Endlich angekommen

Endlich angekommen: Andreas Herzog und sein Job als Israels Teamchef

Andreas Herzog und sein Job als Israels Teamchef

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Andreas Herzog öffnet die Tür zu seinem Büro in einer Breitenfurter Einfamilienhaussiedlung und führt begeistert sein neues Fitnessgerät, eine Art Stepper-Turm, vor: „Wollen Sie auch mal probieren?“ Herzogs gute Laune hat einen Grund: Er ist wieder im Geschäft, und zwar als Teamchef von Israel.

Vor eineinhalb Jahren tobte der ehemalige Mittelfeldspieler, der mit 103 Ländermatches bis heute Rekordhalter der Nationalelf ist, noch in aller Öffentlichkeit. Zum vierten Mal war er nicht zum österreichischen Teamchef bestellt worden; man hatte ihm den deutschen Ex-Fußballer Franco Foda vorgezogen. „Verarschen kann ich mich selber auch!“, zürnte Herzog damals und polterte in Richtung des ÖFB-Präsidenten: „Der Herr Windtner kann meine Telefonnummer löschen.“

Ambivalente Beziehung zu Österreich

Heute ist Herzog ein angesehener Mann: In seiner neuen Funktion als Teamchef der israelischen Nationalelf reist er rund um den Globus, hält Trainingseinheiten in englischer Sprache ab und steht in den großen Fußballarenen. Auch eine Friedensmission schwingt in seinem neuen Job mit: Zuletzt schickte er nahezu gleich viele Araber wie Juden auf das Feld.

Herzog will es endlich allen beweisen – wäre da nicht ein kleines Problem: Der ehemalige Spielmacher ist keine Kämpfernatur.

Am kommenden Sonntag trifft der zweifache Vater mit seiner neuen Mannschaft, der er seit August 2018 vorsteht, in einem Qualifikationsspiel für die Europameisterschaft 2020 erstmals auf Österreich – kein leichtes Unterfangen, denn Israel liegt in der aktuellen Weltrangliste auf dem 92. Rang und damit 69 Plätze hinter Österreich. Zu seinem Heimatland hat Herzog eine eher ambivalente Beziehung, galt er doch hierzulande bis vor Kurzem als alternder Fußballstar, der trotz bescheidener Cheftrainer-Erfahrung lauthals hohe Ämter einforderte und nach Absagen wehleidig jammerte. Für Herzog bedeutet das Match gegen Österreich eine doppelte Herausforderung: Er kämpft nicht nur um Punkte, sondern auch um sein Ansehen als Trainer. Herzog will es endlich allen beweisen – wäre da nicht ein kleines Problem: Der ehemalige Spielmacher ist keine Kämpfernatur.

Kein Leben ohne Fußball

Sein Breitenfurter Büro hat musealen Charakter. Überall Reminiszenzen an eine glorreiche Spielerkarriere: alte Trikots, Pokale, Zeitungsausschnitte, ein Panini-Bild mit seinem Gesicht. Für „Herzerl“, so Herzogs Spitzname, war nach seiner aktiven Karriere schnell klar, dass er ohne Fußball nicht leben konnte. Er löste den Trainerschein, um herauszufinden, „ob mir das überhaupt Spaß macht“.

Coach Herzog beim Match Israel gegen Schottland (2:1) im Oktober 2018 in Haifa

Wenn Herzog erzählt, trägt er sein Herz auf der Zunge. Dass er ein so extrovertierter wie emotionaler Mensch ist, war schon in seiner aktiven Laufbahn klar zu erkennen gewesen: Wenn er ein Tor geschossen hatte, rannte er mit Triumphgesten über den halben Platz. Es gebe Menschen, „die können Enttäuschungen schlucken“, so Herzog im profil-Gespräch. Er zähle definitiv nicht zu dieser Kategorie. Zornig sei er gewesen auf den ÖFB, jenen Verband, für den er als Spieler 103 Mal aufgelaufen war und dem er gerne auch als Teamchef gedient hätte. Zwei Wochen hatte er sich penibel auf sein Bewerbungsgespräch vorbereitet.

Stimmungen und Wutausbruch

Nach seinem Vortrag war er felsenfest überzeugt, dass er den Job in der Tasche hatte. Doch dann wurde über seltsame Motive seitens der Entscheidungsträger gemunkelt: Der Vorarlberger Vertreter sei angeblich gegen seine Bestellung gewesen, weil Herzog zuvor dem Vorarlberger Bundesligaverein Altach einen Korb gegeben hatte. Ein anderer soll sich an seiner Wiener Herkunft und seinem früheren Verein Rapid gestoßen haben.

Als Fußballer hatte er das Publikum mit Weitschusstoren und herzerfrischenden Dribblings begeistert. Es gab nie Skandalgeschichten.

Herzogs Stimmungen schwanken zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt. Vielleicht ist Herzog deshalb in Österreich seit jeher extrem populär. Man liebt Sporthelden, die ihre Emotionen voll ausleben. Fachliche Kritik war in seinem Fall ohnehin kaum gerechtfertigt: Als Fußballer hatte er das Publikum mit Weitschusstoren und herzerfrischenden Dribblings begeistert. Es gab nie Skandalgeschichten; seit Jahrzehnten lebt er mit derselben Frau zusammen. Er verfiel nie einem Bling-Bling-Lebensstil und suchte auch nicht die Nähe der „Seitenblicke“-Gesellschaft. Herzog blieb immer bodenständig. Bis zu seinem öffentlichen Wutausbruch, über den viele den Kopf schüttelten, war er ein absoluter Sympathieträger.

Kein Netzwerker

Während sich Herzogs einstige Mannschaftskollegen Adi Hütter, Ralph Hasenhüttl und Peter Stöger von ganz unten in die deutsche Bundesliga hochkämpften, ohne jemals zu klagen, schien Herzog diese Art der Ochsentour für unter seiner Würde zu halten. Schließlich bekamen verdienstvolle Ex-Spieler seiner Klasse über Jahrzehnte hinweg einflussreiche und gut dotierte Jobs. Die Córdoba-Helden Herbert Prohaska, Josef Hickersberger und Hans Krankl wurden noch mit Teamchef-Ehren dekoriert. Für die Stars der 1990er-Jahre ging es jedoch bergab. Toni Polster coacht seit Jahren in der vierten Liga. Und Herzog selbst, der 2003 sein letztes Ländermatch absolviert hatte, wurde nur zum Assistenten und Nachwuchsbetreuer berufen. Im Alter von 50 darf er zum ersten Mal als Cheftrainer einer Nationalelf agieren. Das Trainergeschäft ist hart umkämpft; immer öfter kommen dabei auch Quereinsteiger ohne Profi-Erfahrung zum Zug. Dagegen hat Herzog prinzipiell nichts einzuwenden: „Aber es scheint mir auch, dass wir Ex-Fußballer die Einzigen in Österreich sein sollen, die keine Ahnung von Fußball haben.“

Bei Ausdauerläufen hat man mich schon in den Hintern treten müssen, damit ich nicht stehen bleibe. (Andreas Herzog)

Als Trainer kam er jahrelang nicht vom Fleck. Immer wurde ihm zu wenig Erfahrung vorgeworfen. Tatsächlich hat er nach über zehn Jahren nicht einmal 50 Spiele als Cheftrainer absolviert, fast alle davon im Nachwuchsbereich. „Zidane trainierte vor Real Madrid auch nur Amateure“, kontert Herzog. Er sei nun mal kein Netzwerker. Trotzdem führten alle seine bisherigen Stationen über alte Weggefährten. Sein ehemaliger Trainer Josef Hickersberger holte ihn direkt vom Feld als Co-Trainer zur Nationalmannschaft. Später verschaffte ihm sein Freund Jürgen Klinsmann den Assistentenjob beim US-Team, den er fünf Jahre lang ausübte.

Schöngeist aus dem Arbeiterbezirk

Schon als aktiver Fußballer wollte Herzog nach Niederlagen mehrfach aus dem Nationalteam austreten. Sein Vater und seine Trainer hielten ihn davon ab. Seine Stärken analysiert er heute so: „Ich habe als Spieler gemacht, was mir Spaß bereitete.“ Dazu gehörten „Haken, Freistöße, Tempodribblings, Schüsse“. Verhasst waren ihm Waldläufe und ähnliche „Schindereien“, gibt er zu: „Bei Ausdauerläufen hat man mich schon in den Hintern treten müssen, damit ich nicht stehen bleibe.“ Auf dem Feld war er ein Schöngeist, der das Spiel mit Pässen gestaltete, doch er war kein Kämpfer. Herzog galt als sensibel, aber auch als stur. Als Rapid-Coach Hans Krankl den damals 19-Jährigen auf der ungeliebten Außenbahn aufstellte, jammerte Herzog so lange, bis er in die Mitte durfte. Zwei Minuten später erzielte er den Führungstreffer und behielt seine Position. Wenn Herzog etwas will, kann er hartnäckig sein – auch wenn er dafür nicht bis zum Umfallen kämpft, sondern nur bis zur Erschöpfung jammert.

Ausgleich gegen Israel. Beim Qualifikationsspiel für die WM 2002 schoss Herzog das Tor zum 1:1 in Tel Aviv

Herzog wuchs im Arbeiterbezirk Wien-Meidling auf. Im Gegensatz zu anderen Kickern seiner Generation war er jedoch kein Rebell und Raufer. Herzog rauchte nicht, trank nicht und trug keine Ringkämpfe mit Rivalen aus dem Viertel aus. Statt mit Freunden ging er mit seinem Vater, einem ehemaligen Kicker, der für die Pensionsversicherungsanstalt arbeitete, auf den Fußballplatz. Noch beim Bundesheer wurde Herzog, der von Admira zum Rapid-Nachwuchs gewechselt war, als Mama-Kind verlacht, weil er keinen Führerschein hatte und sein Vater ihn zur Kaserne chauffierte. Als er vor der Matura in der Schule mit Schwierigkeiten kämpfte, verbot ihm seine Mutter das Trainingslager mit Rapid. Seinem verdutzten Trainer erklärte er damals: „Das müssen Sie mit meiner Mama besprechen.“

Mehr Mozart, weniger Wagner

Herzog machte trotzdem Karriere. Er wechselte von Rapid zu Werder Bremen in die deutsche Bundesliga, wurde dort Meister, Pokalsieger und Führungsspieler. Nur beim großen FC Bayern München konnte er sich nicht durchsetzen; die vielen Alpha-Männchen schüchterten ihn ein. Nach einem Jahr kehrte er nach Bremen zurück. „Ich höre immer, dass Sie der Fußball-Mozart sind“, flachste sein Trainer Otto Rehagel: „Aber mir wäre lieber, Sie wären auch mal wie Wagner – ein bisschen härter.“

Früher habe ihn Kritik getroffen, sagt Herzog. Heute sei er abgehärtet. Auch in Israel stand er anfangs unter Beschuss. Die Vorwürfe: geringe Trainer-Erfahrung und Nepotismus. Den Job hatte ihm Willi Ruttensteiner, einst ÖFB-Sportchef und seit Juni 2018 als technischer Direktor in Israel tätig, verschafft. Über Ruttensteiner klagten österreichische Legenden einst, dass er sie nicht ausreichend mit Posten versorge. Auch Herzog soll wütend auf ihn gewesen sein. Heute schlägt er mildere Töne an: „Beim ÖFB war ja nicht nur der Willi allein für die Teamchef-Entscheidung verantwortlich.“

Faible für das offensive Spiel

Viele waren von Ruttensteiners Wahl überrascht – auch Herzog selbst. Schließlich sind die beiden äußerst unterschiedliche Typen. Ruttensteiner präsentiert sich gerne als Mann von Welt, gilt als Workaholic, der zu Fachreferaten und Marketing-Worthülsen neigt. Herzog dagegen wirkt durch und durch bodenständig. Beide verbindet jedoch das Faible für ein offensives Spiel. Beim Essen sitzen sie gelegentlich beisammen, schieben Salzstreuer über den Tisch und grübeln über Taktik. „Ich diskutiere sehr viel mit dem Willi, weil er ein sehr gutes Fachwissen hat“, so Herzog.

Die Freude an einem offensiven Spielstil zieht sich durch Herzogs ganze Karriere: „Ich habe es schon als Spieler gehasst, wenn alle verteidigt haben.“ Entscheidungen, die der Job mit sich bringt, widerstreben ihm gelegentlich: „Zu Beginn fiel es mir schwer, überhaupt Spieler aus dem Kader zu streichen. Wenn ich ihnen das sagen musste, wurde mir regelrecht schlecht.“

Neue Mappe für Trainerkarriere

Israels erste Matchbilanz unter Herzog ist unentschieden: drei Siege, drei Niederlagen. Zweieinhalb Wochen pro Monat verbringt er in seiner neuen Wahlheimat Israel: „Das Land gefällt mir. Lebensqualität ist wichtiger als alles andere. Spaß an der Arbeit zählt mehr als ein dickes Bankkonto.“

In die Begegnung mit der österreichischen Nationalmannschaft gehe er professionell, ohne Rachegelüste, beteuert Herzog. Man könnte es ihm glauben, fiele da nicht eine verräterische Bemerkung: „Früher ist das Spiel manchmal an mir vorbeigezogen. Aber dann haben sie mich gefoult, und ich bin zornig geworden. Erst dann war ich richtig da.“

Neben Herzogs Schreibtisch liegt eine dicke Mappe, aus der Zeitungsausschnitte quellen. „Das ist meine Spielerkarriere“, sagt er. Daneben sind ein paar lose Zeitungsberichte verstreut: „Die muss ich erst in eine neue Mappe einordnen.“ Um dann kämpferisch hinzuzufügen: „Die soll meiner Trainerkarriere gewidmet sein.“

Gerald Gossmann

Gerald Gossmann

Freier Journalist. Schreibt seit 2015 für profil kritisch und hintergründig über Fußball.