Satire

Rainer Nikowitz: Fragen Sie Frau Erna!

Die profil-Lebenshelferin über die untoten Rehe von Jägersmann Andi Babler, den schlimmsten Rassismus-Skandal der EM und Friedensengel Viktor Orbán.

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Liebe Frau Erna!

Ich wende mich hilfesuchend an Sie, weil ich Sie als eine von unsere Leit sehe, die mir endlich zu einer freundlicheren Behandlung in den Medien verhelfen kann. Die ist nämlich sehr ausbaufähig! Jüngstes Beispiel: Ich war unlängst zu Gast in „Frühstück bei mir“ auf Ö3 – und musste mich anschließend zum wiederholten Mal wegen meiner klaren Aussagen verhöhnen lassen. Konkret ging es darum, dass ich ja Pächter einer bescheidenen Genossenschaftsjagd bin. Das mag zwar vielleicht für einen voll revolutionären Arbeiterführer wie mich zuerst einmal ein bisschen komisch klingen, aber hey: Robin Hood war schließlich auch bewaffnet im Wald unterwegs – und hat dem das vielleicht wer vorgehalten?

Dann wollte aber die Interviewerin partout wissen, ob ich denn schon einmal ein Reh geschossen hätte – weil sie sich, gfeanzt wie diese Interviewer:innen leider alle sind, offenbar dachte, dass es bei meinem Bobo-Fanclub vielleicht nicht so gut ankommt, wenn ich reihenweise süße Bambis umniete. Also habe ich, selbstverständlich völlig wahrheitsgemäß, geantwortet: „Ich kann mich nicht erinnern.“ Und deswegen macht sich jetzt der Klassenfeind gleich wieder lustig über mich! Dabei bin ich doch überhaupt nur Jäger geworden, um ebendiesen Klassenfeind bei seinen klassenfeindlichen Umtrieben aus nächster Nähe observieren zu können! Und außerdem ist meine kleine Genossenschaftsjagd so ur-klein, dass da überhaupt kein Reh Platz hat! Maximal ein Haserl. Und auch das streichel ich nur! Ehrlich!

Waidmannskrank,

Andreas Babler

Lieber Herr Babler,

ich muss gestehen, ich bin auch entsetzt. Ich meine, wem ist ähnlich Animalisches denn bitte noch nie passiert? Wer noch nie vergessen hat, dass er schon einmal einen Kohlweißling mit seiner Windschutzscheibe erlegt hat, der werfe den ersten Stein!

Herzlichst,

Ihr Flintenweib Erna

Werte Frau Erna,

Sie möchten Ihren Lesern doch sicherlich exklusiv berichten, wie meine nobelpreiswürdige Friedensmission in Russland und China gelaufen ist?

Mit besten Grüßen,

Viktor Orbán

Sehr geehrter Herr Orbán!

Nein.

Hochachtungsvoll, Erna

Sehr geehrte Frau Erna,

ich bin immer noch haltlos entsetzt darüber, mit welcher Leichtfertigkeit der schlimmste Rassismus-Skandal der Fußball-EM vom Tisch gewischt wurde. Beim Spiel Niederlande gegen Polen wurden drei weiße holländische Fans fotografiert, die sich ihre Gesichter schwarz angemalt hatten und Perücken trugen. Ein klarer Fall von Blackfacing und Dreadlocking – also einem der schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte! Angeblich taten die ruchlosen Herrenmenschen das, weil sie auf diese Weise ihrem Idol Ruud Gullit huldigen wollten, einem holländischen Starkicker der Achtzigerjahre. Sofort folgte quer durch die fusionierte antirassistische Legisla-, Exeku- und Judikative – also in den sozialen Netzwerken – ein vollkommen angemessen lauter Aufschrei. Aber dann passierte das Ungeheuerliche: Nathan Aké, ein Spieler des aktuellen holländischen Nationalteams und selbst eine person of colour, wurde dazu befragt. Und wer nun erwartet hatte, dass er die einzig richtigen Worte – also meine und die meiner Mitheuler:innen – zu diesem schrecklichen Ereignis finden würde, wurde bitter enttäuscht. Er sagte nämlich: „Darf ich ehrlich sein? Diese Themen geraten ein wenig außer Kontrolle. Lasst uns aufhören, aus solchen Dingen ein Problem zu machen.“ Und als hätte man mir als hauptberuflichem Stellvertreter-Opfer damit nicht schon genug Gewalt angetan, meldete sich auch noch Ruud Gullit persönlich zu Wort und sagte: „Ich fühle mich eigentlich geehrt.“

Mir fehlen die Worte angesichts von so viel Ignoranz. Und das kommt zum Glück für den Rest der Menschheit nicht oft vor. Wie kann bitte ein Schwarzer ein derartiger alter weißer Mann sein? Hat der keinen Respekt vor meinen Gefühlen?

Tief gekränkt

Hannah-Cosima Nurwich-Tigmach,

1070 Wien

Sehr geehrte Frau Nurwich-Tigmach,

diese Welt ist leider eine schrecklich grausame, vor allem für solche tapferen Frontkämpferinnen wie Sie. Aber zum Glück sind Sie in Ihrem Bemühen nicht allein. Und: Sie und die anderen beiden finden ja für Ihre wahnsinnig wichtigen Anliegen wenigstens in der Qualitätspresse unter der Chiffre „Aufregung in den sozialen Medien um …“ stets ein offenes Ohr. Also: Dranbleiben! Und diesem Gullit erklären wir schon noch, wie er sich als Opfer gefälligst zu benehmen hat!

Mit antikolonialistisch gen Himmel gereckter Faust

Ihre Frau Erna

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort