Kollegah bei der Echo-Verleihung 2018
"Hip-Hop ist der Punk der Gegenwart"

Affäre um Kollegah: "Hip-Hop ist der Punk der Gegenwart"

Zwischen Kunstanspruch, Provokation und Antisemitismus: Was ist los im deutschen Hip-Hop?

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profil: Hip-Hop ist aktuell das erfolgreichste Musikgenre unter Teenagern. Thomas Kiebl: Absolut. Hip-Hop ist die Musik dieser Zeit. Man muss sich nur die aktuellen Streamingzahlen ansehen, die ein guter Indikator sind. Die deutschen Rapper Kollegah und Farid Bang haben mit ihrem Album „Jung Brutal Gutaussehend 3“ in der ersten Woche allein auf Spotify knapp 30 Millionen Streams erreicht. Die meisten Hörer sind zwischen 14 und 20 Jahre alt. Bei Instagram gehen die Abonnenten in die Millionen.

profil: Können Sie sich diesen Erfolg erklären? Kiebl: Nur an der Musik alleine liegt es nicht, sondern auch an der Vermarktung. Die Rapper der 187 Strassenbande, die gegenwärtig zu den erfolgreichsten Rappern im Deutschrap-Kosmos zählen, präsentieren sich als besonders authentisch – und nutzen die Social-Media-Kanäle, um das zu zeigen. Auf Instagram posieren sie mit Waffen und Drogen, um zu beweisen, dass sie die Inhalte ihrer Rapsongs tatsächlich verkörpern. Es gibt kein anderes Genre, wo die Social-Media-Komponente ähnlich stark ist. Unterhaltung, auch durch skurrile Interviews, spielt im Hip-Hop eine zentrale Rolle. Diese Mischung macht das Genre so erfolgreich.

profil: Hat auch die Sprache etwas damit zu tun? Kiebl: Deutschrap hat eine Sprache, die viel näher dran ist, wie in den Parks und auf den Spielplätzen gesprochen wird – mit den Anglizismen und türkischen oder arabischen Ausdrücken. Das beeinflusst natürlich auch die Sprache der Jugendlichen. Rapper Haftbefehl, mit seinen schrägen Vokalbetonungen, der ganze Satzteile einfach auslässt, war dafür ein Katalysator im Deutschrap. Der bildungsbürgerliche Duktus so mancher Indie- und Rockbands kann da nicht mithalten.

profil: Aber auch die Kids aus wohlhabendem Hause hören gerne Gangsterrap. Kiebl: Untersuchungen aus den USA zeigen, dass Rap vor allem von weißen Mittelstandskindern gekauft wird. Die Kinder von der Straße hören das natürlich – gepusht wird die Musik aber von den Jugendlichen mit Geld. Im deutschsprachigen Raum ist das nicht viel anders. Es gibt die Hörer, die sich damit identifizieren können und diese Geschichten spannend oder unterhaltsam finden. Hip-Hop spricht verschiedene soziale Schichten an.

profil: Die Rapper Kollegah und Farid Bang verhöhnen in einem ihr Songs Auschwitz-Opfer – und gewinnen dann auch noch den deutschen Musikpreis Echo. Hat Sie das überrascht? Kiebl: Neu ist das nicht. Kollegah hat bereits 2015 einen Echo für das Album „King“ gewonnen, auf dem die ebenfalls gegenwärtig diskutierte Zinssatz-Line von Gastrapper Favorite enthalten ist. Es gab damals vor allem bei Kollegah genug Ansatzpunkte, wo man auch eine Welle der medialen Empörung lostreten hätte können, etwa den „Lagern in Auschwitz“-Vergleich auf dem ersten Teil von „Jung Brutal Gutaussehend“ oder Songtitel wie „Endlösung“. Jan Böhmermann hatte aber dennoch kein Problem, ihn in seine Sendung einzuladen, erst jetzt distanziert er sich davon. Wahrscheinlich sind die Verkaufszahlen heute so groß, dass man es nicht mehr ignorieren kann – und Antisemitismus ist mittlerweile ein größeres Thema geworden. Der Echo-Skandal wird an den Verkaufszahlen nichts ändern, eher im Gegenteil. Aufmerksamkeit nützt dem Geschäft.

profil: Nicht nur Antisemitismus ist ein Problem. Die Texte sind zum Teil frauenverachtend und gewaltverherrlichend. Muss man das so hinnehmen? Kiebl: Man muss unterscheiden. Es gibt die Ebene der Musik, bei der Antisemitismus kaum eine Rolle spielt. Ein anderes Problem sind die sozialen Medien, über die Rapper hauptsächlich kommunizieren. Was da teilweise verbreitet und kommentiert wird, ist unerträglich. Während des Gaza-Kriegs 2014, als es im deutschen Hip-Hop eine Solidarisierungswelle mit Palästina gab, wurden auch Zitate von Hitler geteilt. Aber auch Verschwörungstheorien über den 11. September. Das große Problem sind die Kommentare der Fans in den sozialen Medien, die einfach stehen gelassen werden. Da wird es schnell sehr unappetitlich. Die Fans nehmen vieles häufig unreflektiert auf und verteidigen ihre Stars wie in einer Sekte.

Antisemitismus ist das einzige Thema, mit dem man noch provozieren kann.

profil: Ist Kollegah ein Antisemit? Kiebl: Kollegah ist ein besonders interessanter Fall. Bürgerlich heißt er ja Felix Blume und ist studierter Jurist. Er hat sich seit seinem Beginn im Rap immer als eine andere Person verkauft. Das Image dieser Kunstfigur war immer klar: Kollegah ist der Zuhälter, der Frauen und Drogen verkauft – und in Wirklichkeit hat er Prüfungen an der Uni geschrieben. Mit der Zeit haben sich diese Grenzen verwischt, die Texte wurden persönlicher. Kollegah als Antisemit? Ich weiß nicht. Zumindest Ansätze von strukturellem Antisemitismus lassen sich in verschiedenen Videos vorfinden. Er weiß aber einfach, wie man Platten verkauft. Antisemitismus ist dank der besonderen Beziehung von Deutschland zu Israel das einzige Thema, mit dem man noch provozieren kann.

profil: Verstehen die jungen Fans, dass es sich bei vielen Rappern um Kunstfiguren handelt? Kiebl: Vor ein paar Jahren hätte ich noch ohne Zögern Ja gesagt. Mittlerweile bin ich mir nicht mehr sicher. Kollegah hat sich vom dürren Pickelgesicht zum Muskelberg hochtrainiert und rappt davon, am Wochenende Nackenklatscher zu verteilen. Früher war klar, dass das überzeichnet ist. Heute kaufen ihm das wahrscheinlich viele Fans ab.

profil: Die 187 Strassenbande scheint durchaus authentisch zu sein. Kiebl: Das stimmt. Sexismus, Gewalt und Drogen spielen da eine große Rolle. Da geht es stark um Authentizität als Verkaufsargument. Die posten ständig auf Instagram und konsumieren in ihren Stories Drogen. Die Fans können das direkt verfolgen. Früher war das bei populären US-Rappern wie Eminem sehr weit weg. Heute können die Fans durch Social Media alles live verfolgen. 187 Strassenbande geben zum Beispiel auch kaum Interviews. Die kommunizieren nur direkt mit ihren Fans.

profil: Darf man Künstler wie Kollegah und Farid Bang noch gut finden? Kiebl: Die Frage muss jeder für sich selbst beantworten. Es gibt rechtliche Grenzen, die von Kollegah und Farid Bang nicht überschritten wurden. Klar ist aber: Sie haben einen extrem geschmacklosen Vergleich gezogen. Rechtlich fällt das noch unter Redefreiheit. Eine weitere Grenze für mich sind extrem sexistische Zeilen. Da höre ich nicht mehr zu.

profil: Gibt es überhaupt noch moralisch völlig einwandfreie Rapper? Kiebl: Im Gangsterrap ist die Suche danach schwierig. Gangsterrap ist menschenverachtend. Da braucht man nichts schönreden. Es gibt natürlich Rapper aus anderen Subgenres, die sich links positionieren, wie die Antilopen Gang, die gegen Sexismus, Antisemitismus, Homophobie und Rassismus im Rap ankämpft, oder K.I.Z., die mit Satire spielen. Diese Rapper werden aber fast nur von Studenten gehört.

profil: Wie steht es um die Hip-Hop-Szene in Österreich? Kiebl: Die Szene in Österreich ist klein, die Gangsterrap-Szene noch kleiner. Die großen österreichischen Rapper wie Yung Hurn oder Crack Ignaz, die sich auch einen Namen in Deutschland gemacht haben, machen aber einen anderen Rap, den man als Dada- oder Konsum-Rap bezeichnen kann. Textlich geht es da um nicht viel, das sind oft nur Worthülsen, die nichts aussagen. Da steht in erster Linie der Lifestyle und Konsum im Mittelpunkt. Da passt es auch ins Bild, dass Yung Hurn einen Werbevertrag mit Zalando hat, wo er seinen Wochenendlook vorstellt. Vor ein paar Jahren gab es eine Phase, in der Balkan-Rapper in Österreich mit nationalistischen Bildern gespielt haben. Das hat aber auch wieder abgenommen. Antisemitismus ist mir aber keiner aufgefallen.

profil: Gibt es auch Frauen, die im Hip-Hop einen Namen haben? Kiebl: Frauen können mit dem Erfolg der Männer im deutschsprachigen Raum sicher nicht mithalten. Rap ist immer noch sehr männerdominiert, Gangsterrap sowieso. Erfolgreich sind SXTN, die mit Partyhymen auf sich aufmerksam machen und mit einem gewissen Straßenimage kokettieren. Hayiti gewann zuletzt den Echo-Kritikerpreis und spielt auch mit Straßenimages. Eunique hat Potential. Bekannt ist auch Sookee als linke Rapperin. Das war es dann fast schon. Kein Vergleich zu den USA, wo es mittlerweile mehr Rapperinnen gibt, die sich behaupten und ihren Kollegen um nichts nachstehen. In Österreich kann man noch Yasmo und, wenn man das Spektrum stark erweitert, Mavi Phoenix als erfolgreiche Rapperinnen zählen.

profil: Wohin bewegt sich die Hip-Hop-Szene? Kiebl: Es heißt manchmal, dass die deutsche Blase bald platzen wird. Diese Kritik kommt vor allem aus der eigenen Szene. Absehbar ist das aber nicht. Wellen gab es immer wieder. Zum ersten Mal richtig groß war Deutschrap mit Aggro Berlin und Bushido. Ab 2008 ist das wieder abgeflaut. Dann gab es mit Casper, Marteria oder Cro Künstler, die einen anderen Zugang hatten. Das ging schon in die Indie und Pop-Richtung. Jetzt haben wir diesen Battle-Rap mit überzeichneten Figuren und knallharten Streetrap. Zeitgleich aber auch dieser Konsum-Rap auf Trap-Beats. Spannend zu sehen, was danach kommt. Aber Rap ist aus dem Mainstream nicht mehr wegzudenken.

profil: Die Kids wollen nicht mehr Rock’n’Roll-Stars werden, sondern Gangsterrapper? Kiebl: Oder YouTuber. Rap ist der Punk der Gegenwart. Die einzige Musikrichtung, mit der man noch anecken kann. Die Frage ist, womit man in Zukunft noch provozieren kann.

Interview: Philip Dulle und Stephan Wabl

Thomas Kiebl
Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Von 2009 bis 2024 Redakteur bei profil.