Hannelore Elsner: Die Kriegerin
+++Dieser Text erschien im profil Nr. 24/11 vom 10.06.2011. Hannelore Elsner ist tot. Das teilte der Anwalt der Familie mit. Sie starb nach kurzer, schwerer Krankheit im Alter von 76 Jahren.+++
Eine ältere Dame wirft mit schwerem Porzellan nach einem Taxifahrer, einfach so, einer Laune folgend. Sie kann ihre Rechnung nicht begleichen, und der Mann, der ihr scheu ins fremde Haus gefolgt ist, um auf sein Geld zu warten, geht ihr plötzlich auf die Nerven. Er wird davongejagt. So tritt Hannelore Elsner in ihrem jüngsten Film, in "Blau vom Himmel“, in Szene: mit aschgrauen Locken, unberechenbar, schwer krank. Die Frau, die sie spielt, ist dement, erkennt ihre Familie nicht mehr, schwelgt nur noch in der Vergangenheit. Es sind schwierige Rollen wie diese, für die Elsner, eine Virtuosin der Charakterdarstellung, so prädestiniert ist, die sie immer übernehmen wollte und die doch so rar waren in ihrer Karriere.
Wie wenig ihr die deutsche Film- und Fernsehlandschaft seit 1960, dem Jahr, in dem sie erwachsen wurde, tatsächlich zu bieten hatte, macht ein Blick auf ihre Werkliste deutlich. Die cinephile Elsner wusste stets genau, wie schlecht die meisten Vorschläge waren, die man ihr unterbreitete und aus denen sie lange nur die jeweils geringsten Übel zu wählen hatte. Seriöse Projekte wie "Die Reise nach Wien“, 1973 von Edgar Reitz inszeniert, blieben Sonderfälle. Dennoch arbeitete sie unaufhörlich, fast manisch: In knapp 180 Filmen trat sie im vergangenen halben Jahrhundert auf, zudem spielte sie Hauptrollen in wohl weit über hundert Episoden diverser Fernsehserien wie "Die schöne Marianne“ (1975-78) und "Die Kommissarin“ (1994-2006). Kriegerinnen seien ihre Figuren oft, sagt Elsner lächelnd, dagegen könne sie fast nichts tun: Sie statte die Frauen, die sie spielt, fast automatisch mit Autonomie und Wehrhaftigkeit aus. Vielleicht musste sie deshalb so lange darauf warten, dass man ihr Filme nahe brachte, die ihr auch entsprachen. 57 war sie, als ihr Regisseur Oskar Roehler 1999 anbot, die Titelrolle in seinem Film "Die Unberührbare“ zu übernehmen - den Part seiner Mutter, der tragisch lebenden und endenden DDR-Schriftstellerin Gisela Elsner.
Hochelegant, grüblerisch, auf ihre Weise kokett
Die unverkennbar sanfte, melodisch tönende, fast mädchenhafte Stimme ist das Zentrum ihrer Kunst - und ein schöner Kontrast zur Härte der Charaktere, die sie am liebsten darstellt. Sie schätzt den ein wenig altmodischen Glamour: Elsner absolviert jeden Interviewtermin wie einen großen Auftritt, hochelegant, grüblerisch, auf ihre ganz eigene Weise kokett. Mit fortschreitendem Alter ist Hannelore Elsner immer noch schöner geworden, hat an Faszination weiter gewonnen; aus dem bloß hübschen Film-Starlet der frühen sechziger Jahre wurde eine außergewöhnliche Schauspielerin mit der Aura einer Tragödin. Sie hat, was man Photogénie nennt: Jede Kamera liebt ihr Gesicht. Dabei ist ihre Schönheit lange auch ein Fluch gewesen, ein Karrierehindernis in vielerlei Hinsicht, denn in den Sixties galt in praktisch allen deutschen Produktionsbüros noch die alte sexistische Gleichung, nach der künstlerische Seriosität und blendendes Aussehen einander diametral entgegenstünden.
Einen falschen Ton kann ich nicht ertragen
Extrem dünnhäutig ist sie, wie so viele, die an der Schauspielerei ernsthaft arbeiten. Sie sei "süchtig nach Wahrhaftigkeit“, schreibt sie. Und: "Einen falschen Ton kann ich nicht ertragen.“ Aber einen kleinen schützenden Abstand, eine Art Schleier, der sie von ihren Figuren noch trennt, den brauche sie doch: "Ich will mich auch zeigen, aber eben nicht so direkt, weil ich sonst viel zu angreifbar und zu verletzbar wäre.“ Von den wenigen exzellenten Drehbüchern, die sie in ihrem Leben lesen durfte, habe sie sich "erkannt gefühlt“, auch von jenen Regisseuren, die sie (und nur sie) für bestimmte Rollen haben wollten. "Im Überschwang“ - so sieht Hannelore Elsner ihr "durcheinandernes Leben“ und vor allem sich selbst: als hochemotionale, zwischen Euphorie und Melancholie schwankende Größe. Sie habe auch, bei aller Achtsamkeit, eine "leicht-sinnige“ Existenz geführt, genauer: "ein Leben mit einem bestimmten leichten Sinn“.
Ständige Schicksalsschläge
Das erstaunt dann doch, denn wenn man nun ihre an sich sehr empfehlenswerte, leider ärgerlich schlecht redigierte Autobiografie liest, gewinnt man den Eindruck, der Tod sei Elsners ständiger Begleiter gewesen. Ihr großer Bruder stirbt in einem Kugelhagel, als sie gerade drei ist, ihr Vater nur fünf Jahre später an Tuberkulose. Viel zu früh kommt auch der Tod der Mutter 1973, eine Herzattacke beendet ihr Leben, als sie noch keine 60 ist. Aber an das Schicksal, das viele Phasen in Elsners Leben so ungnädig überschattet hat, scheint sich die Schauspielerin, geboren mitten im tobenden Zweiten Weltkrieg, so früh gewöhnt zu haben, dass sie darauf nicht mit Resignation, sondern stets nur mit Gegenwehr reagiert hat.
Als "Schwierige“ gilt Hannelore Elsner, nicht ganz zu Unrecht. Denn sie fordert etwas ein, von Freunden, Mitarbeitern und Interviewpartnern: dass man eben nur sie "meint“, wenn man mit ihr Zeit verbringt, mit ihr arbeitet oder auch nur plaudert. Und natürlich will sie gelobt, gefeiert, geliebt werden - sie ist Schauspielerin bis in den letzten Winkel ihrer Existenz, diesen Beruf kann sie nicht routiniert, nicht abgeklärt betreiben, nicht aus der Ferne, gleichsam ironisch betrachten. Denn sie weiß zwei oder drei entscheidende Dinge über ihre Profession aus persönlicher Anschauung, hat etwa am eigenen Leib erfahren, wie es ist, unter seinem Wert verkauft zu werden. So ist die kluge Frau Elsner, wenn sie sich wohl und aufgehoben fühlt, zu großer Herzlichkeit und zu Gesprächen fähig, die man mit anderen niemals führen könnte - aber sie hat auch kein Problem damit, sich unbeliebt zu machen, wenn ihren paar Wünschen nicht entsprochen wird, wenn ihr Dinge zugemutet werden, die sie längst nicht mehr nötig hat. Wenn der Begriff "professionell“ so verstanden werden soll, dass unter seinem Deckmantel herz- und gedankenlos Arbeit zu leisten sei, dann will Hannelore Elsner kein Profi sein. Das ehrt sie, auch wenn es manche der Abläufe mit ihr ein wenig komplizierter als üblich macht.
Zwischen Beruf und Leben mag sie nicht unterscheiden, das ist nur legitim. Tatsächlich schlägt schon Elsners private Biografie eine Schneise in die deutsche Film- und Unterhaltungsbranche der vergangenen Jahrzehnte, wozu nicht zuletzt ihre Beziehungen zu dem (leider ebenfalls früh verstorbenen) Filmemacher Alf Brustellin, zu dem Produzenten Bernd Eichinger und dem Regisseur Dieter Wedel gehören.
Im Juli 2012 wird Hannelore Elsner 70, aber spüren wird sie den Eintritt in ihr achtes Lebensjahrzehnt kaum, denn sie dreht und spielt und verschleiert sich weiter, arbeitet an kleinen Komödien und großen Melodramen, an Fernsehkrimis und Kino-Epen, nie ganz zufrieden mit dem Stand ihrer Kunst, aber am Ende gerade darüber auch ein wenig froh: Denn nur die Unzufriedenheit mit sich und der Welt setzt etwas in Gang. Der Rest ist nichts als kunstloses Glück.
Hannelore Elsner: Im Überschwang. Kiepenheuer & Witsch. 310 S.