Pornostar Mick Blue: „Heute wird die Branche von Computernerds kontrolliert“
profil: Im Pornogeschäft sind Sie eine fixe Größe. Sie haben in 2300 Filmen mitgespielt und haben heuer, zum dritten Mal in Folge, den Porno-Oscar (AVN-Award) als bester männlicher Darsteller gewonnen. Können Sie sich Ihre Rollen mittlerweile aussuchen? Mick Blue: Ganz so wie in der Schauspielerei ist es nicht. Es ist in der Szene üblich, dass man für bestimmte Szenen gebucht wird. Mit einer normalen Filmproduktion hat das eher wenig zu tun. Ich nehme mir mittlerweile aber schon heraus, dass ich gewisse Szenen oder Themen ablehne.
profil: Wie lange arbeiten Sie an einer Produktion? Blue: Das kommt auf den Film an. Wenn es nur um den Sex geht, bei so genannten Gonzo-Produktionen, kann das Produkt in ein bis vier Tagen fertig sein. Bei Filmen mit Skript und Dialog kann sich der Dreh schon über mehrere Wochen ziehen.
profil: Wie kann man sich eine typische Arbeitswoche bei Ihnen vorstellen? Blue: Manchmal gehen die Drehs hier in Los Angeles von Montag bis Sonntag. Aber es gibt auch Tage, wo ich nur ein paar Stunden am Set bin und nur eine Szene drehe. Ich stelle mir meine Wochen aber schon so zusammen, dass ich immer wieder Ruhephasen habe, um mich körperlich und mental zu regenerieren.
Sex steckt in der Natur des Menschen. Sex vor der Kamera ist aber ganz was anderes.
profil: Schleicht sich nach Jahren im Geschäft nicht auch eine gewisse Routine ein? Blue: Für mich bleibt die Pornografie nach wie vor spannend. Man kann diesen Beruf nicht ausüben, wenn man nicht hundertprozentig dahinter steht. Das ist ein Grund, warum es nur so wenige Männer gibt, die erfolgreich sind. Viele haben den Traum, aber nur wenige ziehen das auch durch. Ich kann nur soviel sagen: Man muss schon sehr auf Sex stehen.
profil: Das klingt nach harter Arbeit. Blue: Ich vergleiche die Männer und Frauen, die auf einem gewissen Niveau arbeiten, gerne mit Athleten. Du musst dein Leben voll und ganz auf diesen Beruf ausrichten. Vergiss die Partys, vergiss Drogen und Alkohol. Du würdest es körperlich einfach nicht schaffen. Ohne genügend Schlaf und die richtige Ernährung geht es nicht.
profil: Sie sind seit drei Jahren mit der Pornodarstellerin Anikka Albrite verheiratet. Wie darf man sich Ihren Alltag vorstellen? Blue: Wir führen ein ganz normales Leben. Es ist wirklich nicht so spannend, wie sich das manche vorstellen. Man geht morgens zur Arbeit, kommt abends nach Hause, treibt Sport und kümmert sich um das Familienleben. Das war’s.
profil: Das klingt jetzt doch sehr brav. Blue: Die Branche ist heute viel kontrollierter. Die Zeit der wilden Partys, wie in dem Film „Boogie Nights“ (1997) dokumentiert, ist definitiv vorbei. Heute wird die Branche von Computernerds kontrolliert. Es geht darum, die richtigen Programme zu schreiben und Analysen zu erstellen. Das Internet hat den Markt grundlegend verändert.
profil: Kann man behaupten, dass Pornos mittlerweile ein akzeptierter Teil der Unterhaltungskultur sind? Blue: Die Sache ist kompliziert: Mehr Menschen als je zuvor schauen sich Sexfilme an. Es war noch nie so einfach, an Pornografie zu kommen. Alles, was man braucht, ist ein Smartphone. Der Nachteil ist, dass geschätzte 80 Prozent nur über diverse Gratisseiten konsumieren, was der Branche und den Darstellern wenig Geld bringt. Paradoxerweise ist die gesellschaftliche Akzeptanz nicht gestiegen. Pornografie ist noch immer ein Stigma, zumindest hier in Amerika. Immerhin haben schon einige Kolleginnen und Kollegen den Sprung in die Mainstreambranche geschafft.
profil: Haben Sie Ambitionen, auch in Hollywood zu reüssieren? Blue: Diesen Traum hatte ich schon immer. Ohne die richtigen Kontakte ist es aber schier unmöglich.
Ich vergleiche das immer gerne mit dem Beruf des Tischlers.
profil: Haben Sie bereits Erfahrung im ernsten Metier gesammelt? Blue: Es gibt eine Sache, auf die ich sehr stolz bin. Im Jahr 2004 habe ich am Wiener Burgtheater unter Christoph Schlingensief gespielt. Zuerst war ich, gemeinsam mit Udo Kier, als Hauptakteur im Hintergrundfilm zu „Bambiland“ zu sehen. Schlingensief wollte mich dann aber auf der Bühne haben, inklusive Sprechrolle. Im ausverkauften Burgtheater spielen zu dürfen, war ein unglaubliches Erlebnis. Ich kann jetzt verstehen, warum Schauspieler regelrecht abhängig vom Theater werden.
profil: Wie viel Kunst steckt in einer Porno-Performance? Blue: Das ist große Kunst! Männer und Frauen sind Artisten. Natürlich kommt es auch auf die Harmonie der Darsteller an; und die Erfahrung spielt eine große Rolle. Sex steckt in der Natur des Menschen. Sex vor der Kamera ist aber ganz was anderes. Die Einstellungen müssen passen, attraktiv sollte es sein und man muss auch an einem schlechten Tag seine Leistung abrufen können. Ich vergleiche das immer gerne mit dem Beruf des Tischlers. Wenn du das erste Mal einen Tisch oder einen Sessel zimmerst, hast du noch keine Ahnung, wie du vorgehen sollst. Die wirklich erfahrenen Männer sind mindestens zehn Jahre im Pornogeschäft.
profil: Bekommen Heranwachsende, die viele Pornos im Internet sehen, nicht ein groteskes Bild von Sexualität? Blue: Der Sex vor der Kamera ist natürlich was anderes als der Sex zu Hause. Auch ich muss mit meiner Frau keinen Marathonsex haben. Fünf bis zehn Minuten reichen meistens aus. Lange Szenen werden ja nur für die Konsumenten gedreht, nicht weil wir es so lustig finden. Privat ziehe ich die Missionarsstellung vor, beim Dreh ist die Position jedoch nicht förderlich. Man würde einfach nichts sehen. Grundsätzlich kann ich sagen: Pornografie ist zum Anschauen und nicht zum Nachmachen gedacht. Ich sehe mir ja auch keinen Actionfilm an und springe dann wie ein Stuntman aus dem zehnten Stock eines Hochhauses.
Mick Blue, 40
Seit 2000 arbeitet der gebürtige Steirer im Pornogeschäft, hat in zirka 2300 Filmen mitgespielt und dabei an die 3500 Szene gedreht. Vergangenen Samstag hat der Grazer, der heute in der Nähe von Los Angeles lebt, bei der jährlichen Branchen-Preisvergabe in Las Vegas seinen dritten Porno-Oscar (AVN-Award als bester männlicher Darsteller) en suite gewonnen. Das ist neuer Rekord. Blue, der lieber nicht mit seinem bürgerlichen Namen genannt werden will, wurde heuer in die Hall of Fame der Pornoindustrie aufgenommen. Mit seiner Frau, der Pornodarstellerin Anikka Albrite, hat er 2015, als erstes verheiratetes Paar überhaupt, gemeinsam den Hauptpreis gewonnen.