Schwarz-Blau mit Kickl? Tabu in der ÖVP wackelt
In der Trinkhalle in Bad Ischl labten sich zu Kaisers Zeiten Kurgäste an Molke. Heute dient sie als Veranstaltungsort. Vergangenen Mittwochabend lud Landeshauptmann Thomas Stelzer, ÖVP, zu einem Abendempfang anlässlich des Städtetags. In einer Runde von Bürgermeistern wurde der Landeshauptmann auf die umstrittene schwarz-blaue Koalition in Salzburg angesprochen. Thomas Stelzers lakonischer Kommentar: „Wenigstens bin ich jetzt nicht mehr der einzige Böse.“
Demnächst wird Salzburg von einer Koalition aus ÖVP und FPÖ regiert, als drittes Bundesland neben Ober- und Niederösterreich. Bisher galt Landeshauptmann Wilfried Haslauer als einer der größten FPÖ-Skeptiker in der Volkspartei. Doch zum Machterhalt erlag auch er der blauen Versuchung. Wo sind sie geblieben, die liberalen und christlich-sozialen Persönlichkeiten der Volkspartei, die den blauen Stil für inkompatibel mit schwarzen Werten halten?
In Wilfried Haslauer täuschten sich nicht nur viele Kommentatoren in den Medien, sondern auch so mancher Intellektuelle. Kurz vor der Landtagswahl am 23. April konnte – oder wollte – sich der Schriftsteller Karl-Markus Gauß in einem Interview mit der „Kleinen Zeitung“ nicht vorstellen, dass Wilfried Haslauer die FPÖ in die Salzburger Landesregierung holen würde: „Das traue ich ihm nicht zu. Das würde mich sehr enttäuschen. Haslauer ist ein hochgebildeter Konservativer.“
Der Schauspieler Cornelius Obonya, Jedermann-Darsteller von 2013 bis 2016, forderte vergangene Woche seine „Kolleginnen und Kollegen aus allen Bereichen der Kunst“ auf, bei der Eröffnungsfeier der Salzburger Festspiele am 27. Juli „spätestens bei Beginn der Rede des Herrn Landeshauptmanns geschlossen die Felsenreitschule zu verlassen“.
Haslauer wirkte bei der Präsentation des Pakts mit FPÖ-Obfrau Marlene Svazek nicht begeistert. Abermals wiederholte er, dass er eine Dreier-Allianz aus ÖVP, FPÖ und SPÖ bevorzugt habe, nach der Verweigerung der SPÖ aber nur mit der FPÖ eine „tragfähige“ Regierung bilden konnte. Als Gegner der Zusammenarbeit mit der FPÖ gelten die Bürgermeister in den Gemeinden um die Landeshauptstadt, die Frauen und der Arbeitnehmerbund. Elisabeth Mayer, Präsidentin der Katholischen Aktion, warnte, in einer Koalition mit den Freiheitlichen stehe „das christliche Menschenbild auf dem Spiel“. Auch Haslauer hatte dies ursprünglich so gesehen. Im Wahlkampf sagte er, die „Tonalität“ der FPÖ erinnere an die 1920er-Jahre.
Im Februar hatte die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner bereits vorexerziert, wie gelenkig man auf ein Wahlergebnis reagieren kann. Auch sie hatte im Wahlkampf heftig vor der FPÖ gewarnt – und dann ebenfalls ein Regierungsübereinkommen mit dem freiheitlichen Landesparteiobmann Udo Landbauer geschlossen. Wie später Haslauer bemühte sich auch Mikl-Leitner, bei der Präsentation des Regierungsprogramms ein betrübtes Gesicht aufzusetzen. Thomas Stelzer geniert sich mit keiner Faser für seinen Koalitionspartner, den FPÖ-Obmann Manfred Haimbuchner. Er stellt seine Koalition im Gegensatz zu Haslauer und Mikl-Leitner nicht als Zwangsehe dar, sondern als Zweckbündnis.
Das Nein aus Tirol
Einer, der sich jüngst gegen die FPÖ entschied, ist der Tiroler Landeshauptmann Anton Mattle. Bei der Landtagswahl am 25. September 2022 verlor die ÖVP knapp zehn Prozentpunkte, blieb mit 34,7 Prozent aber deutlich stärkste Partei. Die FPÖ überholte die SPÖ, wurde zweitstärkste Partei – musste aber in der Opposition verharren. Schon im Wahlkampf hatte Mattle eine Koalition ausgeschlossen: „Gerade in Krisenzeiten, wo es Zusammenhalt und Solidarität braucht, setzt die FPÖ auf Spaltung und Hetze. Das entspricht nicht meinem Verständnis einer Politik der Mitte.“ Auch den Umgang der FPÖ mit der Schöpfung sieht er kritisch: „Wenn Herr Kickl den Klimawandel leugnet, dann ist für mich klar, dass man mit so einer Partei nicht regieren kann.“
In anderen ÖVP-regierten Bundesländern beobachtet man die neuen Mitte-Rechts-Koalitionen sehr genau. Und man bemerkt: Nach der Ibiza-Zäsur sind die Freiheitlichen wieder gesellschaftsfähig geworden. Sollte man irgendwann selbst Schwarz-Blau wagen wollen, wäre man nicht mehr der erste, auch nicht mehr der zweite „Böse“, wie es Thomas Stelzer formuliert. Das hilft, um Hemmschwellen zu senken.
Zwei ÖVP-Spitzenvertreter könnten bereits bei ihren Landtagswahlen 2024 in Versuchung geführt werden: Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner und sein steirischer Amtskollege Christopher Drexler. In der Steiermark regiert seit der Abschaffung des Proporzes 2011 eine Koalition aus SPÖ und ÖVP. Bis 2015 stellte die SPÖ den Landeshauptmann, seitdem die Volkspartei. Christopher Drexler, der seit Juli 2022 an der Spitze der Landesregierung steht, lobt gern die „Gestaltungskraft bürgerlich-sozialdemokratischer Koalitionen auch über die Steiermark hinaus“.
Allerdings könnte die FPÖ bei der Wahl 2024 auch in der Steiermark die SPÖ überholen. Der Druck auf Drexler, eine Koalition mit den Freiheitlichen zu bilden, würde steigen, vorausgesetzt, die ÖVP bleibt stärkste Fraktion. Bei der Wahl 2015 lagen SPÖ, ÖVP und FPÖ fast gleichauf. Auch derzeit kündigt sich ein Dreikampf an. Inhaltlich ist Drexler von der FPÖ in gewissen Bereichen nicht weit entfernt, etwa bei der Forderung nach einer „restriktiveren Asylpolitik“. Die Präferenzen des steirischen Landeshauptmanns sind aber klar: „Wir arbeiten in der steirischen Landesregierung im besten Sinn zusammen. Daher ist es mein erklärtes Ziel, die Koalition aus ÖVP und SPÖ nach der Landtagswahl fortzusetzen.“
Widerspruch aus Vorarlberg
Vorarlberg hat die wohl turbulenteste Schwarz-Blau-Geschichte aller Bundesländer. Lange kooperierte die Volkspartei mit den Freiheitlichen, zum Teil sogar freiwillig, obwohl sie eine absolute Mehrheit hatte. Bis zum Jahr 2009, als der damalige FPÖ-Chef Dieter Egger den Direktor des Jüdischen Museums Hohenems einen „Exil-Juden aus Amerika“ nannte. Landeshauptmann Herbert Sausgruber schloss daraufhin eine Koalition mit den Freiheitlichen aus. Sein wichtigster Landesrat unterstützte ihn dabei: Markus Wallner. 2014 musste er dann als Landeshauptmann nach der Wahl selbst entscheiden, mit wem er koalieren möchte.
Die Freiheitlichen sahen das als Chance, ihre Regierungsfähigkeit zu beweisen, erzählt man heute in Vorarlberg. Heinz-Christian Strache, damals noch Bundesparteichef, habe mehrmals bei Wallner angerufen und Mails geschrieben. Wallner entschied sich für eine Premiere in seinem Land: Schwarz-Grün.
Auch deswegen hat Vorarlberg den Ruf des ruhigen, ideologisch gefestigten christlich-sozialen Bundeslandes. Trotzdem lässt sich die Vorarlberger ÖVP eine Koalition mit den Freiheitlichen nach der Landtagswahl offen. Vorarlberg könnte sich womöglich am Bund orientieren, planmäßig finden beide Wahlen im Herbst statt.
Ein Vorarlberger beobachtet die Entwicklungen Richtung Schwarz-Blau mit Unbehagen: Kurt Fischer, Bürgermeister von Lustenau. „Das Thema der erodierenden Mitte und des drohenden Rechtsruckes in ganz Europa beschäftigt mich schon lange.“ Die zwei üblichen Strategien im Umgang mit den Freiheitlichen bereiten Fischer schon seit der Zeit von Sebastian Kurz „große Sorge“: Die eine besteht darin, die FPÖ zu entzaubern, indem man sie in Regierungsverantwortung holt; die andere setzt auf den Kampf gegen Blau durch Übernahme freiheitlicher Positionen. Fischer: „Das Rechts-Abbiegen ist äußerst gefährlich. Ist das wirklich der Weg einer Partei wie der ÖVP, die Österreich maßgeblich nach Europa geführt hat?“
Wie schnell aus einer Abneigung ein Regierungsprogramm werden kann, zeigten Salzburg und
St. Pölten. In Niederösterreich sorgte vor allem das erste Kapitel des Koalitionspakts für den größten Aufschrei: Corona. Das schwarz-blau geführte Land will nun bestimmte Strafen aus der Lockdown-Zeit „persönlich rückerstatten“ und einen Fonds für Menschen einrichten, die unter der Pandemie – oder deren Maßnahmen, wie es die FPÖ interpretieren möchte – gelitten haben. Dass der erste Punkt schlicht nicht umsetzbar ist, lässt sich ausgerechnet im Salzburger ÖVP-FPÖ-Programm nachlesen: „Die Rückzahlung von Covid-Strafen wird weder als zweckmäßig noch landespolitisch durchführbar angesehen.“
Vorarbeiten für den Bund?
Entweder gehen die Freiheitlichen im Westen subtiler vor, oder das Programm wurde schon als Probelauf für eine Zusammenarbeit auf Bundesebene geschrieben. Auffällig ist, dass darin auch Forderungen an die Bundesregierung formuliert wurden: ein automatisches Pensionssplitting zum Beispiel oder die Rückkehr zu Milizübungen des Bundesheeres „nach dem früheren System“. Andere Maßnahmen, die für Aufregung sorgen könnten, sind verklausuliert festgehalten, etwa das Kopftuchverbot im Bildungsbereich, das im Regierungsübereinkommen zwar nicht wörtlich vorkommt, aber verbrämt: als Maßnahme gegen „Symbole der Unterdrückung und Stigmatisierung in Salzburgs Kindergärten und Volksschulen“.
Die konservativen Überschneidungen zeigen sich in Salzburg in der Frauen- und Familienpolitik. Als „Alternative zum Schwangerschaftsabbruch“ will die Landesregierung Pflegeelternschaft und Adoption bewerben. Wer sein Kind nicht in eine Krippe oder einen Kindergarten gibt, soll finanziell unterstützt werden. Auch Niederösterreich plant eine Sonderzahlung für Eltern (meistens Frauen), die nach der Geburt für mehrere Jahre nicht ins Erwerbsleben zurückkehren. Die Zahlung, als „Herdprämie“ verpönt und heftig kritisiert, gibt es übrigens noch in einem anderen – schwarz-blau regierten – Bundesland: Oberösterreich.
Um ihre Koalitionen zu verteidigen, bemühen ÖVP-Landeshauptleute gern das selbstbetrügerische Konstrukt der zweifachen FPÖ. Zum einen gäbe es die jeweilige Landespartei: gemäßigt, stabil, aufgrund ihrer Wahlerfolge als Partner legitimiert. Und zum anderen die Kickl-FPÖ: aggressiv, unberechenbar, zur Kooperation nicht geeignet.
Allerdings kann sich die ÖVP ihre Gesprächspartner auf blauer Seite nicht aussuchen. Daher wird sie wohl auch mit der „Kickl-FPÖ“ koalieren, sollte Schwarz bei der nächsten Wahl vor Blau liegen. Im ÖVP-Regierungsteam will sich kaum jemand festlegen, ob man auch für eine schwarz-blaue Koalition zur Verfügung stehen würde. Von Frauenministerin Susanne Raab bis hin zu Staatssekretär Florian Tursky erhält profil bei einem Rundruf meist die gleiche Antwort: Diese Frage stelle sich nicht. Es gibt also kein ideologisches Nein, sondern ein taktisches Vielleicht.
Kein kategorisches Nein
Eine der wenigen Ausnahmen ist Arbeitsminister Martin Kocher, der offiziell gar kein Mitglied der ÖVP ist. Wie es nach der Legislaturperiode für ihn politisch weitergehe, sei ohnehin offen, richtet er auf Anfrage aus: „Wenn Kickl in der Regierung sein sollte, wäre es aber ein Ausschlussgrund, noch einmal Minister zu sein.“ Ähnlich argumentierte Alexander Schallenberg in der „Presse am Sonntag“. Am deutlichsten wurde Verfassungsministerin Karoline Edtstadler: „Für mich persönlich ist es nicht denkbar, mit Herbert Kickl und einer von ihm geführten Partei, die so agiert, zu koalieren“, meinte sie im Mai zur „Kleinen Zeitung“. Auch Christopher Drexler sagt zu profil, er hege „für einen Vizekanzler Kickl keinerlei Sympathie“.
Das „Nein“ zur FPÖ fällt also nicht kategorisch aus, es ist auf die Person „Kickl“ begrenzt. Aber es ist das Klarste, das in der ÖVP zu hören ist. Der schwarze Parade-Liberale, der Ex-Klubobmann und Zweite Nationalratspräsident Heinrich Neisser, 87, meint: „Sollte die ÖVP nach der Nationalratswahl eine Koalition mit der FPÖ eingehen, dann ist sie im besten Fall nur mehr ein Dachverband von neun Landesorganisationen. Ich habe in der Partei noch nie solch eine Leere erlebt wie derzeit.“
Verlässlichster Kritiker der FPÖ war stets der Niederösterreicher Othmar Karas, jahrelang EU-Abgeordneter und derzeit Vizepräsident des Europa-Parlaments. Johanna Mikl-Leitners schwarz-blauen Pakt lehnte er ab, da „mit dieser FPÖ kein Staat zu machen“ sei.
EU-Kommissar Johannes Hahn, ehemaliger Wiener Landesparteiobmann, gilt ÖVP-intern als Liberaler, will auf profil-Anfrage aber „prinzipiell keine Stellungnahme zu innenpolitischen Entwicklungen“ abgeben. Grundsätzlich, so Hahn, sei „für ihn jedoch eine stabile und proeuropäische Regierung unerlässlich für eine positive Entwicklung Österreichs“.
Parteichef Karl Nehammer ist einer der schärfsten Kickl-Kritiker in der Volkspartei. Allerdings zeigt das Beispiel Salzburg, wie schnell aus einem Gegner ein Partner werden kann.
Ein selbst auferlegtes Denkverbot gibt es in der ÖVP für das Szenario, dass die Volkspartei als Juniorpartner in eine Koalition gehen und Herbert Kickl zum Kanzler machen könnte. Christopher Drexler hält das für „unvorstellbar“. Und der frühere EU-Kommissar Franz Fischler drohte öffentlich an, in diesem Fall aus seiner Partei auszutreten.
Die Christlich-Sozialen und Liberalen in der ÖVP könnten also noch weniger werden.