Christina Stürmer: "Auch im Weinviertel gibt es Internet und Zeitungen"
profil: Auf Ihrem neuen Album rücken Sie Gitarren und Schlagzeug in den Hintergrund. „Überall zu Hause“ ist mehr Pop- als Rockmusik, es dominieren elektronische Beats und Synthesizer. Wie schafft man es als Künstlerin, sich in seinem Rahmen weiterzuentwickeln? Christina Stürmer: Meine Stimme ist sehr markant. Darüber bin ich sehr froh. Man hört sofort, dass da Christina Stürmer am Werk ist. Richtig bewusst wurde mir das erst bei den Aufnahmen zum neuen Album. In den Songdemos sind wir bis an die Grenzen – und noch ein paar Schritte weiter gegangen. Da geht sich viel aus.
profil: Woher kommt Ihr neuer Stil? Stürmer: Ich wurde ja gerne als Rockröhre bezeichnet, das hat mir zwar geschmeichelt, aber auch nicht ganz gestimmt. Diese breiten Gitarren, das bin gerade nicht ich – so fühle ich mich auch nicht. Ein frischer Wind war notwendig. Außerdem spiegelt der neue musikalische Stil meinen privaten Musikgeschmack wider. Bei uns zu Hause läuft die ganze Zeit Mumford & Sons, OneRepublic oder Imagine Dragons. Das heißt aber nicht, dass ich Gitarren nicht mehr liebe. Ich höre noch immer gerne Stone Sour – und in selten Fällen auch Slipknot. Das Schubladendenken habe ich abgelegt.
profil: Mit Ihrer Musik sprechen Sie ein breites Publikum an. Sind neue Songs stets eine Gratwanderung zwischen der Verwirklichung eigener Wünsche und dem, was das Publikum hören möchte? Stürmer: Ja und nein. Zuerst tausche ich mit dem Management aus. Man klärt: Was kann passieren, wenn ich plötzlich meinen Stil ändere? Es soll ja keine bösen Überraschungen geben. In meinem Fall braucht es immer eine Marschrichtung, die vorgegeben wird. Management, Plattenfirma und ich müssen dann an einem Strang ziehen.
profil: Das neue Album ist durchaus persönlich ausgefallen. Hatten Sie keine Angst zu viel preiszugeben? Stürmer: Nach „Starmania“ habe ich viel zu viel preisgegeben. Das war wie in einem Film. Auch meine persönlichen Beziehungen waren Gesprächsthema Nummer eins. Ich war der Meinung, dass die Menschen wirklich an meiner Person interessiert waren. Heute ist es für mich okay, wenn es mein Leben als Musikerin betrifft. Dass ich eine Tochter habe, ist zum Beispiel kein Geheimnis. Ich würde aber keine Fotos von ihr veröffentlichen. Auch Homestorys, die mir hartnäckig immer wieder angeboten werden, lehne ich kategorisch ab.
profil: Und bei den neuen Songs? Stürmer: Ich habe diesmal bei allen Texten mitgeschrieben. Dabei bin ich ziemlich selbstkritisch. Ich frage mich ständig, ob die Texte auch so gut wie beim letzten Album sind? Alles in allem ist mir das Songschreiben diesmal ziemlich leicht von der Hand gegangen.
profil: Wie hat sich Ihre kleine Tochter auf das Rockstarleben ausgewirkt? Stürmer: Früher habe ich mich gefragt, wie sich der Rock’n’Roll-Lifestyle mit einem Kind ausgehen soll. Heute weiß ich, dass auch das Tourleben mit Kind bestens funktioniert. Meine Tochter schläft auch gerne im Tourbus. Außerdem ist das Live-Spielen noch immer das, was mir als Musikerin am meisten Spaß macht. Das Unterwegssein, die Anspannung vor den Auftritten, die Frage, ob genug Menschen beim Konzert sind. Ich kann diese Energie, die Euphorie dann ganz gut mit ins Privatleben nehmen.
profil: Wir leben in turbulenten Zeiten. Die neuen Songs haben Sie zu einem Gutteil in Ihrem Heimstudio im Weinviertel aufgenommen. Ist das Album eine Nabelschau? Stürmer: So sehe ich das nicht. Vor allem seit meinem Kind haben sich die Perspektiven verändert. Das Schöne an Kindern ist ja, dass sie noch keine Vorurteile haben, ihnen ist die Hautfarbe egal, sie sehen in den Menschen nicht das Schlechte, sondern das Gute. Prinzipiell ist für sie jeder Mensch einmal ein Freund. Ich stelle mir permanent die Frage: Was will ich meinem Kind mitgeben, in welche Welt wurde es geboren? Natürlich will ich meiner Familie einen sicheren Hafen bieten, aber auch im Weinviertel gibt es Internet und Zeitungen. Man bekommt schon mit, was auf der Welt so los ist.
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