renaissance keine Mehrheit bekommen, seither ist seine Regierung darauf angewiesen, auf mühsame Weise Gesetze durchzuboxen. Seit Jänner dieses Jahres ist Gabriel Attal Premierminister, 35 Jahre und hochbegabt wie Macron selbst. Doch in den Umfragen hat der neue Premier auch keinen Umschwung gebracht. Hingegen etablierte sich neben Le Pen eine zweite Persönlichkeit des RN: Jordan Bardella. 28 Jahre alt, italienisch-algerischer Migrationshintergrund, trat er als Spitzenkandidat bei dieser EU-Wahl an und enttäuschte Le Pens Hoffnungen nicht.

Welches Kalkül verfolgt Macron? Mit der unerwarteten Neuwahl hat er den Überraschungseffekt auf seiner Seite, viel mehr aber nicht. Es wird Macrons letztes Rendezvous mit dem französischen Volk. Er setzt auf ein politisches Wunder und riskiert dabei den endgültigen Machtverlust.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur