Davor Dragicevic (beide Arme in der Luft) Mitte Juli beim Protest von "Gerechtigkeit für David" in Banja Luka
Wahlen in Bosnien: 5 Fragen und Antworten

5 Fragen und Antworten zu den Wahlen in Bosnien

Worum geht es? Was könnte sich nach den Wahlen am Sonntag ändern?

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1) Wie ist die Situation im Land?

"Bosnien ist heute viel demokratischer als direkt nach dem Krieg", analysiert Thorsten Gromes von der Hessischen Stiftung für Friedens und Konfliktforschung in Frankfurt. Er führt jedoch weiters aus, dass "fehlende Kompromissfähigkeit und eine Geringschätzung demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien" immer noch ein Problem seien. Zudem sorgen Stimmen, die sich für eine Abspaltung der Republika Srpska aussprechen, ständig für Unruhe. Nationalismus, der von den Parteien regelmäßig gegen die jeweils anderen Bevölkerungsgruppen im Land geschürt wird, steht einer sachlichen Politik im Weg. Diese politische Pattsituation hat dazu geführt, dass Bosniens Wirtschaft von Klientelpolitik durchzogen ist, mit 25% eine der höchsten Arbeitslosenraten Europas hat und jährlich rund 40.000 Menschen, vor allem junge, das Land verlassen. Bei einer Einwohnerzahl von 3,5 Millionen sind das mehr als 1% der Bevölkerung pro Jahr.

Veteranen des Bosnienkrieges (1992-1995) protestierten Anfang September in Sarajevo für eine Erhöhung ihrer Sozialleistungen

2) Welche Themen bewegen den Wahlkampf und das Land?

Es habe praktisch keine Diskussionen oder Debatten über die Alltagsprobleme der Menschen, wie beispielsweise Wirtschaft und Rechtsstaatlichkeit, gegeben, meint Valentin Inzko, österreichischer Diplomat und UNO-Beauftragter für Bosnien-Herzegowina. Die Abwanderung vor allem höher qualifizierter Bürger wie Ärztinnen, Ingenieure oder IT-Fachkräfte stellen die Gesundheitsversorgung, Bildungseinrichtungen und Infrastruktur vor zunehmende Probleme.

Eines der wichtigsten Themen im Wahlkampf war der Protest eines Vaters in der Stadt Banja Luka, Verwaltungssitz der Republika Srpska. Im März war der 21-jährige David Dragicevic tot in einem Fluss in Banja Luka gefunden worden. Der junge Mann habe Drogen genommen und sei ertrunken, sagte die Polizei. Doch Davor Dragicevic, der Vater, ist überzeugt, dass sein Sohn aufgrund von Misshandlungen durch die Polizei gestorben sei und diese durch die Behörden gedeckt werde. Dragicevic gründete nach dem Tod seines Sohnes die Bewegung "Gerechtigkeit für David" und seither protestieren am Hauptlatz der Stadt regelmäßig Hunderte Bürger gegen die Missstände im Land. "Gerechtigkeit für David" ist im Zuge des Wahlkampfes zu einer Protestbewegung gegen Willkür und Machtmissbrauch von Polizei, Justiz und Politik gewachsen.

3) Hat Bosnien wirklich das komplizierteste Regierungssystem der Welt?

Das nach dem Friedensabkommen von Dayton im November 1995 installierte politische System wird häufig als kompliziertes Regierungssystem der Welt bezeichnet. Seitdem besteht das Land aus den beiden Entitäten "Föderation Bosnien und Herzegowina" (mehrheitlich von bosnischen Muslimen und bosnischen Kroaten bevölkert) und der "Republika Srpska" (mehrheitlich von bosnischen Serben bevölkert). Als Präsident des Landes fungiert das Staatspräsidium, das aus einem Bosniaken, Serben und Kroaten besteht und rotiert. Sie werden bei den Parlamentswahlen für das Mandat von vier Jahren gewählt.

Wahlen in Bosnien-Herzegowina

4) Was wird am Sonntag gewählt?

Das Abgeordnetenhaus und das Staatspräsidium. Das Abgeordnetenhaus hat 42 Sitze: 28 Abgeordnete aus der Föderation, 14 aus der Republika Srpska. Insgesamt haben 69 Parteien und 36 Bündnisse ihre Kandidatenlisten angemeldet. Dazu kommen noch 34 unabhängige Kandidaten. Neben dem Parlament für das ganze Land werden auch die Parlamente der zwei separaten Teile, der Bosniakisch-Kroatischen Föderation und der Republika Srpska, gewählt. Zudem wird auch noch eine neuer Präsident der Republika Srpska gewählt.

Diese Zersplitterung macht es schwer, eine Politik zu formulieren, die das ganze Land und alle Bevölkerungsteile einbezieht. Bosniakische Parteien werben fast ausschließlich um bosniakische Stimmen, serbische Parteien um Unterstützung der Serben und kroatische Parteien um die Stimmen der Kroaten im Land. Multiethnische Kräfte haben es in diesem Spiel schwer.

Pensionierte Arbeiter protestierten im Oktober 2017 für ein besseres Sozialsystem

5) Wird die Wahl etwas ändern?

Bosnien-Herzegowina hat am 15. Februar 2016 den Beitritt zur Europäischen Union beantragt. Brüssel hat über den Kandidatenstatus aber noch nicht entschieden. Ein baldiger Beitritt ist derzeit nicht realistisch. Das liege auch an der EU, meint die bosnische Politikwissenschaftlerin Alida Vracic. "Die EU hat keine Türen geöffnet und keine Anzeichen dafür gegeben, dass die Bosnier darauf hoffen können, Teil der Union werden zu können", sagt Vracic im Gespräch mit der APA. Bosnien-Herzegowina sei gewissermaßen vergessen worden, während die EU mit ihren eigenen Problemen beschäftigt sei. Die bosnische Journalistin Azra Nuhefendic glaubt nicht daran, dass die Wahlen das Land in eine positive Richtung lenken könnten. "Ich bin mir sicher, dass die Politiker sich nicht um die Grundbedürfnisse normaler Bürger wie mir kümmern werden." Worum sie sich wirklich sorgten, sei die Macht sowie den Reichtum, den sie durch Korruption und Machtmissbrauch angehäuft hätten, zu erhalten.

Solange das politische System in Bosnien blockiert bleibt und Parteien diesen Patt mit nationalistischer Stimmung für ihren eigenen Machterhalt ausnützen, wird ein nachhaltiger Wandel nur sehr schwer möglich sein.

Ein Beitritt Bosniens zur EU ist erzeit in weiter Ferne

Infobox

Hauptstadt ist Sarajevo Volkszählung 20133,5 Mio. Einwohner insgesamt, davon 50% Bosniaken, 31% Serben, 15% Kroaten • Föderation von Bosnien und Herzegowina: 2,2 Mio., davon 70% Bosniaken, 22%,Kroaten, 3% Serben • Republika Srpska: 1,2 Mio., davon 82% Serben, 14% Bosniaken, 2% Kroaten, Verwaltungsitz ist Banja Luka

Wirtschaftsdaten • Arbeitslosenrate 2017: 21%, bei Menschen unter 25 Jahren über 43%, • Bruttoinlandsprodukt pro Kopf 2017 bei einem Drittel des EU-Durchschnitts • Monatliches Durchschnittseinkommen: rund 400 Euro

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