Rapid und die Trainerfrage: Die größten Fehler machen die Funktionäre
„Gogo raus“, heißt der neue Schlachtruf verzweifelter Rapid-Anhänger. Auch gestern nach dem 0:1 gegen den Stadtrivalen Austria Wien schallte er über die Ränge. Gogo ist der Spitzname des Trainers Goran Djuricin. Und wenn alles gut werden soll, so die Logik, muss er gehen.
Tatsächlich hängt am Können des Trainers auch der Erfolg der Mannschaft. Schon oft hat sich gezeigt, was ein Trainerwechsel bewirken kann. Während der knorrige Holländer Huub Stevens mit dem deutschen Bundesliga-Verein Hoffenheim beinahe abstieg, führte ihn der innovative Jüngling Julian Nagelsmann bis in den Europacup. Oder Peter Stöger, der nach dem Abgang von Ivica Vastic mit Spielern, die davor keinen ordentlichen Angriff kreieren konnten, groß aufspielend Meister wurde. Der Fußball kann so einfach sein. Mit dem passenden Trainer an der Seitenlinie. Aber er kann auch furchtbar kompliziert und undurchschaubar wirken, mit dem falschen Mann auf der Bank. Häufige Trainerwechsel sind in Mode. Meistens gibt es gute Gründe für eine Ablöse. Oft wissen Funktionäre aber einfach nicht weiter und wollen, so sagen sie selbst, „einen neuen Impuls setzen.“ Aber was hilft Rapid jetzt weiter? Der Verein ist Siebenter. Sieben Spiele, zwei Siege.
Es führt nicht automatisch zu mehr Erfolg, den Trainer hochkant hinauszuwerfen.
Durchschnitt. Das ist bei Rapid viel zu wenig. Der Verein mit dem zweithöchsten Etat der Liga muss um die Meisterschaft spielen. Doch Salzburg enteilt. Und auch der LASK und St. Pölten sind wesentlich konstanter.
Eines zeigt sich generell und auch bei Rapid deutlich: Es führt nicht automatisch zu mehr Erfolg, den Trainer hochkant hinauszuwerfen. Jedenfalls dann nicht, wenn unklar ist, nach welchen Kriterien der neue Mann geholt wird. Und dort hakt es im Profifußball, bei Vereinen und Verbänden von Rapid über Austria bis hin zum Nationalteam.
Zuerst steht immer der feste Entschluss: der Trainer muss weg. Und dann: Dann beginnt zumeist das Chaos. Die Austria verbrauchte in den letzten zehn Jahren zehn Trainer, der Stadtrivale acht Stück. Rapid sah sich lange als Familie, die im Regelfall einstige Rapid-Helden auf die Trainerbank hievte (Hickersberger, Schöttel, Pacult, Barisic). Oder abgehalfterte deutsche Haudegen (Matthäus, Büskens). Oder wenig bekannte Trainer, die mit Außenseiter-Teams Erfolge feierten (Zellhofer, Canadi). Eine These, die sich bei Klubfunktionären seit Jahren hartnäckig hält: Wer mit einem Dorfklub Erfolg hat, muss mit Rapid oder Austria durch die Decke gehen. Aufgegangen ist diese These selten: Baumgartner (Austria), Canadi (Rapid), Zellhofer (Rapid, Austria) und Bjelica (Austria) scheiterten. Die reaktiven Spielweisen der Trainer passten nicht zum dominanten Selbstverständnis der Großklubs.
Viele Vereine engagieren deshalb Sportdirektoren, die den Überblick im Dickicht der Fußballkonzeptionisten bewahren sollen.
Die Suche nach dem passenden Coach ist eine hochkomplexe Angelegenheit. Es gilt zu beachten, welche Spieler der Verein hat, welche Art von Fußball mit ihnen gespielt werden kann (Umschaltspiel, Ballbesitz, etc.), ob die Kicker sensibel sind oder robust und ob ein taktischer Feingeist besser passen würde, ein Mann der alten Schule, ein Faserschmeichler oder ein Peitschenknaller. Noch komplizierter macht die Sache: nicht jeder Taktikguru ist auch ein Pädagoge. Es gibt Genies mit Militärgehabe, altmodische Veteranen mit väterlichem Gespür und umgekehrt. Und dann muss die Strategie des Trainers noch mit den Fähigkeiten der Spieler kompatibel sein.
Viele Vereine engagieren deshalb Sportdirektoren, die den Überblick im Dickicht der Fußballkonzeptionisten bewahren sollen. Doch auch dort spießt es sich. Wer beurteilt die Kompetenz des Sportdirektors? Zumeist der Präsident, ein Aufsichtsrat, eine Task-Force. Sprich: ehrenamtliche Funktionäre, die Fußball-Manager spielen. Beim ÖFB lag vor beinahe einem Jahr nach der Entlassung von Sportdirektor und Teamchef die fachliche Analysegewalt des größten Sportverband des Landes in den Händen honoriger Herren mit Spieltrieb. Bei der Austria ermittelte ein Gremium aus Wirtschaftsmännern, Fußballfunktionären und der Austria-Legende Herbert Prohaska, dass die Austria-Legende Franz Wohlfahrt Sportdirektor wird. Heuer wurde Wohlfahrt entlassen, nachdem der Verein mit der Weiterentwicklung nicht zufrieden war.
In der Regel folgt auf einen harten Hund ein väterlicher Softie anstatt der fachlich Passende.
Ähnliches in Grün: Bei Rapid soll der aktuelle Sportchef Fredy Bickel langfristig den gerade pensionierten Jahrhundertkicker Steffen Hofmann als seinen Nachfolger aufbauen. Aber sollte ein Unternehmen wie Rapid (44 Millionen Jahresumsatz zuletzt) die wichtigste Personalie im Kerngeschäft, dem sportlichen Bereich, dem Fußballspiel, nicht professioneller und fachlicher auswählen, als einem Starspieler ein Amt zu versprechen? „Es muss klar sein, was ein Verein von der Arbeit des Sportdirektors verlangt. Ihn professionell auszuwählen, erfordert hohe Fachkenntnis bei den Clubfunktionären. Man sollte nicht nur nach dem Gefühl entscheiden“, betont Willi Ruttensteiner, derzeit Sportdirektor in Israel.
Die wilden Zeiten, als der Teamchef noch aufgrund seines Patriotismus von einem Selfmade-Millionär erwählt wurde, sind auch in Österreich vorbei. Doch noch immer wird oberflächlich nach Persönlichkeitsmerkmalen gesucht. In der Regel folgt auf einen harten Hund ein väterlicher Softie anstatt der fachlich Passende. Noch immer stehen diffuse Interessen oder dominantes Managergehabe gepaart mit Halbwissen über fachlich einwandfreien Auswahlprozessen. Die Red Bull-gesponserten Salzburg und Leipzig wurden auch deshalb so schnell erfolgreich, weil der Fußballexperte Ralf Rangnick zu der entwickelten Spielweise passende Spieler und Trainer kauft (was den Zufall minimiert und die Trefferquote erhöht hat). Bei Traditionsvereinen, so erzählte Rangnick einst, pfuschten ihm zu viele machthungrige Funktionäre ins Werk.
Bei Ligakrösus Salzburg ist die Trainersuche vorbildlich klar geregelt.
Die Zugänge im Profifußball sind unterschiedlich und zumeist hierarchisch geprägt. Beim SV Mattersburg beispielsweise sucht kein Sportdirektor den Trainer aus, sondern der Präsident. Die Kriterien dafür werden selten publik. Beim ÖFB durfte Sportdirektor Peter Schöttel bloß eine Liste mit Teamchefkandidaten anfertigen und einen Vorschlag abgeben. Entschieden wurde vom ehrenamtlich tätigen Präsidium, in dem Bürgermeister, Rechtsanwälte und Verleger sitzen.
Bei Ligakrösus Salzburg ist die Trainersuche vorbildlich klar geregelt. Der Mann auf der Bank soll trainieren können, wie der Verein spielen will. Schnell, angriffig, mit Pressing und Tempo. Danach werden Trainer (vom Jugendbereich bis zu den Profis) gezielt gesucht. Geht der eine weg, ist schon der nächste da. Der eine mit mehr Talent und Esprit, der andere mit weniger. Aber im Grunde: Ein Klon ersetzt den anderen. Im Idealfall passen Spieler, Spielweise und die Vision des Trainers perfekt zusammen. Der aktuelle Chefcoach Marco Rose reifte im Nachwuchs und trainiert jetzt die Profis. Der Verein will nicht nur Spieler entwickeln, sondern auch Trainer.
Während viele Klubs Spieler in Afrika und Korea beobachten, reicht der Blick für den idealen Trainer oft nicht einmal bis in die zweiten Ligen in Spanien oder Deutschland, wo sich erschwingliche Übungsleiter-Talente abseits der unbezahlbaren Branchengrößen, tummeln. Die Vereine beschäftigen Spielerscouts, aber keine Angestellten, die auch ohne Not durch das (zumindest) deutschsprachige Europa ziehen, gezielt Trainer beobachten und in Datenbanken erfassen, damit im Ernstfall kein Tohuwabohu herrscht.
Rapid muss eine Abkehr vom Wursteln definieren und ein klares Konzept entwerfen, wie man dauerhaft vorne mitspielen will.
Bei Rapid suchte zuletzt Präsident Michael Krammer, Mobilfunk-Unternehmer, den Trainer aus: Damir Canadi, davor mit Altach erfolgreich. Zu Ende gedacht wurde die Sache von Seiten des Vereins nicht. Canadi war schnell mit den vorhandenen Spielern (die nicht zur gewünschten Spielweise passten) unzufrieden, Neue wollte man ihm aber keine kaufen. Seitdem trainiert Canadi in Griechenland und dessen einstiger Assistent „Gogo“ Djuricin Rapid. Rapid spielt derzeit gar nicht sonderlich schlecht. Rapid spielt, was Rapid eigentlich immer spielt, wenn man nicht weiter weiß. Ballbesitzfußball mit der Hoffnung, dass das zu Erfolg führt. Doch meistens geht das nicht gut. Schon unter Zoran Barisic wurde damit nicht konstant gewonnen, vor allem gegen die kleinen Teams der Liga. Mit einem Trainerwechsel wurde selten alles anders.
Rapid muss eine Abkehr vom Wursteln definieren und ein klares Konzept entwerfen, wie man dauerhaft vorne mitspielen will. Rapid-Sportdirektor Fredy Bickel erklärte den Erfolg der Salzburger vor kurzem so: “Das ist langjährige Aufbauarbeit, da steht ein Konzept dahinter, und davon sind die anderen Klubs in Österreich weit weg. Das wird man auch nicht in ein, zwei Monaten wettmachen.” Eine durchgängige Spielphilosophie lehnte er aber im selben Interview ab. Entscheidend sei, in der Akademie viele Talente herauszubringen und sie dann in der Kampfmannschaft mit gestandenen Klassespielern zu einer schlagkräftigen Einheit zu formen. Das klingt nach alter Schule, aber nicht nach der großen Vision.
„Gogo raus“, schreien Rapid-Anhänger derweil unbeirrt. Zu Ende gedacht ist die Sache damit nicht. Vielmehr sollten sie präventiv nach Beantwortung dieser Fragen brüllen: Nach welchen Kriterien will der Verein generell Trainer aussuchen und welche nachhaltige Vision wird dabei verfolgt? Die “Gogo raus”-Rufe mögen zwar hemdsärmelig klingen. Der Verein braucht aber ein klares Weltbild, ehe er handgreiflich wird.