High Society: Cannabis im Kommen
Für ein paar Züge vom Joint versteckt sich heute kaum mehr jemand. In Parks, am Wiener Donaukanal, bei Festivals und auch im Freibad wird in aller Öffentlichkeit gekifft - der markant-süßliche Geruch bahnt sich in Großstädten seinen Weg. Die gesellschaftliche Akzeptanz ist hoch und steht im Widerspruch zur Rechtslage. Ein Wiener Kriminalpolizist erzählt aus seiner täglichen Arbeit: "Die Hemmungen fallen einfach." Längst hat der Grasrausch Schulen erreicht - Kiffer werden immer jünger, erzählt der Kriminalist profil: "Cannabiskonsum ist leider bei sehr vielen Schülern mittlerweile Usus." Es sei "einfach "cool", in der Öffentlichkeit zu kiffen. Durch die Gruppendynamik entwickelt sich der Joint zur Mutprobe einer ganzen Generation: "Schließlich möchte man ja kein 'Loser' sein."
Das zum Joint zusammengedrehte Marihuana ist zu einer Massendroge geworden - vom Lehrling bis zum Mediziner, vom Grünen-bis zum FPÖ-Wähler. Eine halbe Million Österreicher kifft, Tendenz steigend - vor allem unter den Jungen. "Cannabis wird quer durch alle Alters-und Gesellschaftsschichten konsumiert, wobei teilweise kein Unrechtsbewusstsein feststellbar ist", konstatiert das Innenministerium im Suchtmittelbericht nüchtern, der in der Vorwoche erschien. Dass Cannabis längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, zeigt auch eine Studie des Anton-Proksch-Instituts im Auftrag des Gesundheitsministeriums aus dem Jahr 2013: Die Experten schätzen, dass zwischen 33 und 50 Prozent der Bevölkerung bereits Erfahrungen mit Cannabis gemacht haben. Unter Jungen ist das berauschende Kraut besonders populär. Laut der europäischen ESPAD-Studie (2015) hat jeder zehnte österreichische Jugendliche in den vergangenen 30 Tagen zumindest ein Mal gekifft.
Bewusstsein für Folgeschäden schaffen
Für Lisa Wessely klingen diese Zahlen plausibel. Zehn Jahre arbeitet sie bereits in der Suchtprävention. Aus ihren Schulworkshops weiß die Psychologin vom Verein Dialog: "Es ist viel verbreiteter und akzeptierter geworden, Cannabis zu konsumieren. Für Schüler ist es heute einfacher, zu sagen: Ich kiffe." Verschwiegenheit ist Wesselys oberstes Gebot - die Lehrer und die Schulleitung erfahren nicht, wer sich beim Workshop als Konsument outet. So gewinnt sie das Vertrauen der Schüler. "Unser Auftrag ist nicht, zu sagen: Nehmt nie Drogen! Uns geht es darum, aufzuklären und Risiken zu minimieren." Sorgen bereitet Wessely das Halbwissen, das zur rechtlichen Situation und zur Wirkung von Cannabis kursiert. Die gängige Meinung unter Schülern laute, Cannabis sei legal, wenn es für den Eigenbedarf verwendet werde, sei super zum Chillen und habe keinerlei negative Auswirkungen. Wessely: "Zum Alkohol können Jugendliche gut einschätzen, was positive und negative Effekte sind. Bei Cannabis fallen ihnen kaum negative Effekte ein. Sie sagen nur, ein Kiffer habe noch nie seine Frau geprügelt, und man könne nicht abhängig werden." Mit ihren Kollegen versucht Wessely Bewusstsein für die Folgeschäden zu schaffen, die Cannabiskonsum gerade bei Jungen auslösen kann - von der Entwicklung des Gehirns bis zur psychischen Abhängigkeit.
Bei jeder Debatte über das Grasverbot diskutieren Befürworter und Gegner eine Frage besonders intensiv: Ist berauschendes Cannabis eine Einstiegsdroge für härtere Substanzen? Der Leiter der Suchtklinik Anton-Proksch-Institut, Michael Musalek, hat darauf eine klare Antwort parat: Nein. "Dafür ist schlicht die Zahl an Cannabis-Usern zu groß, die keine harten Drogen zu sich nehmen." Hauptproblem am Konsum sei die Gefahr psychotischer Zustände, die bei rund 15 Prozent der Konsumenten bestehe, sowie hoch dosiertes Gras. "Um abhängig zu werden, muss man sehr lange hoch dosiert rauchen", sieht er generell ein niedriges Suchtpotenzial. "Einmal abhängig, wird man die Sucht aber genauso schwer los wie ein Alkohol-,Heroin-oder Kokainkranker." Auch viele seiner Alkoholpatienten kiffen. "Das gab es früher nicht." Im vergangenen Jahr zog die Polizei mehr als 1,6 Tonnen Marihuana aus dem Verkehr - mit einem Straßenverkaufswert von gut 20 Millionen Euro. Das ist aber nur ein Bruchteil dessen, was tatsächlich bei den Endverbrauchern landet. Experten gehen davon aus, dass in Österreich jährlich ein zweistelliger Tonnenwert an Cannabis verraucht wird. Und die Nachfrage steigt laufend.
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