Viktor Mayer-Schönberger: "Wow! Totale Informationskontrolle!"
profil: Verstehen Sie die aktuelle Aufregung um Facebook und Cambridge Analytica? Dass mit Facebook-Nutzerdaten Werbung gemacht wird, ist ja schon länger bekannt. Mayer-Schönberger: Vieles von dem, was in den letzten Tagen berichtet wurde, hat einen Datenschutz-Unterton. Das ist tatsächlich nichts Neues. Die eigentliche Geschichte ist eine andere. Es geht um ungleich verteilte Informationsmacht. Wenn jemand vor 40 Jahren eine ähnliche Geschichte aus der Sowjetunion erzählt hätte, hätten wir gesagt: Wow! Totale Informationskontrolle -aber gut, in der Sowjetunion ist das halt so. Jetzt passiert es im Westen, und wir stehen fassungslos vor einer Struktur, die zutiefst zentralistisch-monopolistisch ist. Das Problem ist nicht der Missbrauch, sondern die Struktur.
profil: Sind wir zu naiv in Datenangelegenheiten? Wir alle stimmen ja dem Deal zu: Daten für Leistung. Mayer-Schönberger: So gesehen stimmten auch viele Leute dem Deal von Volkswagen zu, einen Diesel zu kaufen, der mehr Schadstoffe abgibt, als erlaubt war. In beiden Fällen war den Konsumenten nicht vollkommen klar, was passiert. Das sind sehr komplexe Systeme. Man kann nicht erwarten, dass jeder ein Experte dafür ist. Deshalb haben wir in unseren Gesellschaften andere Lösungen gefunden. Klassischerweise heißt eine Lösung: staatliche Kontrolle.
profil: Sie haben in Ihrem neuen Buch "Das Digital" vorgeschlagen, Facebook zu zwingen, seine Daten mit Mitbewerbern zu teilen. Mayer-Schönberger: Unser Vorschlag hat zwei Elemente. Erstens: besserer Datenschutz durch unmittelbare staatliche Kontrolle. Es ist vollkommen absurd, einem Datenschutz das Wort zu reden, bei dem vor allem die Betroffenen selbst in der Verantwortung sind. Davon profitiert nur die Datenkrake. Wir haben das in vielen anderen Bereichen, die ähnlich komplex sind, anders gelöst, etwa bei der Lebensmittelsicherheit. Niemand muss selbst mit dem Chemiekasten in den Supermarkt, um festzustellen, ob seine Lebensmittel Schadstoffe enthalten. Punkt zwei: Datenteilungspflicht. Facebook muss einen zufällig ausgewählten Teil seiner Daten für Mitbewerber zugänglich machen, um seine Informationsmacht zu brechen.
Mit dem Ostbahn Kurti könnte man sagen: Zwa Schritt viere, an Schritt z'ruck.
profil: Sind die Gesetzgeber auf den Technikoptimismus des Silicon Valley hereingefallen? Mayer-Schönberger: Die Geschichte ist viel trauriger. Wir hatten in den 1970er-Jahren in Europa Datenschutzrechte, die eine starke staatliche Regulierung vorsahen. Das ging bis zur Vorabkontrolle von Datenanwendungen durch eine Regulierungsbehörde, etwa so wie bei der Gentechnik. Das führte, als die Zahl der Computer explodierte, zu gewaltigem bürokratischem Aufwand. Als diese Gesetze geschaffen wurden, ging man noch von 50 Computern in ganz Deutschland aus. Irgendwann hat man dann schlicht aufgegeben, und die Last wurde dem User aufgeladen, mit der schönen Begründung: Wir ermächtigen die Betroffenen.
profil: Wird die neue, strengere Datenschutz-Grundverordnung der EU, die im Mai verbindlich wird, dieses Problem lösen? Mayer-Schönberger: Mit dem Ostbahn Kurti könnte man sagen: Zwa Schritt viere, an Schritt z'ruck. Die Datenschutz-Grundverordnung hat Elemente, die in die richtige Richtung gehen, weil sie die Verantwortung für den Datenschutz vom Individuum lösen. Aber in anderen Bereichen verstärkt die Verordnung die Verantwortung des Individuums sogar, zum Beispiel bei der Frage der Zweckbindung und der Einwilligung zum Sammeln von Daten. Das verfestigt das naive Modell vom ermächtigten Einzelnen.
profil: Interessant ist ja, dass Facebook den Rohstoff Daten nicht nur abbaut, sondern aus sich selbst schöpft. Ohne Facebook gäbe es viele dieser Daten überhaupt nicht. Mayer-Schönberger: Facebook ist es gelungen, drei Funktionen zu vereinen. Die Plattformfunktion, die Funktion des Infrastrukturproviders und die Funktion des Daten-Auswerters. Das ist ein bisschen so, als würden Sie über den Naschmarkt gehen und müssten beim Betreiber des Naschmarkts Ihre Einkaufswünsche deponieren, der diese dann an die einzelnen Händler weitergibt und Ihnen zugleich einflüstert, was Sie eigentlich kaufen oder nicht kaufen wollen. Genau so absurd ist das. Es ist kein Markt mehr. Wenn ich schon keine Vielfalt der Plattformen habe, dann brauche ich zumindest eine Vielfalt von Entscheidungs-Einflüsterern oder von Kommunikationskanälen. Auf Facebook habe ich nichts davon. Das macht es strukturell so mächtig und uns als Benutzer und Gesellschaft so verletzlich.
VIKTOR MAYER-SCHÖNBERGER,
1966 in Zell/See geboren, studierte Rechtswissenschaften in Salzburg und Harvard, war Softwareentwickler (Ikarus Software) und Mitarbeiter am Österreichischen Institut für Europäische Rechtspolitik, bevor er 1999 eine Professur an der Kennedy School of Government in Harvard übernahm. Seit dem Jahr 2010 lehrt er als Professor of Internet Governance and Regulation am Oxford Internet Institute. Er ist Autor mehrerer internationaler Bestseller ("Delete","Big Data" und zuletzt "Das Digital"), Vortragender und Berater.