Ruth Beckermann: "Die Waldheim-Affäre war ein Befreiungsschlag"
Interview: Stefan Grissemann
profil: Es könnte sein, dass Ihr neuer Film im Februar 2019 bei den Oscars antreten wird, theoretisch sogar in gleich zwei Kategorien: als bester fremdsprachiger Film und als beste Doku. Beckermann: Gibt es einen eigenen Dokumentarfilm-Oscar? Ich habe noch nie eine ganze Academy-Awards-Zeremonie gesehen.
profil: So wenig bedeutet Ihnen der Oscar? Beckermann: Ich habe mich einfach nie damit befasst -überhaupt mit Preisen nicht. Ich fand aber die Berlinale, bei der wir ausgezeichnet wurden, schon sehr lustig: dieser absurde Aufwand für den Auftritt auf einem schmutzigen roten Teppich. Aber es wäre durchaus interessant, als Nominierte einmal bei der Oscar-Gala zu sitzen.
profil: Haben Sie den Eindruck, mit "Waldheims Walzer" in ganz neues Territorium vorgedrungen zu sein? Beckermann: Eigentlich nicht. Ich wollte einfach einmal einen Kompilationsfilm machen, ein Werk, das nur aus Archivmaterial besteht. Mit der internationalen Resonanz, die der Waldheim-Film seit der Weltpremiere vor sieben Monaten hervorgerufen hat, konnte ich nicht rechnen, das hat mich schon kalt erwischt. Allerdings ist es nicht besonders schön, seither ständig über Waldheim und die Abgründe der österreichischen Politik reden zu müssen. Die Aktualität hat den Film eingeholt. "Waldheims Walzer" entstand ja noch vor Trump, vor Kurz, Strache und Konsorten.
profil: Im Grunde ist "Waldheims Walzer" eine Untersuchung der Grundmuster des Rechtspopulismus - und den gab es auch 2013 schon, als Sie mit der Arbeit an Ihrem Kompilationsfilm begannen. Beckermann: Sicher, aber als ich anfing, dachte ich, das werde ein kleiner Film für Österreich, weil er vor allem dieses Land betreffe.
profil: Aber schon das Material, das Sie einsetzen, zeigt doch, wie international die Causa war. Beckermann: Das stimmt zwar, aber interessanterweise beleuchtete das österreichische Fernsehen in Sachen Waldheim damals nur die Vorgänge in Österreich. Niemand kam auf die Idee, jemanden aus dem Ausland dazu zu befragen.
profil: Und Sie finden es inzwischen mühsam, bei Festivals über "Waldheims Walzer" zu diskutieren? Beckermann: Die Leute stellen oft Fragen, die ich nicht beantworten kann. Etwa diese: Warum hat Österreich nach der Lektion Waldheim heute eine solche Regierung? Ich halte Kurt Waldheim ja für eine Figur wie aus den 1950er-Jahren. Er war schon 1986 unglaublich altmodisch. Das sind Kurz, Strache und Kickl heute nicht. Aber der entscheidende Unterschied ist dieser: Die Waldheim-Affäre war eine Wende zum Besseren, ein Befreiungsschlag.
Die Zeit war reif für den Zusammenbruch dieses Kartenhauses, dieser Lebenslüge
profil: Weil sie eine beispiellose öffentliche Debatte ausgelöst hat? Beckermann: Ja, die Zeit war reif für den Zusammenbruch dieses Kartenhauses, dieser Lebenslüge. Das musste einfach kommen. Mitte der 1980er-Jahre war eh spät genug. Danach wurde es objektiv besser. In den Neunzigern brach in Österreich viel auf, nicht nur in Fragen des NS-Erbes. Diese Käseglocke des Schweigens, die das Land so lange bedeckt hatte, zerbrach.
profil: Bis 2000 Schwarz-Blau an die Macht kam. Beckermann: Und gegenwärtig erleben wir eine Wende zum Schlechteren hin. Auf unzähligen Ebenen geht es gesellschaftlich rückwärts.
profil: Ihr Film führt sehr genau auch die politische Diskurskultur der 1980er-Jahre vor, etwa die Strategiebesprechungen der linken Intelligenz im Café Landtmann. Die gegenwärtige Müdigkeit der Linken bildet dazu eine Art Gegenbewegung. Beckermann: Und die rechte Hetze hat sich zu einem Gutteil ins Netz verlagert. Es ist erstaunlich, wie viele antisemitische Äußerungen zu unserem Film sich auf Facebook bereits finden - fast immer von Leuten natürlich, die den Film gar nicht gesehen haben.
profil: Nach welchen Kriterien haben Sie Ihr Material ausgewählt? Warum kommt beispielsweise Simon Wiesenthal, der sich oft zu Waldheim äußerte, in Ihrem Film gar nicht vor? Beckermann: Weil Wiesenthal zu weit geführt hätte. Er hat sich als ÖVP-Mitglied erst als Waldheim-Verteidiger, später dennoch als scharfer Kritiker geäußert. Also hätte ich ihn mehrmals vorkommen lassen müssen. Ich musste unglaublich viel rauswerfen, auch spannende Statements von Leon Zelman und Gerhard Bronner.
profil: Tut es Ihnen um manche Passagen nicht leid? Beckermann: Nein. Wenn ich etwas eliminiert habe, bin ich damit glücklich. Kürzen ist fantastisch, ich liebe es, an Szenen immer weiter zu feilen. Es kann nur besser werden. Die meisten Filme sind zu lang.
profil: Sie begannen mit 200 Stunden von ausgesuchtem Material. Gab es Phasen der Verzweiflung im Schneideraum? Beckermann: Die gibt es immer. Das gehört zu solchen Projekten. Die ausschlaggebende Entscheidung bestand dann darin, mit meinen eigenen Bildern von damals, die ich als junge Anti-Waldheim-Protestierende gedreht hatte, zu beginnen. Damit setzte ich mich als Autorin, Zeitzeugin und Aktivistin ganz klar an den Anfang. Das gab die Richtung vor: Es musste ein essayistischer, persönlicher Film werden.
profil: Sie betonen das Absurde an der Affäre Waldheim. Sollte man Ihren Film als Komödie betrachten? Beckermann: Nicht unbedingt, vieles daran ist ja auch sehr tragisch. Aber einen insgesamt nicht bleischweren, sondern immer wieder auch unterhaltsamen Film hatte ich durchaus im Sinn. Fred Sinowatz' staubtrocken servierter Satz "Wir nehmen zur Kenntnis, dass Waldheim nicht bei der SA war, sondern nur sein Pferd bei der SA gewesen ist" ist natürlich genial heiter - zum Glück wurde er vor der Kamera geäußert.
In den Achtzigern war man das alles gewohnt. Wir haben uns mit Passanten oft öffentlich gestritten.
profil: Wien war Mitte der 1980er-Jahre noch eine Stadt des offenen Antisemitismus. Das von Ihnen selbst gedrehte Material, so haben Sie erklärt, erschien Ihnen beim Wiedersehen nun schockierender als damals? Warum? Beckermann: In den Achtzigern war man das alles gewohnt. Wir haben uns mit Passanten oft öffentlich gestritten. Diese Auseinandersetzungen finden heute nicht mehr auf der Straße statt - was übrigens auch schlecht fürs Kino ist.
profil: Die sozialen Netzwerke geben filmisch eher wenig her. Beckermann: Eben. So erschien mir beim Sichten schockierend, was einst für uns Alltag war. Das war der Geist der Zeit: Ein Mensch, der in den 1970er-Jahren Generalsekretär der Vereinten Nationen war, der eine solche Elite-Karriere gemacht hatte, behauptete anno 1986 ernsthaft, er habe von der Deportation der Juden in Saloniki, wo er 1942 Mitglied im Generalstab war, nie zuvor gehört. Er argumentierte genau wie die Rechten heute: Wieso hätte ich denn, wenn ich damals nichts gewusst habe, mir seither Wissen aneignen sollen? Das hat doch mit mir nichts zu tun!
profil: Eine denkwürdige Sequenz zeigt Waldheims Sohn Gerhard, einen Banker, wie er im US-Kongress von dem Abgeordneten Tom Lantos verhört wird und seinen Vater dabei rückhaltlos verteidigt, sich aber sichtlich in die Enge getrieben fühlt. Beckermann: Ich glaube, diese Szenen wurden nie gesendet. Ich finde, sie sind das Herzstück des Films, weil sich plötzlich eine theatrale, dramatische Situation einstellt - mit beiden Seiten in einem Raum. Wir hatten Glück, dass dieses Material zur Gänze aufgehoben wurde. Normalerweise archiviert der ORF lediglich, was auch gesendet wurde. Und das sind oft nur 20-Sekunden-Stücke. Dieses Hearing aber blieb in voller Länge erhalten.
Zu glauben, es werde "schon nix passieren", ist so typisch österreichisch!
profil: Hatten Sie als politisierte junge Filmemacherin eigentlich mit Hubertus Czernin zu tun, der den Skandal in profil ins Rollen brachte? Beckermann: Erst später - er war nie Teil irgendeiner Gruppe. Unglaublicherweise hat der ORF, den die kritischen Stimmen gegen Waldheim nie interessiert haben, Czernin offenbar nie interviewt. Nur eine amerikanische TV-Station befragte ihn. Ich hab ihn öfter im Café Bräunerhof gesehen, wo er praktisch wohnte. Er war wirklich ein Besonderer - und er fehlt sehr. Damals waren praktisch alle Medien auf Waldheims Seite. Alle außer profil und der "Arbeiter-Zeitung" machten diesen patriotischen Schulterschluss mit: "Wir gegen die Ostküste!" Man muss sich nur ansehen, wie defensiv Waldheims Sohn in Amerika spricht - und wie anders er dann in der "Zeit im Bild" mit Robert Hochner auftritt, wie zynisch er da wieder gegen den Jüdischen Weltkongress hetzt. 1986 gingen auch die Journalisten davon aus, dass sich nach der Wahl eh alles wieder beruhigen werde. Zu glauben, es werde "schon nix passieren", ist so typisch österreichisch! Das Gegenteil war der Fall: Unter Bundespräsident Waldheim stand Österreich völlig isoliert da; Konzerte wurden abgesagt, es gab kaum Staatsbesuche, und niemand lud Waldheim ein.
profil: War es Ihnen wichtig, nicht nur einen historischen Film, sondern auch einen über die Gegenwart zu machen? Beckermann: Ja, einen Film, der sachlich, nicht pädagogisch und nicht zu abstrakt sein sollte. Aber die Dinge haben sich auch geändert: Der offene Antisemitismus der 1980er-Jahre ist ein bisschen unauffälliger geworden. Die Rechten etwa biedern sich heute an Israel an, um desto vehementer antimuslimisch und rassistisch agitieren zu können.
profil: In der Berliner "tageszeitung" stand unlängst: "Ohne die Affäre Waldheim wäre auch der Alpen-Trump Strache als aktueller Vizekanzler nicht denkbar." Teilen Sie diese Meinung? Beckermann: Schwer zu sagen. 1986 begann auch der große Aufstieg des Jörg Haider. Durch die Waldheim- Affäre wurde ein Tabu gebrochen. Wenn ein solches Gebäude zerbricht, kommt alles Mögliche zum Vorschein. Einerseits war es der späte Beginn der Zivilgesellschaft in Österreich. Andererseits begann damals eben auch der Aufstieg des Rechtspopulismus moderner Prägung.
profil: Worauf bezieht sich eigentlich der Walzer im Titel Ihres Films? Beckermann: Der Walzer wird bekanntlich meist nach rechts getanzt - und auf jede Runde folgt noch eine. Und noch eine. Das passt doch bestens zu Kurt Waldheim.