Glücksspiel: In Wien lässt sich trotz Automatenverbots gut zocken
Meine Tour durchs illegale Glücksspiel beginnt mit einer Verwechslung. Auf der Suche nach einem schnellen Bier folge ich auf einem belebten Platz der Einladung durch ein rot-blinkendes "Open"-Schild. Ich öffne die braune Holztüre und lande in einem Foyer ohne Menschen und Licht. Nur eine Glocke leuchtet bläulich. Daneben eine weitere Türe. Ich läute, warte -und als ich schon umdrehen will, macht es plötzlich "klack". Ich öffne die Tür und finde mich in einer verrauchten Kammer wieder. Keine Gäste, kein Bier. Nur zwei einarmige Banditen, ein halbvoller Aschenbecher und ein leeres Drogen-Baggy. Kleines Glücksspiel mitten in Wien?
Kann nicht sein, ist doch verboten, denke ich mir und werfe zwei Münzen in den Automatenschlund. Ich setze 20 Cent, drücke die Turbotaste, und schon drehen sich Melonen, Zitronen und Kirschen von Spiel zu Spiel. Gleich noch mal. In weniger als einer Minute bin ich vier Euro los. "Im Wesentlichen ist es gelungen, das illegale Glücksspiel aus Wien zu verbannen. Wenn es noch irgendwo existiert, dann im Hinterzimmer", sagt mir der Sprecher des Finanzministeriums tags darauf - die dort angesiedelte Finanzpolizei muss das Verbot durchsetzen. Ich habe mir Hinterzimmer irgendwie anders vorgestellt. Versteckter. Auf meiner schnellen Tour durch drei Bezirke mit hohem Migrantenanteil wirken die Hinterzimmer wie Vorderzimmer.
Blühende Zockerszene
Ich wechsle den Bezirk und läute bei einem aufgelassenen Handyshop. Hinter der Fassade entlang einer belebten Wohnstraße vermute ich schon länger eine blühende Zockerszene. Ich konnte mir aber nicht vorstellen, dass so offen auf das Verbot gepfiffen wird. Die nächste Tür öffnet sich. Ein enger, verrauchter Raum mit vier Automaten. Ein Gerät ist besetzt. Ein Mann mit Kapuzenpulli hämmert mit leerem Blick auf den Startbutton. Ein freundlicher Herr kommt aus einem Verschlag und erklärt mir in gebrochenem Deutsch die Regeln. Er steckt meinen 10- Euro-Schein in einen Schlitz und händigt mir einen Bon mit Guthaben aus. Er tippt eine Webadresse auf den Bildschirm des Automaten und scannt den Bon. Ich bestätige, dass ich weder Sites mit Pornos noch mit illegalem Glücksspiel besuche. Mein Assistent erklärt mir, hinter welchen Feldern sich die legalen Gratisspiele verstecken und macht damit klar, dass es auf den Knöpfen darüber zur Sache geht. Die Oberfläche des Terminals verwandelt sich in einen klassischen Automaten. Los geht's: Die Früchte rollen.
Mein Nachbar murmelt vor sich hin, wechselt nervös zwischen zwei Automaten. Sie sind sein Heroin. Die Quelle der Sucht: die Lichter, Melodien und tanzenden Früchte, die einen Sieg am Automaten begleiten -oft minutenlang. Ein Rausch der Endorphine. Ein kurzes Hoch vor dem nächsten Tief. Manchmal suggeriert der Automat mit seinen Geräuschen sogar dann einen Gewinn, wenn mehr eingesetzt als gewonnen wurde.
Plötzlich gewinne ich wirklich! Das Guthaben rattert hoch auf 30 Euro. Es fühlt sich verdammt gut an.
"Ich würd das Geld nehmen"
"Ah", nickt der Spieleassistent anerkennend. "Soll ich weiterspielen?", frage ich. "Ich würd das Geld nehmen", sagt er. Erstaunt über seine Selbstlosigkeit löse ich mich vom Automaten. Er scannt den Bon ein und zahlt mir das Geld bar aus. Vom Gewinn angestachelt, beschließe ich, mir meine vier Euro beim ersten Automaten zurückzuholen. Das "Open"-Schild blinkt noch. Wieder öffnen sich beide Türen. Zehn Euro Einsatz, 34 Euro Gewinn nach ein paar Minuten! Nur ist niemand hier, der mir das Geld auszahlt. Verärgert trommle ich auf den "Auszahl"-Button. Eine Handynummer, die "bei Auszahlungsproblemen" zu wählen ist, verbindet ins Nirvana. Das liegt beim Glücksspiel meist in der Slowakei. Ich bin mir sicher, dass mich jemand mit versteckter Kamera beobachtet, winke, aber es hebt niemand ab -vielleicht bin ich enttarnt. 34 Euro Guthaben dahin.
Vor dem Lokal klage ich einem rauchenden Passanten, er sieht aus aus wie ein Spieler, mein Leid und frage, wo ich ohne Abzocke spielen kann. Er weiß wo: Die nächsten Automaten stehen fünf Minuten entfernt direkt an einer Durchzugsstraße zwischen Döner-Läden und einem Kik-Shop. Ein rotes Neonlicht blinkt: "Spiele". Offener geht nicht, echt nicht. "Keine Münzen, nur Scheine", sagt eine Empfangsdame. Ich warte, bis einer der vier Automaten nahe am Eingang frei wird und schiebe meinen restlichen Gewinn des Abends in den Schlitz.
Neben mir wirft sich ein junger Spieler lässig in den Hocker. Es ist sein Stammautomat. "60 Euro hau ich rein", erzählt er mir ungefragt. Mit glasigen Augen und monotoner Stimme weiht er mich in seine Strategie ein. Er erzählt von Reihen, Linien und Konstellationen, die er für seinen großen Sieg über den Automaten anpeilt. Ein Lebensziel, auf das er täglich hofft. Ich bemerke kaum, wie mein Guthaben zwischenzeitlich auf 50 Euro hochschießt -und wieder auf null schmilzt. Game over.
Ich beende die Tour in einem Wettlokal, das mir ein Spieler empfohlen hat. Die einarmigen Banditen suche ich vergeblich. Vielleicht verbergen sie sich hinter den legalen Wettterminals und können per Tastenkombination aktiviert werden. Ein Fahnder erzählt mir später von diesem Trick für Eingeweihte.
Szenenwechsel: In Favoriten stürmt die Finanzpolizei mit Wega-Beamten einen schäbigen Spielsalon, der als Internetcafé getarnt ist. Sie haben Atmungsmasken dabei. Vorne stehen mehrere Internetterminals. Ein Zimmer weiter stoßen die Beamten auf eine Spiegelwand. Dahinter: Jackpot. Zehn Automaten, eingeschweißt und mit Reizgas gesichert. Die Spieler dürften rechtzeitig getürmt sein. Die Polizisten entschärfen das Gas, trennen die Automaten mit Trennscheiben aus der Verankerung und machen sie zum Abtransport klar. Mitten im Einsatz betreten drei Latinas aus Wels das Lokal. Sie haben gehört, dass man hier noch spielen kann. Sie ziehen weiter. Für die Beamten wartet die nächste Aufgabe in Simmering. Wieder stürmen sie ein ehemaliges Wettcafé. Der Chef der Wiener Finanzpolizei, Franz Kurz, beaufsichtigt die Aktion. Der ORF filmt mit. Im ersten Raum sitzen Gäste vor einer Schank, der zweite Raum ist leer. Jemand hat die Automaten rechtzeitig deaktiviert. Die Beamten schaffen es nicht, sie zum Laufen zu bringen. Sie können den illegalen Spielbetrieb nicht nachweisen, deswegen müssen die Automaten hierbleiben.
2015 hat die Einheit von Kurz in Wien 427, im vergangenen Jahr 275, heuer erst 30 Automaten eingezogen. Warum hat sie die Buden, in denen ich ganz offen gezockt habe, nicht auf selbe Weise gestürmt und die Automaten einkassiert?
"Die Kammerln werden neu befüllt wie Regale im Supermarkt."
Die Adressen der Spelunken verrate ich ihnen zwar nicht. Zwei sind aber seit Monaten bekannt, finde ich nach meiner Tour heraus. Ihre Adressen stehen auf einer für jedermann einsehbaren Liste der Website "spieler-info". Dahinter stecken Detektive, die für legale Anbieter wie Novomatic Jagd auf die illegale Konkurrenz machen. Auch die Beamten der Stadt sind unterwegs und geben Tipps an die Kollegen aus dem Finanzministerium. Die zuständige Stadträtin Ulli Sima lobt die Zusammenarbeit mit der Finanzpolizei, meint aber: "Ihr fehlen alleine in Wien 90 Beamte." Das Finanzministerium entgegnet: "Keine Einheit ist so rasch gewachsen." Wie auch immer. Angesprochen auf die bekannten Spielerbuden meint der oberste Finanzpolizist Wiens, Franz Kurz: "Es kann sein, dass wir schon mehrmals dort waren und Geräte beschlagnahmt haben. Aber die Kammerln werden neu befüllt wie Regale im Supermarkt."
Der Weg bis zum endgültigen Aus einer geheimen Spielstätte ist tatsächlich steinig. Bei Razzien schalten die Mitarbeiter des Lokals die Software der Geräte rechtzeitig ab oder programmieren sie auf Gratisspiele um. Aus Wechselautomaten werden im Handumdrehen Handywertkarten-Stationen.
Haben die Ermittler zuvor selbst versteckt gespielt oder stürmen rechtzeitig, können sie die Automaten einkassieren. Dann aber beginnt die Suche nach den Hintermännern. Die Mitarbeiter geben sich meist unwissend. "Bin nur der Kellner", hören die Beamten oft. In solchen Fällen klopft die Finanzpolizei bei den Vermietern und Hausbesitzern an. Die Lokale sind meist mehrfach untervermietet, damit sich die Hausbesitzer abputzen können: "Ich weiß nicht, was meine Mieter machen." Und nicht selten endet die Suche nach Betreibern bei slowakischen oder ungarischen Scheinfirmen, die auf Knopfdruck gegründet und wieder aufgelöst werden.
In Wien spielt ein illegaler Automat bis zu 10.000 Euro im Monat ein.
Der nächste Schritt ist die Betriebsschließung. Dafür braucht es aber wiederholte Verstöße gegen das Glücksspielgesetz; eine einzige Razzia genügt nicht für ein fixes Siegel an der Türe. In der Zwischenzeit werden frische Automaten nachgeliefert, und die Früchte drehen sich wieder. Jede Woche zahlt sich aus. In Wien spielt ein illegaler Automat bis zu 10.000 Euro im Monat ein. Bei ihrer Jagd nach den wahren Betreibern verheddert sich die Finanz zu oft im Dschungel aus Scheinfirmen. Deswegen gehen die Behörden nun verstärkt gegen die Hausbesitzer und Vermieter vor, um die Spiellokale zu schließen. Die Angst vor Mieteinbußen oder Finanzstrafen scheint der einzige Weg, um das kleine Glücksspiel noch stärker einzudämmen.
Kurz vermutet noch 500 illegale Automaten in Wien. Nicht nur in Wettcafés, Bars oder Tankstellen. Auch in türkischen oder exjugoslawischen Vereinslokalen wird mitunter gezockt. Dafür genügt schon ein Laptop. Für Nichtmitglieder und Fahnder sind diese Vereine kaum zugänglich.
Bis zum Wiener Verbot 2015 war die Stadt übersät mit 3700 legalen Automaten. In den Migrantenbezirken konnten die Menschen ihren kargen Lohn oder ihre Mindestsicherung an jeder Ecke loswerden. Familien sind so zerbrochen. "Das erlaubte kleine Glücksspiel war damals der Deckmantel, um das illegale legal wirken zu lassen", sagt Kurz. Er spielt auf Tricks an, mit denen der gesetzliche Höchsteinsatz pro Spiel locker vervielfacht werden konnte. Dazu kamen nicht genehmigte Automaten, die von vornherein illegal waren. Die Zockerei geht weiter, auch Jahre nach dem Verbot. Künftig könnte mit noch härteren Mitteln gekämpft werden: Tschetschenische Schutzgelderpresser und Geldverleiher sollen sich im illegalen Glücksspiel eingenistet haben, erzählt man sich in der Branche. Das Innenministerium bestätigt das.
"Solange es Nachfrage gibt, gibt es Angebot. Das ist wie bei Drogen", sagt Kurz. Dass noch derart offen mit dem Glück gedealt wird, hat mich aber schon erstaunt.
Verbotszonen
In Wien, Salzburg, Tirol, Vorarlberg ist das sogenannte kleine Automatenglücksspiel verboten. In Oberösterreich, Niederösterreich, Steiermark, Burgenland sowie Kärnten ist es dagegen legal. Der mit Abstand größte Konzessionsinhaber ist der Novomatic-Konzern. Daneben verfügen die Casinos Austria über eigene bundesweite Konzessionen zum Betrieb von kleinen Automaten, die auch in Verbotsländern gelten. Aktuell gibt es 700 solcher Geräte.