Ich habe ein Gefühl

Sebastian Hofers Lexikon der modernen Emotionen – Nummer 16: Infantilitätsaffinität

Wie fühlen wir uns heute? Was spüren wir da eigentlich genau? Und ist das gut so? Eine Forschungsreise durch die Welt der zeitgemäßen Empfindungen.

Drucken

Schriftgröße

_______________

Gefühl Nr. 16: Infantilitätsaffinität oder das Gefühl, dass das Kind in mir dringend wieder mal Heimat braucht (oder zumindest ein paar Witze)

_______________

Beim Hören von „Dubbies on Top“, dem neuen Album der Hamburger Diskurs- und Satirereggaekünstler „The Kings of Dub Rock“ erwischte mich, zwischen zwei Hüftschwüngen, ein Gefühl. Es lautete, in annähernd originalgetreuer Lautschrift: Ohjagenau. Die Beats waren sanft, die Echos lange, die Texte albern („Ich entfalte mich wie eine Serviette“), und es stellte sich eben das Gefühl ein, dass das jetzt oh ja genau so sein muss: ein bisschen doof, ziemlich weltfremd, völlig angenehm: „Unglaublich aber wahr, ich bin wieder da. Back on the scene like a magic machine.” Und weiter: „Meine Aura glänzt wie eine Alufelge“.

Das Gefühl fiel auf fruchtbaren Boden. In letzter Zeit muss ich immer wieder feststellen, dass ich wirklich sehr leicht zu unterhalten und für jeden billigen Witz dankbar bin, gern auch auf dem Niveau von Volksschule, Hofbräuhaus und Erwachsenenfacebook. Und auf Twitter holen mich lustige Tier-Hoppala-Videos schon länger sehr viel stärker ab als der gerade akute Leitartiklerbeef. Dumm und Dümmer? Immer her damit!

Die erwachsene Sicht auf die Welt war halt wirklich schon einmal schöner.

Ja, Infantilität hat eine schlechte Nachrede. Wir sind alle nicht erwachsen geworden, um in seliger Naivität die Augen vor der Welt zu verschließen. Ja, aber: Die erwachsene Sicht auf die Welt war halt wirklich schon einmal schöner. Was man sieht, wenn man klar sieht, ist seit zwei bis drei Jahren immer seltener etwas, wofür man mit Vergnügen älter werden würde.

Trotzdem muss, wer Infantilitätsaffinität sagt, natürlich auch Après-Ski sagen. Der Winterballermann hat die niederen Bedürfnisse seines Publikums sehr genau anvisiert und zwischen Sexualtrieb und Alkoholismus auch das Verlangen nach kindischem Humor identifiziert, sprich: A klana Indiana. Insofern bewege ich mich mit meinem Gefühl auf schwierigem Terrain, denn wo genau wäre nun der Unterschied zwischen meinem frisch erwachten Kindlichkeitsbedürfnis und einem klassischen Jagateebesäufnis? Nun, die Infantilität, die mich da jüngst erwischt hat, existiert halt nicht im luftleeren Raum. Sie weiß sehr wohl, wovon sie sich abwendet. Sie hält die gegenwärtigen wie auch die kommenden Katastrophen im Hintergrund präsent und entscheidet sich vor diesem trotzig für kindliche Ideale: Einfachheit, Direktheit, Ironiefreiheit. Zumindest rede ich mir das auf diese Weise schön. Aber wenn schon kindisch, dann auch richtig stur.

Das fünfte Stück von „Dubbies on Top“ heißt übrigens: „Armageddon“. Musik: lässiges Shaken, peppige Bläser. Text: „Hallo, liebe Feinde! Ich will euch nur sagen, dass heute der Tag gekommen ist, an dem ihr zermalmt werdet.“ Sehr lustig!

_______________

Wie oft habe ich dieses Gefühl: Immer, wenn ich Witze höre

Mit welchen Gefühlen ist es artverwandt: Doof-aber-glücklich

Wenn ich über dieses Gefühl ein Lied schreibe, trägt es folgenden Titel: „Er hat Kacka gesagt!“

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur und ist seit 2020 Textchef dieses Magazins.