Bill Withers: It's not warm when he's away
Im Juni 1971 veröffentlichte Sussex Records, ein kleines Independent-Label in Los Angeles, eine Single mit dem Titel „Harlem“. Der Song stammte von einem 32-jährigen, leidlich unbekannten Singer/Songwriter namens Bill Withers und entsprach weitgehend den R&B-Standards der Sixties. Was die DJs der tonangebenden Radiosender jedoch auf Anhieb elektrisierte, war die B-Seite: „Ain't No Sunshine“, eine spärlich instrumentierte Ballade in a-Moll, die kaum mehr als zwei Minuten brauchte, um das unendliche Universum von Liebe und Melancholie auszuloten.
Unverkennbarer Stempel
„Ain't No Sunshine“ wurde zum Millionenerfolg – und Bill Withers zum Superstar, obwohl ihm alle Voraussetzungen dafür fehlten: Er war bodenständig, bescheiden, nicht sonderlich sexy, schon relativ alt für einen Newcomer im Musikgeschäft und vollkommen unempfänglich für dessen kommerzgetriebene Launenhaftigkeit. Trotzdem drückte er der Popkultur des späten 20. Jahrhunderts einen ganz unverkennbaren Stempel auf – mit einem Amalgam aus Soul, Rhythm & Blues, Gospel, Folk und Funk und einer Reihe von Hits, die allesamt einen Ehrenplatz im Great American Songbook beanspruchen, weil sie einen unauslöschlichen Teil von dessen Essenz ausmachen: „Grandma's Hands“, „Use Me“, „Lean On Me“, „Lovely Day“, „Just The Two Of Us“. Die hohe Kunst des Popsongs besteht darin, vordergründiger Einfachheit eine hypnotische Tiefe zu verleihen. Bill Withers beherrschte diese Kunst mit einer geradezu beiläufigen Meisterschaft.
1985 zog er sich aus der Öffentlichkeit zurück, frustriert und verbittert über die Zumutungen der Musikindustrie. Außerhalb von Los Angeles führte er ein friedliches Pensionistendasein, gelegentlich unterbrochen von pompösen Ehrungen, die er mit der ihm eigenen selbstironischen Demut über sich ergehen ließ. Wie erst am Freitag bekannt wurde, erlag Bill Withers am 30. März einem Herzversagen.
Der Corona-Ausnahmezustand bietet die Gelegenheit, ein weiteres langes Social-Distancing-Wochenende mit dem Werk dieses einzigartigen Künstlers zu verkürzen. Nachstehend ein paar zielführende Links.
Die handliche Bill-Withers-Jukebox
Ausgewählte Fundstücke
„Still Bill“ Ein Dokumentarfilm aus dem Jahr 2009, in dem der Pensionist Withers offenherzig über seine Jugend, die Musikindustrie und sein Leben nach der Popkarriere spricht.
Bill Withers's wunderbar ironische Dankesrede anlässlich seiner Aufnahme in die Rock & Roll Hall of Fame im Jahr 2015
„Ain't No Sunshine“ Stevie Wonders Solotribut an den Geehrten. Withers sitzt andächtig daneben.
„Use Me“ 1998 coverte ein phänomenales All-Star-Lineup aus D'Angelo, David Sanborn, Eric Clapton, Marcus Miller und Steve Gadd den klassischen Withers-Song live.