Szenenbild aus der Hitler-Groteske „Jojo Rabbit“

Oscar-Favoriten: "Jojo Rabbit" und "Little Women"

Zwei Oscar-Favoriten, zwei historische Tragikomödien: die Hitler-Groteske „Jojo Rabbit“ und die Feminismus-Studie „Little Women“.

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Die alte Frage, ob man sich über Hitler lustig machen dürfe, ist schon seit 80 Jahren, seit Chaplins „Der große Diktator“, zum Gähnen langweilig. Spannender ist da schon die Problemstellung, komödiantisches Potenzial in der stark limitierten Figur des Reichskanzlers überhaupt zu finden – und in der Geschichte des Nazi-Terrors auch 75 Jahre nach dessen Ende erzählerisch und formal Ungeahntes aufzuspüren. Der aus Neuseeland stammende Comedian, Regisseur und Autor Taika Waititi, 44, gibt sich nun alle Mühe, seinem Sujet sowohl filmische Originalität als auch emotionale Kraft zu verleihen. „Jojo Rabbit“ beginnt recht ausgelassen: Waititi selbst tritt, in einer burlesken Performance, als imaginärer Führer auf – als Fantasma des kindlichen Filmhelden, eines glühenden Nachwuchsnazis, der durch die Präsenz eines von seiner Mutter, einer Widerstandskämpferin (Scarlett Johansson), versteckten jüdischen Mädchens eines Besseren belehrt wird. Den Rahmen bilden zwei Popklassiker: die deutschsprachigen Versionen von „I Wanna Hold Your Hand“ der Beatles („Komm, gib mir deine Hand“, 1964) und „Heroes“ („Helden“, 1977) von David Bowie.

Die Subversion aber, auf die es Waititi offenbar anlegt, beginnt nach etwa einer halben Stunde merklich zu verblassen. Immer unsicherer werden in „Jojo Rabbit“ Drama und Groteske gemischt, bis die Pointen in der forcierten Tragik zu ertrinken drohen und die Sentimentalität in der Albernheit des Regiezugriffs. Das vieldeutige Rilke-Zitat, das Waititi an das Ende seines Films setzt („Lass dir alles geschehn: Schönheit und Schrecken. / Man muss nur gehn: Kein Gefühl ist das fernste“), mutet schließlich mehr als ein wenig aufgesetzt an; als hätte „Jojo Rabbit“ auch nur annähernd die Tiefenwirkung solcher Worte.

Die Latte liegt auch in „Little Women“ (Kinostart: 31.1.) hoch: Die dritte Regiearbeit der US-Schauspielerin Greta Gerwig (die erste nach ihrem Erfolg mit „Lady Bird“, 2017) basiert auf dem berühmten, 1868/69 erschienenen autobiografischen Jugendroman Louisa May Alcotts. Seit 1917 wurde der populäre Stoff unzählige Male verfilmt – als Stummfilmschlager, Fernsehserien und modernisierte Erzählungen. Die berühmeste Adaption, in der Katharine Hepburn das Alter Ego Alcotts, die angehende Schriftstellerin Jo March spielt, stammt von George Cukor und datiert aus dem Jahr 1933.

Feministische Obertöne

Gerwig nähert sich dem Werk auf ihre Weise: klassisch und sanft zeitgemäß zugleich. In konventionellem Setting lässt sie die sympathische Viererbande der March-Schwestern, gespielt von vier jungen Charakterdarstellerinnen des anglophonen Gegenwartskinos (Saoirse Ronan, Florence Pugh, Emma Watson, Eliza Scanlen), betont „modern“ agieren. Die feministischen Obertöne der Erzählung sind leicht zu fassen, gerade weil sie in einem gewissen Gegensatz zu den traditionell romantischen Handlungswendungen stehen. „Little Women“ ist intelligent inszeniert, superb gespielt und durchaus mitreißend, aber in seiner Haltung (und Musik) dann doch mit mehr Hollywood-Zucker versehen, als man der Indie-Ikone Gerwig zugetraut hätte.

Die Marktgängigkeit ist damit aber fixiert: Für sechs Oscars ist „Little Women“, genau wie auch „Jojo Rabbit“, nominiert.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.