Cannes-Tagebuch (III): Die Possen eines traurigen Clowns
Eine in Bukarest stationierte Unternehmensberaterin aus Deutschland sieht sich, mitten in der Vorbereitung einer schwierigen Präsentation, mit dem Auftauchen ihres kaum handhabbaren Vaters konfrontiert. Beide sind, ohne es zugeben zu wollen, in eine Krise geraten: er ein unterforderter Einsamer, der den Tod seines Hundes betrauert, sie eine auf Dauerfunktion programmierte Agentin in der zynischen Welt des Downsizing und Outsourcing. Burgtheater-Star Peter Simonischek spielt in „Toni Erdmann“, dem in Österreich koproduzierten dritten Film der deutschen Regisseurin Maren Ade, den schrulligen Winfried, den sanftmütigen Eindringling in das Leben seiner Tochter (Sandra Hüller) mit widersprüchlicher Energie; er porträtiert einen zurückhaltenden, fast scheuen Chaoten.
Die Beziehung zwischen den beiden ist differenziert, von Zuneigung ebenso getragen wie von gegenseitiger Zumutung – und sie basiert auf einer Rollenumkehrung: Der anarchische Papa versucht seine in Materialismus und Konservativismus erstarrte Tochter für die Möglichkeiten eines impulsiv gelebten Lebens zu sensibilisieren.
Zwar gelingen Ade Szenen von hoher komischer Wirkung, aber sie verhehlt an keiner Stelle die Melancholie, die ihre Charakterstudie grundiert.
Der Titel des Films, der nun im Wettbewerb der 69. Filmfestspiele in Cannes läuft, nennt die Kunstfigur, die Winfried für sich entworfen hat: einen stets leicht verhaltensauffälligen Mann mit Langhaarperücke und vorstehenden Kunstzähnen – als wär’s eine Hommage an Loriot, ein Tribut an die komischen Maskeraden in den Sketches jenes großen Satirikers bundesrepublikanischer Wirklichkeit. Aber die Richtung, die der Film nimmt, ist weniger eindeutig auf Lustspiel gerichtet; zwar gelingen Ade Szenen von hoher komischer Wirkung, aber sie verhehlt an keiner Stelle die Melancholie, die ihre Charakterstudie grundiert. Wie schon in „Alle anderen“, der Analyse einer angeschlagenen Liebesbeziehung (2009 gespielt von Birgit Minichmayr und Lars Eidinger), kostet die Filmemacherin auch in „Toni Erdmann“ die Ambivalenzen, Zwischentöne und Komplikationen aus, die sich in den Verhältnissen eben finden, die Menschen zueinander aufbauen.
Die Geduld und die Genauigkeit des Blicks sind in diesem System unabdingbar: Bei einer Laufzeit von gut 160 Minuten mag Ades Film, gemessen an seiner durchaus beiläufigen Story, lang erscheinen, aber um die zwischenmenschliche Feinmechanik zu ergründen, die das Kino sonst kaum je zu fassen kriegt, ist diese Ausdauer wesentlich; sie ist letztlich vor allem eines: eine Form der Großzügigkeit.