„M – Eine Stadt sucht einen Mörder“: Das Zeug zum Straßenfeger?
Leise rieselt der nächtliche Schnee auf der Wienerstadt herab, aber die Bosheit, der die Menschen prägt, ist markerschütternd, so ohrenbetäubend wie die Sensationsmeldungen des Boulevard. Ein Flüchtlingskind, eine achtjährige Afghanin, wird vermisst. Im Radio wird ein „Heimatministerium“ gefordert. Ein zweites Mädchen wird wenig später spurlos verschwinden. Man muss mit dem Schlimmsten rechnen. Der Blick fällt von weit oben auf verlassene Straßenzüge. Ein Horrorclown, der seine Luftballons feilbietet wie einst der blinde Alte auf der Straße in Fritz Langs Präfaschismus-Schocker „M“ (1931), begegnet dem Kind noch, ehe es abhanden kommt. Die anheimelnd-unheimliche Melodie aus Edvard Griegs erster „Peer Gynt Suite“ erklingt, wie bei Lang, auch in David Schalkos „M“-Hommage, einer aktualisierten Erzählung von unmenschlich gewordenen Zeiten und sozialer Kälte.
Düsteres Wintermärchen
Das kleine Mädchen, von den Eltern vernachlässigt, war nachts zurück auf die Straße geschickt worden, von einer lieblosen, in der Küche das Fleisch kleinhackenden Mama (Verena Altenberger), die ihr Leben mit untreuem Mann (Lars Eidinger) nicht mehr ertragen kann. Ihre Tochter kommt nicht mehr zurück, als Kindesentführungsfall erregt ihr Verschwinden prolongiertes Aufsehen. Und überall nur zerrüttete Beziehungen und verwüstete Psychen. Schalkos „M“ ist ein düsteres Wintermärchen, ein Fuchs streunt durch den Schnee wie ein mysteriöser Fotograf im Pelzmantel (Udo Kier). Sonderlinge sind die meisten Figuren hier, vom verstockten Lehrer (Michael Fuith) bis zum „Bleichen Mann“ (Bela B.), der – als wollte er sich in Kubricks „Killer’s Kiss“ versetzen – Zeit in einem Spiegelzimmer mit unzähligen Schaufensterpuppen verbringt.
Reich an subkomödiantischen Tönen
Die polizeiliche Ermittlung bleibt vorerst fruchtlos, auch weil das gebrochene Fahnder-Duo (Christian Dolezal, Sarah Viktoria Frick) unter starken persönlichen Problemen leidet. Schalkos Miniserie ist reich an subkomödiantischen Tönen, an staubtrockenen „Twin-Peaks“- und Dada-Dialogen. Mit seinen Quellen geht Schalko allerdings sehr offen um: Seinen Helden David Lynch lässt er höchstpersönlich im Soundtrack die Stimme erheben, lässt ihn vom „Cold Wind Blowin’“ singen, der durch sein Herz fährt. Kameramann Martin Gschlacht schafft starke Bilder, während die Story im Anekdotischen zu zerfasern droht. Es hagelt Grusel- und Figurenklischees: Spieldosenklänge und finster Orchestrales (Musik: Dorit Chrysler), das leere Dauerlächeln der jungen Rechtspopulisten, der Sadismus der Unterwelt (Sophie Rois überzeichnet ihre Rotlicht-Diktatorin lustvoll). Die Eitelkeit des jungen Innenministers, der während seiner Geschäftstelefonate nackt im Hofburg-Spiegelzimmer posiert, wird ebenfalls ein wenig überdeutlich angezeigt.
Atmosphärisch, aber nicht spannend
Um politische Aktualität sind Schalko und Co-Autorin Evi Romen sichtlich bemüht: wie Regierung und Revolverjournalisten Kleingeld aus Krise und Paranoia schlagen; das triste Leben im Asylwerberheim; wie die geplante Eröffnung eines Zentrums für Prävention von Sexualstraftaten einen Shitstorm provoziert. Das alles ist gut gedacht und wird mit schönem Sarkasmus serviert, aber man wird das Gefühl nicht los, dass dieses Projekt sich in Konstruktionsfragen verzettelt, seine Schauspielerelite gar nicht recht nutzen mag. Man kann diese Erzählung aus gutem Grund atmosphärisch nennen, spannend ist sie nicht.
Wundern und freuen
Dabei ist David Schalko, 46, Romancier, TV-Entwickler, Filmemacher und Serien-Designer, ein wagemutiger und hochproduktiver Geist, dem nicht alles gelingt, was er in Angriff nimmt, der aber in seiner unaufhörlichen Arbeitswut eben doch immer wieder Erstaunliches zustande bringt. Seine fünfstündige, in sechs Episoden geteilte Variation über Langs „M“, gönnt sich fast dreimal so viel Zeit wie das Original. Man folgt dieser Neudeutung, bei allen unübersehbaren Schwächen, mit Interesse, weil sie streitbar und hemmungslos genug ist, um sich über sie wundern und freuen zu können.