Michael Köhlmeier
Das Erstarken des amerikanischen Traums

Michael Köhlmeier über Trump: "Das ist wie ein Herzschuss“

Michael Köhlmeier über Trump

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profil: Ist Donald Trumps Amerika noch Ihr Amerika? Michael Köhlmeier: Trump kann mein Bild von diesem Land nicht verdüstern. An meiner Faszination für Amerika, für seine Musik, Literatur, seine Landschaften und Menschen ändert er nichts. Die aktuell aufkeimenden Bürgerproteste machen mir die USA im Gegenteil noch sympathischer.

profil: Ihr Roman "Abendland“ spielt teils in den USA. Hat Ihre Amerika-Euphorie überhaupt keinen Dämpfer abbekommen? Köhlmeier: Nein. In North Dakota lernte ich vor etlichen Jahren entzückende Menschen kennen, die nach europäischen Maßstäben einen klirrenden Konservativismus vertraten. Natürlich haben die, schätze ich, durch die Bank Trump gewählt. Das waren keine Bösen. Die haben sich nur um ihren Dreck gekümmert. Und sie haben akzeptiert, wenn es die anderen auch getan haben. Die hätten immer gesagt: Meine Familie zuerst. Die weite Welt war denen egal. Sie waren auf eine sympathische Weise borniert. Trump ist auf eine unsympathische Weise borniert. Aber es weht ein ähnlicher Geist.

profil: Laut Wahlanalyse haben ihn vor allem weiße, frustrierte Männer gewählt. Köhlmeier: So heißt es, ja. Viele dieser Trump-Wähler stammen aus der Unterschicht, die werden zuerst unter ihm zu leiden haben. Der weiße, frustrierte Mann - das ist auch ein Klischee. Wenn wir uns die Geduld nehmen und zuhören, wenn wir ihm helfen, sein Auto zu reparieren, wenn wir mit ihm gemeinsam kochen, dann würde sich das Klischee schnell auflösen.

profil: Ist die Idee des Sozialstaats noch immer einer der eklatantesten Unterschiede zwischen den USA und Europa? Köhlmeier: Ja. Viele Amerikaner würden auf diese Frage so antworten: Ein Staat, der sich allzu intensiv um mich sorgt, der verachtet mich. Der sagt zu mir: Ohne meine Hilfe schaffst du es nicht, du bist ein Versager und wirst immer einer bleiben, und deine Kinder und deine Enkel auch. Der Sozialstaat nimmt mir die Hoffnung, den Traum, auch die Würde. Und das ist mehr, als er mir geben kann. Dagegen wehren sich viele. Obama hat bewiesen, dass träumen nützt, ja: Ein Schwarzer ist Präsident geworden. Der amerikanische Traum, von uns in Europa überheblich belächelt, ist etwas unermesslich Tiefes und grandios Menschliches. Amerika ist das Synonym für die Übermächtigkeit von Träumen. Wir sollten uns daran ein Beispiel nehmen. Ohne Träume wird nichts aus Europa.

In Amerika besitzen Träume eine Mächtigkeit, die uns staunen lässt.

profil: Von Trump stammt der Satz, Amerika sei "das großartigste Land, das es je auf der Welt gab“. Stimmen Sie ihm zu? Köhlmeier: Durchaus. In Amerika besitzen Träume eine Mächtigkeit, die uns staunen lässt. Das aufgeklärte-abgeklärte Europa dagegen verbietet den Traum, beschimpft ihn als schädliche Illusion - Hoffnung und Traum sind in Europa keine politischen Kategorien mehr. Sie waren es einmal. Identität kann aber nur über Träume erreicht werden.

profil: Trumps Wahlkampf war also auch der Versuch, einen neuen Traum von Amerika wachzurufen? Köhlmeier: Er wurde von sehr vielen Menschen, die seine Phrasen und Lügen durchschauten, dennoch gewählt, eben weil er auf den Traum gesetzt hat. Dass dabei viele auf einen penetranten Schaumschläger mit der Persönlichkeitsstruktur eines zwölfjährigen Trotzkopfs hereingefallen sind, ist bedauerlich. Aber Zwölfjährigen traut man eben Träume zu.

profil: Braucht das Land überhaupt einen neuen Traum? Köhlmeier: Kennedy schickte einst die Nationalgarde, um einen einzigen schwarzen Amerikaner im Süden studieren zu lassen. Martin Luther King formulierte: "I have a dream.“ Mit Obama ist der Konflikt zwischen Schwarz und Weiß zumindest symbolisch befriedet worden. Der Ernüchterung jedoch, die nach Obamas Wahl eingetreten ist, wurde bislang zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die kühne These sei erlaubt: Vielleicht rührt die Verachtung, die den Obama-Jahren nun entgegenschlägt, auch daher, dass Trumps Vorgänger der Nation einen Traum genommen hat, indem er ihn realisierte. Womöglich lässt sich Michelle Obama spätestens 2025 zu einer Kandidatur überreden, um die Utopie der ersten schwarzen Frau an der Spitze des Staates in Erfüllung gehen zu lassen.

profil: Nicht wenige Europäer dürften diesen Traum hegen. Köhlmeier: Träume haben auf dem europäischen Kontinent nur dann Chancen, wenn deren Realisierungen bereits an die Tür klopfen. In Europa ist kein Politiker vorstellbar, der die Menschen mitreißt, indem er sagt: "Ich habe einen Traum.“ Bei uns folgt sofort die Frage: "Und wie willst du ihn finanzieren?“ Wir sind zynisch. Und nicht mehr naiv. Wir halten Naivität für Dummheit. In den USA trat mit dem Ende der Amtszeit Obamas dagegen die vermeintliche Paradoxie ein, dass der erfüllte Traum zur Enttäuschung wurde. Dieser Traum von Amerika erreicht keine Herzen mehr.

profil: Trumps Vision heißt "America First“. Köhlmeier: In jeder amerikanischen Literatur, die wirklich gut ist, steckt ein metaphysischer Kern. Es gibt auch kaum ein Wort, das von Amerikanern häufiger gebraucht wird als jenes vom "promised land“. Jeder erfolgreiche amerikanische Präsident der Vergangenheit appellierte an das Versprechen des gelobten Landes. Der Schriftsteller Josef Haslinger beschrieb vor Jahren bereits die "Politik der Gefühle“. Tatsächlich gibt es keine andere Politik, um bei Menschen anzukommen. Und wenn sich Gefühle mit Träumen verbinden, dann kann man von Populismus sprechen. Es ist ein Fehler, darunter nur etwas Negatives zu verstehen.

profil: Ist Trumps Präsidentschaft der Triumph des Turbo-Populismus? Köhlmeier: Bereits Obama trieb die Politik der Gefühle auf die Spitze. Er war der beste Redner, den Amerika je hatte. Trump zielte in seiner äußerst wortarmen Inaugurationsrede ebenfalls auf Gefühle und Träume. Obama forderte eine Welt ohne Rassismus ein, ohne Atomwaffen. Was natürlich ein edlerer Traum ist als jener, der jedem den selbstgebauten Chevrolet vor der Haustür verspricht.

profil: Nimmt die Idee "Amerika“ gerade irreversibel Schaden? Köhlmeier: Amerika ruht, grob gesprochen, auf zwei Säulen: Auf dem Genozid der Ureinwohner - und den Hoffnungen all jener Einwanderer, die sich in den USA ein besseres Leben als in ihren Ursprungsländern erhofften. Amerika lebt von der Diversität, das Land beruht auf der Verschiedenheit seiner Bewohner. Trump will per Dekret die Einwanderung stoppen. Das ist wie ein Herzschuss.

profil: Werden wir durch Trump Zeuge eines Live-Langzeitamoklaufs? Köhlmeier: Als Nixon, ein fast schon irrer Anti-Kommunist, US-Präsident wurde, war die Befürchtung groß, er werde Atombomben über Moskau und Peking zünden und Vietnam dem Erdboden gleichmachen. Nixon beendete jedoch den Vietnamkrieg und leitete die Normalisierung der Beziehungen zwischen den USA und China ein. Als Person kann ich Trump keinerlei gute Seiten abgewinnen. Zugleich misstraue ich aber nicht erst seit gestern jener Form der politischen Analyse, die heute schon zu wissen vorgibt, was übermorgen sein wird. Sämtliche Voraussagen haben zuletzt in allen wichtigen Punkten versagt. Niemand hat den Brexit und einen US-Präsidenten Trump für möglich gehalten. Auch von Reagan haben wir uns gefürchtet. In seine Regentschaft fiel das Ende des Kalten Krieges.

profil: Nicht wenige meinen, Trump sei auch deshalb gewählt worden, weil er die Antithese zum Polit-Establishment verkörpere. Köhlmeier: Wodurch definiert sich dieses sogenannte Establishment, das inzwischen auch bei uns durch die Reden gewisser Politiker geistert? Durch Geld? Dann wäre Trump nicht Präsident. Politische Sesselkleberei? Der mit Abstand längstdienende Parteivorsitzende in Österreich heißt Heinz-Christian Strache. Ich denke, die meinen unter Establishment einen nicht näher definierten Kreis Intellektueller, denen sie unterstellen, sie führten sich auf, als wüssten sie alles besser, wären gescheiter als alle anderen, hätten allein den Durchblick. Den Aufstand Arm gegen Reich hatten wir bereits, jetzt folgt der soziale Konflikt zwischen den Gebildeten und Ungebildeten, den Kultivierten und Unkultivierten, die sich gekränkt und gedemütigt fühlen. In Wahrheit werden Popanze aufgebaut, Sündenböcke.

profil: Verschärft die Digitalisierung diese Spaltungstendenzen? Köhlmeier: Die Digitalisierung ist für die große Masse der Menschen eine narzisstische Kränkung. Unser Weltvertrauen ist nur mehr sehr gering, der Durchblick ist uns abhandengekommen. Wie funktioniert das World Wide Web tatsächlich? Werden tatsächlich alle Telefongespräche gespeichert? Der Computer mag die größte Erfindung der Menschheitsgeschichte sein, eine Leistung, zu der sich die Entdeckung des Rads wie eine Fußnote ausnimmt - aber diese Welt ist den meisten fremd und auch unheimlich, obwohl sie zwei Drittel ihrer wachen Zeit ein Smartphone in Händen halten. Eine schmale Elite, das ominöse Establishment, allein blickt durch. So denken die, die nicht durchblicken. Und dieses Establishment hat alles unter Kontrolle. Man denke nur an die vielen Verschwörungstheorien, die besonders in rechten Kreisen kursieren.

profil: Trump trommelt sich wie ein Pavian auf die Brust und gibt vor, für alle Probleme eine Lösung parat zu haben. Köhlmeier: Das nehmen die Amerikaner in Kauf, aber nicht unbedingt ernst. Ich bin, signalisiert er, ein rechter Simpel, und ich mache es euch simpel. Trump weiß genau: Jede öffentliche Schelte, er sei dumm, bringt ihm Stimmen. Seine Botschaft lautet: Wir lassen uns von denen, die von sich behaupten, alles zu wissen, nichts mehr sagen. Sobald Trump von dem sogenannten Establishment als dumm abgekanzelt wird, ist für seine Wähler der Beweis erbracht, dass er einer von ihnen ist. Wer über ihn lacht, lacht in Wahrheit über uns. Wie jetzt über ihn gelacht wird, so hat man immer über uns gelacht. Er ist also einer von uns. Egal, wie reich er ist. Egal, wie exzentrisch er ist. Die ausgelacht werden, halten zusammen. Die Internationale der Ausgelachten. Hitler formulierte früh einen der bedrohlichsten Sätze überhaupt: "Sie haben mich immer als Propheten ausgelacht. Von denen, die damals lachten, lachen unzählige nicht mehr. Die jetzt noch lachen, werden in einiger Zeit vielleicht auch nicht mehr lachen.“ Das ist die Rache jener, die nicht geschätzt werden. Wer nicht geachtet wird, dem kann die Welt getrost abbrennen.

Michael Köhlmeier, 67,

zählt zu den wichtigsten deutschsprachigen Schriftstellern. Er lebt und arbeitet in Hohenems und Wien. Aktuelle Publikationen: die Textsammlung "Der Mensch ist verschieden“ (gemeinsam mit Monika Helfer) und der Lyrikband "Ein Vorbild für die Tiere“.

Wolfgang Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.