SPÖ: Wahl- und Realitätsverlierer
Wenn sich der SPÖ-Bundesgeschäftsführer im ersten Statement zum EU-Wahlergebnis seiner Partei über die erhöhte Wahlbeteiligung freut – was ist das dann? Schon (unheilbarer) Realitätsverlust oder noch (heilbare) Realitätsverweigerung?
Woher sollen die Stimmen für die SPÖ kommen?
Es war nach der Ibiza-Affäre eine innenpolitische Wahl, und in dieser Wahl liegt die SPÖ in Punkten zweistellig hinter der ÖVP. Vor zwei Jahren waren die Sozialdemokraten noch Kanzlerpartei, jetzt sind sie nicht einmal mehr Kanzlerpartei-Herausfordererpartei. Angesichts der vorliegenden Ergebnisse haben die SPÖ und ihre Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner aus heutiger Sicht keine Chance auf den ersten Platz bei der Nationalratswahl im September. Denn woher sollen die dazu notwendigen Stimmen kommen?
Bizarre Situation um Misstrauensantrag
Enttäuschte FPÖ-Wähler werden (wie jetzt bei der EU-Wahl) zur Volkspartei wechseln. Will die SPÖ zulegen, muss sie Wechselwähler aus der Mitte gewinnen. Aber der morgige Misstrauensantrag gegen Sebastian Kurz richtet sich nur an die roten Kernwähler, Parteimitglieder und Funktionäre (und desavouiert nebenbei Bundespräsident Alexander Van der Bellen). Die pragmatische Mehrheit der Österreicher hält vom Sturz des Kanzlers durch eine seltsame Allianz aus SPÖ und FPÖ wenig. Es ist auch bizarr: Am Montag will die SPÖ gemeinsame Sache mit einer Partei machen, deren Chef Norbert Hofer den roten EU-Spitzenkandidaten vor zwei Tagen mit Adolf Hitler verglich.
Sebastian-Kurz-Obsession schadet SPÖ
Das Problem der SPÖ ist Sebastian Kurz, in zweifacher Hinsicht. Zum einen ist der ÖVP-Obmann aus heutiger Sicht ein übermächtiger Gegner für die SPÖ. Und zum zweiten schafft es die SPÖ einfach nicht, ihre Sebastian-Kurz-Obsession abzulegen, unter der sie seit Christian Kerns Tagen leidet. Auch EU-Spitzenkandidat Andreas Schieder verwendete in seinem ersten ORF-Auftritt am Wahlabend am meisten Energie für Attacken gegen Sebastian Kurz. Statt obsessivem (Noch)-Kanzler-Bashing sollte sich die SPÖ mehr auf ihre eigenen Stärken besinnen – oder hat sie am Ende keine mehr?