Geheimnislose Seelen

Kino: „Der Trafikant“ hätte eine bessere Verfilmung verdient

Kino: „Der Trafikant“ hätte eine bessere Verfilmung verdient

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Ein Roman ist mehr als sein Plot, und das Kino mehr als ein Übersetzungsprogramm. Um ein Stück Literatur sinnvoll in einen Film zu verwandeln, muss man dessen Geist erfassen, sein Wesen erkennen – und es anschließend in größtmöglicher Freiheit bearbeiten. Wer den Reiz einer gelungenen Prosakomposition vermitteln möchte, ist gut beraten, diese neu zu erfinden, sich von den Buchstaben zu lösen, sie nicht einfach zu „bebildern“.

Genau dies aber geschieht in der österreichisch-deutschen Koproduktion „Der Trafikant“ (Kinostart: 12. Oktober): Der beachtliche Spielraum, den das Buch eröffnet, auf dem dieser Film basiert, wird in der Adaption fürs Kino wieder verengt. „Von Böen getrieben, prasselte der Regen gegen die Fensterscheiben, vor denen ein paar geköpfte Geranien in ihren Kübeln ersoffen. An der Wand über der Altkleiderkiste wackelte der eiserne Jesus, als könnte er sich jeden Augenblick von seinen Nägeln losreißen und vom Kreuz springen, und vom nahen Ufer war das Krachen der Fischerboote zu hören, die von den aufgepeitschten Wellen gegen ihre Uferpflöcke geschleudert wurden.“ Aus einer literarischen Passage wie dieser wird im Nachbildungskino ein blankes Abziehbild: Ein junger Mann unter seiner Decke in einer wackeligen Hütte, draußen Sturm und Regen, innen Unwohlsein.

Robert Seethalers Roman „Der Trafikant“ erzählt die Liebesleidensgeschichte eines tagträumenden Teenagers aus dem Salzkammergut (Simon Morzé), der in Wien 1937 als Lehrling in einem Zeitungs- und Tabakladen in der Währinger Straße den ums Eck ordinierenden Herrn Professor Freud kennenlernt, weil dieser dort stets seine Zigarren kauft. Er klagt dem berühmten Seelenforscher seine Not mit der Liebe zu einer flatterhaften Varietétänzerin (Emma Drogunova), eine Art Freundschaft entsteht, als der alte Freud dem Jüngling versichert, die Komplikationen der Herzensdinge selbst nicht durchschauen zu können. Der einbeinige Cheftrafikant, in der Filmversion gespielt von Johannes Krisch, ist der dritte Sympathieträger des Buchs: ein geradliniger, antifaschistischer Patron, der von den erstarkenden Nazis allerdings bald zur Rechenschaft gezogen wird.

Simon Morzé und Bruno Ganz als Sigmund Freud

Regisseur und Co-Autor Nikolaus Leytner, seit Mitte der 1990er-Jahre vor allem im Fernsehen aktiv, hat in den vergangenen 20 Jahren nur zwei Kinofilme („Drei Herren“, 1998; „Der Fall des Lemming“, 2009) gedreht; er vertraut sich für seine Rückkehr auf die große Leinwand zu stark der allzu passiven Präsenz eines Protagonisten an, der nicht recht begreifen kann, was um ihn vorgeht. So rauscht die Zeit über den naiven Helden hinweg wie die Mittel des Kostümfilms über die Zartheit impressionistischer Schriftstellerei.

„Der Trafikant“ ist ein Dekorations- und Kulissenfilm, in dem nichts glaubhaft erscheint: die Trafik eine Theaterbude, der Fleischerladen nebenan nur eine Fassade. Wien 1938 als synthetisches, hochdruckgereinigtes Bühnenbild. Die theatralische Anlage dieser Verfilmung wird durch den Einsatz „prägnanter“ Nebendarsteller noch verstärkt: Der Fleischhauer (Rainer Wöss) bleibt, genau wie die forsch auftretenden Nazis und die sich entziehende Geliebte, eindimensional, ganz auf seine Funktion reduziert. Die Banalitäten einer nazifizierten Welt (im Kabarett werden sind plötzlich Judenwitze en vogue) werden durchexerziert, und die zart schweizerische Färbung in der Sprache, die Bruno Ganz seinem Sigmund-Freud-Porträt gibt, ist der Stimmigkeit des Wiener Milieus auch nicht dienlich.

Die vulgär-psychologische Grundierung des Films durch die Träume und Visionen des jugendlichen Helden schließlich macht deutlich, womit hier eigentlich gehandelt wird: Dem laufenden Ausverkauf der Psychoanalyse ist jedes Geschäftsfenster recht.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.