Spritzensport: Johannes Dürr über den Doping-Skandal
Aktualisiert, 5. März. Johannes Dürr ist in Innsbruck festgenommen worden. Die Staatsanwaltschaft sprach davon, dass sich ein "Verdacht gegen einen weiteren Langläufer" ergeben habe, der "zuvor selbst aufgrund seiner Angaben die Ermittlungen in Deutschland gegen den Sportmediziner aus Erfurt in Gang gebracht hat". Diese neuen Ermittlungsergebnisse haben es erforderlich gemacht, den Mann heute Mittag über Anordnung der Staatsanwaltschaft festzunehmen", hieß es in einer Aussendung der Anklagebehörde. Binnen 48 Stunden sei nun zu entscheiden, ob der Verdächtige wieder zu enthaften ist oder ob bei Gericht die Verhängung der Untersuchungshaft beantragt wird.
Aktualisiert, 6. März: Dürr, dessen Aussagen in einer ARD-Fernsehdokumentation den bei der Nordischen Ski WM in Seefeld aufgeflogenen Dopingskandal ins Rollen gebracht haben, soll selbst seit Jahren und bis zuletzt Eigenblutdoping betrieben haben. Er soll diesbezüglich bereits ein Geständnis abgelegt haben, teilte die Staatsanwaltschaft Innsbruck am Mittwoch mit. Dürr war am Dienstag wegen des Verdachts des Sportbetrugs in Innsbruck festgenommen worden. Die Staatsanwaltschaft verdächtigte den Langläufer, dass er nicht nur andere Sportler an den Erfurter Sportmediziner Mark S. vermittelt habe, sondern auch, dass Dürr selbst bis vor kurzem Eigenblutdoping betrieben habe und sich dabei von ebendiesem Arzt behandeln ließ. Weil Dürr zur Finanzierung seines geplanten Comebacks Crowdfunding betrieben habe, bestehe der Verdacht des Sportbetrugs.
(Anmerkung: Dieser Artikel ist in der profil-Ausgabe 1910 vom 3. März erschienen.)
Wenn der Österreichische Skiverband (ÖSV) von einem Dopingskandal betroffen ist, neigen seine Spitzenfunktionäre zum Poltern. Als „Trottel“ bezeichnete ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel die Langläufer Dominik Baldauf und Max Hauke, nachdem diese im Zuge der Doping-Razzia „Aktion Aderlass“ (siehe Kasten) bei der Ski-WM in Seefeld festgenommen worden waren. Außerdem folgen in solchen Fällen gern Worte wie „schwarzes Schaf“ und „Einzeltäter“ sowie der Hinweis auf die eigene Unzuständigkeit. Schröcksnadel dazu im „Kurier“ vom vergangenen Freitag: „Da steckt offenbar wirklich eine riesige Organisation dahinter, die ein großes Geschäft macht. (…) Wobei ich schon eines festhalten möchte: Die Zentrale ist schon in Deutschland, aber auf die Österreicher wird jetzt hingehaut. Die WM in Seefeld ist ja auch ein guter Aufhänger. Aber die Gauner sitzen schon woanders. (…) Es gibt bei uns keine Doping-Zentrale. Die ist, wie man sehen kann, im Ausland.“
Spur zum „kriminellen Netzwerk"
Als „Hund“ wiederum hatte Markus Gandler, seit 2003 ÖSV-Rennsportdirektor Langlauf und Biathlon und somit bereits während der Dopingskandale von Turin (2006) und Sotschi (2014) im Amt, seinen Vorzeige-Athleten Johannes Dürr bezeichnet, nachdem dieser im Februar 2014 beim Doping erwischt worden war. Fünf Jahre später brachte Dürr, inzwischen 31, durch eine Aussage bei der Staatsanwaltschaft München die Ermittler auf die Spur jenes deutschen Sportmediziners, der Baldauf, Hauke und mutmaßlich noch zahlreiche weitere Athleten aus anderen Sportarten beim Blutdoping unterstützt haben soll. Dieter Csefan vom Österreichischen Bundeskriminalamt sprach nach der Razzia von einem „kriminellen Netzwerk, das seit Jahren weltweit Spitzensportler mit illegalen Substanzen versorgt hat“.
profil begleitete Dürr im vergangenen Jahr bei seinem (letztlich erfolglosen) Versuch, zur WM in Seefeld in den Spitzensport zurückzukehren. Dabei entstand in Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller Martin Prinz auch ein Buch: „Der Weg zurück: Eine Sporterzählung“ (Insel Verlag). Die folgenden Passagen stammen aus zwei Gesprächen, die profil mit Dürr und Prinz in den vergangenen Tagen führte. Doping, so Dürr, war in seiner Laufbahn omnipräsent. Zu einer möglichen Mitwisserschaft von ÖSV-Betreuern darf er sich nicht äußern. Der Skiverband hat es ihm per einstweiliger Verfügung im Dezember 2018 untersagt.
Beim Thema Doping gab es höchstens Witzeleien und halblaute Aussagen. (Johannes Dürr)
Johannes Dürr: „Als ich als junger Athlet in das ÖSV-Team gekommen bin, war Doping allgegenwärtig. Beim Frühstück, Mittagessen und Abendessen. Das Thema ist im Raum herumgeschwirrt. Aber wirklich gesprochen wurde nicht darüber. Es gab höchstens Witzeleien und halblaute Aussagen. Wenn dann einmal etwas passiert ist, wie bei den Olympischen Winterspielen in Turin, haben wir es nur in der Zeitung gelesen oder im Fernsehen gesehen. Wirklich auseinandergesetzt haben wir uns im Team damit nicht.“ Martin Prinz: „Wir haben mehrfach versucht, mit dem ÖSV offen über das Thema Doping zu sprechen. Aber wir wurden ständig vertröstet. Dabei wäre es eine große Chance für den Verband gewesen, sich mit Johannes an einen Tisch zu setzen und Bewusstsein für das Thema zu schaffen, grundlegende Fragen zu klären: Wo fängt Doping überhaupt an? Wo liegt die Grenze zwischen Nahrungsergänzungsmitteln und Doping? Wie können wir als Team damit umgehen? Spitzensportler versuchen überall, das Beste herauszuholen: beim Material, bei der Ernährung, bei der Regeneration. Doping ist ein Teil dieses Optimierungsgedankens. Die Antwort des ÖSV war jedoch eine einstweilige Verfügung und Klage. Johannes darf nun nicht mehr sagen, dass er das Gefühl hatte, dass der ÖSV lieber wegschaut.“
Dürr: „Das Problem hängt jedoch gar nicht explizit mit dem ÖSV oder einem anderen Verband zusammen. Es geht vielmehr um die Struktur des Spitzensports. Darin gibt es viele Faktoren: Athleten, Verbände, Medien, wirtschaftliche Interessen. Hier gibt es ganz viele Interessenskonflikte. Alle guten Spitzensportler sind Egoisten. Da hat sonst wenig Platz. Das war bei mir nicht anders. Dadurch läuft man aber Gefahr, die Grenzen aus den Augen zu verlieren – die Grenzen des Erlaubten, des menschlich und moralisch Vertretbaren. In diesem Spannungsfeld wäre es wichtig, jemanden an deiner Seite zu haben, der dir sagt: Hier ist die Grenze. Dabei spreche ich noch gar nicht von der Frage Doping oder kein Doping. Das betrifft auch viele andere Facetten des Spitzensports. Aber was zählt, ist in letzter Konsequenz die Leistung. Ob du schön Zehnter geworden bist, interessiert keinen Menschen. Gewinnen musst du.“
Mit Sportverbänden ist es wie mit der katholischen Kirche: Wenn es Missbrauch gibt, werden interne Kommissionen eingesetzt, die sich mit den Problemen beschäftigen. (Martin Prinz)
Der ÖSV betont stets, nichts von den verbotenen Aktivitäten seiner Sportler mitbekommen zu haben. „Wie verhindern Sie es, wenn ein Kind Drogen nimmt? Das wächst im Geheimen. Die Eltern erfahren es als Letzte“, beharrte Schröcksnadel unmittelbar nach der Razzia von Seefeld. Sportdirektor Gandler war zwar intensiv in den Trainingsalltag der Athleten eingebunden, Signale habe das Betreuerteam aber keine erkannt: „Das sind erwachsene Leute. Wir bewachen sie nicht auf Schritt und Tritt. Sie haben genügend Freizeit, um so einen Blödsinn zu machen.“ Der 52-jährige Gandler hatte die undankbare Aufgabe, sich nach jedem neuen Vorfall vor die Kameras stellen und Sätze sagen zu müssen wie „Das ist der härteste Kampf meines Lebens“ oder „Das ganze Sportsystem basiert auch auf einer gewissen Vertrauensbasis“. ÖSV-Präsident Schröcksnadel hat das Vertrauen in Gandler mittlerweile freilich verloren: „Ich will diese Leute alle nicht mehr in dieser Form. Wir werden uns trennen, er wird die WM fertigmachen. Das ist keine Schuldzuweisung, er ist sicher nicht Täter.“
Athleten und Funktionäre werden ausgetauscht, Strukturen bleiben
Dennoch wird dem ÖSV die Frage nicht erspart bleiben, warum es trotz einer Verschärfung des Anti-Doping-Gesetzes, Sperren und Geldstrafen immer wieder zu Skandalen kommt. Athleten und Funktionäre mögen ausgetauscht werden, die Strukturen bleiben aufrecht. Schröcksnadel wirft Dürr vor, nicht schon früher Namen genannt zu haben. „Wenn Dürr nach 2014 schon ausgesagt hätte, dann wären wir heute nicht da.“
Dürr: „Beim Doping geht es nicht vorrangig um Namen. Die Menschen – Athleten und Dopingärzte – sind austauschbar. Wenn ein paar Namen entfernt werden, kommen die nächsten nach. Das Problem geht tiefer.“ Prinz: „Mit Sportverbänden ist es wie mit der katholischen Kirche: Wenn es Missbrauch gibt, werden interne Kommissionen eingesetzt, die sich mit den Problemen beschäftigen. Verbände sollten sich aber nicht selbst kontrollieren. Das funktioniert nicht. Hier hat auch die Politik gegenüber der Gesellschaft eine Verantwortung. Denn Verbände wie der ÖSV erhalten Millionen an öffentlicher Förderung.“ Dürr: „Bei Großereignissen zählen nur die ersten drei. Abgerechnet wird in Medaillen. Diese Reduzierung im Spitzensport schafft automatisch Zwänge und Druck. Es ist kaum möglich, sich dem zu entziehen. Ich habe auch geschwiegen. Das war für mich sehr erdrückend. Darüber müssen wir sprechen und offen damit umgehen.“ Prinz: „In diesem Spannungsfeld steht der Spitzensport stellvertretend für unsere Gesellschaft. Der Leistungsdruck ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Wir sprechen von Work-Life-Balance, als handelte es sich dabei um eine olympische Disziplin. Sich in seiner Freizeit ohne Ziel treiben zu lassen, ist kaum mehr möglich.“
Das normale Leben läuft ganz anders ab als das Leben im Spitzensport. Das habe ich hart lernen müssen. (Johannes Dürr)
Die in Seefeld festgenommenen Langläufer Baldauf und Hauke müssen sich ab sofort um eine neue Work-Life-Balance kümmern. Ihnen drohen wegen Sportbetrugs bis zu drei Jahre Haft sowie eine vierjährige Sperre durch den ÖSV. Das Innenministerium prüft den Ausschluss der beiden Athleten aus der polizeilichen Grundausbildung, in der sie sich offiziell noch befinden. Das Leben nach dem Skandal wird für die Gedopten ein Leben ohne den Spitzensport sein. Dürr: „Für mich war es damals ganz schwer, das anzunehmen. Ich habe mein Leben seit meiner Kindheit am Sport ausgerichtet und nur mein Leben als Spitzensportler gekannt. Die ersten zwei Jahre nach Sotschi war ich damit beschäftigt, den Scherbenhaufen wegzuräumen. Ich habe mich gefühlt, als wäre ich in einer Abwärtsspirale nach unten, aus der ich nicht herauskomme. Denn das normale Leben läuft ganz anders ab als das Leben im Spitzensport. Das habe ich hart lernen müssen.“
Dem österreichischen Skiverband steht nach dem Seefeldener „Dopingfestival“ („Süddeutsche Zeitung“) im besten Fall ein schmerzhafter Lernprozess bevor. In allen anderen Fällen wird der Sport noch so manchen „Trottel“ hervorbringen.
Infokasten „Operation Aderlass“
Die Sonne strahlt über Seefeld, auf der Toni-Seelos-Schanze trainieren die Kombinierer. Es ist der Vormittag des 27. Februar; um 14 Uhr wird bei der nordischen Ski-WM das Herren-Langlaufrennen über 15 Kilometer gestartet. Der österreichische Langläufer Max Hauke bereitet sich auf den Bewerb vor: Er sitzt in einem Ferienapartment der „Villa Edeltraud zum See“, an der Innsbrucker Straße gleich gegenüber vom ÖSV-Mannschaftsquartier, und lässt sich eine Bluttransfusion verabreichen. Plötzlich betreten Beamte des Sondereinsatzkommandos die Szene. Stummes Entsetzen beim ertappten Sportler. Verhaftung, Abgang, Skandal.
Im Rahmen der „Operation Aderlass“ führten an diesem Vormittag 120 deutsche und österreichische Polizei- und Justizbeamte insgesamt 16 Hausdurchsuchungen in Tirol und Thüringen durch. Neben Hauke wurden sein Teamkollege Dominik Baldauf, zwei estnische und ein kasachischer Langläufer, der mutmaßliche Drahtzieher des Doping-Rings sowie drei mutmaßliche Komplizen festgenommen.
Im Zentrum des Netzwerkes soll laut den Behörden der 40-jährige Sportmediziner Mark S. aus Erfurt stehen. S. arbeitete früher als Mannschaftsarzt für das Radsport-Team Gerolsteiner – und wurde schon vor zehn Jahren vom früheren österreichischen Radrennprofi Bernhard Kohl mit Blutdoping-Vorwürfen belastet. S. hatte dies stets bestritten. Nun kündigt sein Anwalt Andreas Kreysa an, S. werde „vollumfänglich mit den Ermittlungsbehörden“ kooperieren.
Infokasten zu den jüngsten Doping-Vergehen im ÖSV
2002: Olympische Winterspiele Salt Lake City In einem von ÖSV-Langläufern genutzten Privathaus während der Olympischen Spiele in Salt Lake City werden Geräte zur Durchführung von Bluttransfusionen gefunden. ÖSV-Sportdirektor Walter Mayer wird bis 2010 von Olympia ausgeschlossen. 2006: Olympische Winterspiele Turin Italienische Carabinieri führen in den Quartieren der Biathleten und Langläufer Doping-Razzien durch. Im April 2007 sperrt das Internationale Olympische Komitee die Sportler Wolfgang Rottmann, Wolfgang Perner, Martin Tauber, Jürgen Pinter und Johannes Eder lebenslänglich. 2014: Olympische Winterspiele Sotschi Langläufer Johannes Dürr wird bei einer Trainingskontrolle vor dem olympischen 50-km-Rennen EPO nachgewiesen. Der ÖSV kündigt an, ihn lebenslang zu sperren. Nach einem Rechtsstreit mit dem ÖSV wird seine Sperre nach zwei Jahren aufgehoben.
Johannes Dürr und Martin Prinz: Der Weg zurück Insel, 350 S., EUR 22,70
Mitarbeit: Sebastian Hofer