"Spermien bevorzugen Maiglöckchenduft"

Geruchsforscher Hanns Hatt im Interview.

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profil: Sie benutzen in Ihrem Labor vor allem wohlriechende Düfte. Verzichten Sie bewusst auf Gestank? Hanns Hatt: Ein paar Stinker haben wir bereits identifiziert. Mein Team und ich haben gerade den Rezeptor für Fettsäure identifiziert, der auf den Geruch nach ranziger Butter anspricht. Im vergangenen Jahr haben wir den Sensor für Fußschweiß gefunden. Generell haben meine Mitarbeiter aber wenig Interesse daran, den ganzen Tag mit stinkenden Substanzen zu arbeiten.

profil: Könnte man den Rezeptor für Fußschweiß mit einem Antiduft lahmlegen und auf diese Weise ein Fußdeo entwickeln? Hatt: Zur Gänze blockieren kann man die Sensoren für Käsefüße nicht. Tatsächlich hat der Mensch mehrere Rezeptoren für Fußschweiß, wir haben bisher nur einen der wichtigeren entschlüsselt. Er reagiert übrigens auch auf reifen Stinkekäse. Ihn können wir mit einem Antiduft ausschalten. Man muss sich den Rezeptor als Schloss vorstellen, zu dem ein bestimmter Schlüssel passt. In diesem Fall ist der Schlüssel der Geruch von Käsefüßen. Nun können wir die Struktur des Gestanks leicht verändern, sodass er zwar in das Schloss passt und es verstopft, den Rezeptor aber nicht aktiviert.

profil: Spermien können riechen. Welche Gerüche nehmen sie wahr? Hatt: Spermien bevorzugen Maiglöckchenduft. Eizellen produzieren diesen Geruch, um sie anzulocken.

profil: Könnte man mit diesen Erkenntnissen ein duftendes Verhütungsmittel erfinden? Hatt: Es gibt weitere 20 Riechrezeptoren in Spermien und weitere 20 Duftstoffe in Eizellen: Helional, das nach frischer Meeresbrise riecht und Zitrusduft zum Beispiel. Man müsste also wahrscheinlich mehrere Rezeptoren ausschalten, um ein Verhütungsmittel sicher zu machen. Allerdings hat der Maiglöckchensensor eine besondere Bedeutung. Viele Männer, die ihn aufgrund genetischer Veranlagung nicht haben, sind unfruchtbar.

Wenn also Männer einen bestimmten Duft zehn Mal hintereinander an jungen Frauen riechen, werden sie diesen Duft in ihrem Gehirn mit Jugend verknüpfen

profil: Stimmt es, dass Frauen sich mithilfe von Parfüm ein paar Jahre jünger machen können? Hatt: Sie können tatsächlich in den Nasen der Männer jünger wirken. Das liegt daran, dass wir Gerüche mit einem Kontext verbinden. Parfüms für junge Frauen riechen oft nach Grapefruit und Zitrusblüten. Diese Düfte sind günstig, die Parfüms ebenfalls, so können sie sich viele junge Frauen leisten. Wenn also Männer einen bestimmten Duft zehn Mal hintereinander an jungen Frauen riechen, werden sie diesen Duft in ihrem Gehirn mit Jugend verknüpfen. Eine ältere Dame, die ein solches Parfüm trägt, wird von vielen Männern automatisch jünger wahrgenommen.

profil: Was halten Sie von Aromatherapie? Hatt: Sie hat ein enormes Potenzial, wenn man sie richtig verwendet. Leider darf sich heute jeder Aromatherapeut nennen. In der Branche tummeln sich Esoteriker, die mit ätherischen Ölen von Hühneraugen bis zum Haarausfall alles heilen wollen. Im deutschsprachigen Raum gibt es drei seriöse Fachgesellschaften, die Aromatherapie medizinisch anwenden und Ausbildungen mit Zertifikat anbieten. Viele Düfte, die in der Aromatherapie seit Jahrzehnten angewendet werden, konnten wir wissenschaftlich bestätigen.

Hätten uns unsere Eltern immer gesagt, wie herrlich unsere vollen Hosen duften, fänden wir den Geruch toll

profil: Warum finden wir manche Gerüche abstoßend, manche anziehend? Hatt: Wie wir einen Geruch bewerten, ist reine Erziehungssache. Von klein auf wird uns gesagt, dass wir stinken, wenn wir in die Windeln gemacht haben. Hätten uns unsere Eltern immer gesagt, wie herrlich unsere vollen Hosen duften, fänden wir den Geruch toll. Ein Parfüm kann für den einen himmlisch riechen, einem anderen aber den Magen umdrehen. Selbst Fäkalien riechen für bis zu fünf Prozent der Menschen angenehm.

profil: Ist nicht einmal die Abscheu vor Verwesungsgeruch angeboren? Hatt: Nein. Teile des Verwesungsgeruchs wie zum Beispiel Skatol sind Bestandteil vieler Parfüms. Wir finden ihn nur unangenehm, wenn er sehr intensiv ist. Dann reizt er auch den Warn- und Schmerznerv in unserer Nase.

profil: Kann man das Riechen trainieren? Hatt: Auf jeden Fall. Man kann sich selbst sehr gut auf Düfte konditionieren. Wenn ich in einer Situation, in der ich mich konzentrieren will, immer den gleichen Duft rieche, wird mir dieser Duft mit der Zeit helfen, mich zu konzentrieren. Ebenso funktioniert das beim Einschlafen.

profil: Was passiert, wenn Menschen den Geruchssinn verlieren? Hatt: Das ist wirklich schlimm. Die Freude am Essen und Trinken geht komplett verloren, auch die Sexualität leidet darunter. Im Alter nimmt der Geruchssinn stetig ab, ab 75 kann ein Viertel der Menschen nur noch sehr schlecht bis gar nicht mehr riechen. Durch Riechtraining kann man diesen Prozess bremsen.

Vergessen Sie Kreuzworträtsel und Sudoku, riechen Sie stattdessen an Früchten

profil: Wie geht das? Hatt: Vergessen Sie Kreuzworträtsel und Sudoku, riechen Sie stattdessen an Früchten, Kräutern und allem, was duftet oder stinkt. Lernen Sie so viele neue Gerüche kennen wie möglich. Achten Sie auf dem Weg zur Arbeit genau darauf, wonach es riecht. Riecht es nach Bäumen, nach Bäckerei, nach Müll oder Abgasen? Durch das Riechtraining aktiviert man nicht nur das Duftzentrum im Gehirn, sondern auch jenes für Emotionen und das Gedächtnis. Viele Düfte provozieren Erinnerungen, Gefühle und Bilder aus der Vergangenheit. Besseres Gehirnjogging gibt es nicht.

profil: Können Duftrezeptoren zwischen künstlichen und natürlichen Düften unterscheiden? Hatt: Nein. Das Vanillinmolekül aus dem Labor ist völlig ident mit jenem in der Vanilleschote. Unsere Nase kann aber alle anderen 50 Duftstoffe, welche die Vanilleschote auch noch produziert, wahrnehmen. Deshalb ist es ein Unterschied, ob ich beim Kochen Vanilleschoten verwende oder künstliches Aroma. Echtes Rosenöl aktiviert bis zu 150 unserer Riechrezeptoren. Im Labor greift man höchstens 20 Duftstoffe aus der Rose auf, man stellt also eine Minimallösung her.

profil: Jogi Löw wurde im Sommer verspottet, weil er vor laufender Kamera an seinen Fingern roch, nachdem er sie in der Hose hatte. Sie finden, man sollte mehr an sich selbst riechen. Warum? Hatt: Die Nase bringt einem zusätzliche Informationen über die Mitmenschen und über sich selbst. Über den Körpergeruch kann man die Gene der Mitmenschen erschnuppern. Man kann auch Stimmungen oder Krankheiten am Geruch erkennen. In Studien hat man herausgefunden, dass Menschen, die nach Angstschweiß riechen, bei anderen Mitgefühl und Empathie auslösen. Der eigene Geruch kann einem viel über den aktuellen Zustand des Körpers verraten.

profil: Sie haben im Sommer den Kölner Dom parfümiert. Mit welchem Duft? Hatt: In Köln fand vergangenen August die Gamescom statt, eine Messe für junge Computerspieler. Man wollte sie zum Sightseeing im Kölner Dom animieren. Bis dahin fanden die Jugendlichen die Kirche aber düster und muffig. Also hat die Stadt DJs engagiert, eine Lasershow organisiert und mich gebeten, dem Dom einen für Teenager attraktiven Geruch zu verpassen. Der Duft "Weihrauch 2.0“ hat Anklänge an Weihrauch, zudem animalische Gerüche wie Moschus und Myrre. Lavendel, Rosen und Gardenien beruhigen und fördern Kommunikation und Besinnlichkeit. Die Aktion war ein Riesenerfolg.

profil: Haben Sie einen Lieblingsduft? Hatt: Meine Lieblingsdüfte haben alle mit Essen zu tun. Toskanische Gewürze wie Basilikum und Rosmarin mag ich sehr gern. Und es gibt nichts Schöneres als nach dem Bergsteigen in der Hütte den Kaiserschmarrn zu riechen.

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort, ihre Schwerpunkte sind Klima, Medizin, Biodiversität, Bodenversiegelung und Crime.