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Auf Umwegen zum Wohntraum

Im August 2022 wurden die Vergaberichtlinien für Immobilienkredite in Österreich verschärft. Der Einzug ins Eigenheim ist dadurch für viele in weite Ferne gerückt. Abhilfe könnten Immobilienkredite deutscher Banken schaffen. Doch ist "Kredittourismus" eine Lösung?

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Der Ausschluss eines großen Teils der
Bevölkerung vom Immobilienmarkt
wird zu sozialen Spannungen führen und
könnte mehr schaden als nützen.

Reber Acar, Experte der Ratingagentur Scope

Eine Wohnung mit Balkon, ein Reihenhaus mit Garten: Der Wunsch nach Eigentum ist ungebrochen groß-vor allem bei jungen Familien. Laut der aktuellen Wohnbaustudie der Erste Bank ist er bei ihnen mit 72 Prozent am stärksten ausgeprägt.

Neben der hohen Inflation und dem gestiegenen Leitzins sorgt vor allem die Verschärfungen im Bereich der Hypothekarkreditfinanzierungen, die KIM-VO (Kreditimmobilienmaßnahmen-Verordnung), seit August 2022 jedoch dafür, dass das Ziel, "in den eigenen vier Wänden zu leben" vielerorts ein Traum bleibt. Banken striktere Regeln für Beleihung und Kreditvergabe durch die Finanzaufsicht vorzugeben, sollte zwar beide Seiten schützen: Kreditnehmer und Kreditgeber. Doch für viele Kaufwillige-insbesondere für junge Familien-dürfte dieser Schutz so weit gehen, dass er sie vor Eigentum "bewahrt".

 

Schuldendienstquote als Dorn im Auge

Als "einzementierend und überschießend" beurteilt Thomas Hauer, Abteilungsleiter für Kreditrisikomanagement und Recht bei der Salzburger Sparkasse, die Schuldendienstquote von maximal 40 Prozent. Bis zum Sommer 2022 betrug sie noch 50 Prozent. "Das klingt unwesentlich, aber der Unterschied ist riesig. Wir haben sehr viele Kundinnen und Kunden zwischen 40 und 50 Prozent, die wir wegschicken müssen", sagt der Kreditexperte.

Allein an der neuen Schuldendienstquote liegt der Einbruch bei den Wohnkrediten zwar nicht, wie ein Bank Lending Survey aus dem Juli 2023 zeigt. Quartalsweise befragen dafür europaweit die Nationalbanken die Geschäftsbanken, um Informationen über die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen und private Haushalte zu erhalten. Neben der Verschärfung der KIM-Verordnung sind laut der Umfrage der Anstieg des allgemeinen Zinsniveaus sowie die Aussichten auf die voraussichtliche Preisentwicklung am Immobiliensektor für den Einbruch verantwortlich. Und auch das sinkende Konsumentinnen-und Konsumentenvertrauen in Folge des russischen Angriffskrieges in der Ukraine und die Konjunktureintrübung generell spielen beim Rückgang der Immobilienkredite keine unbedeutende Rolle.

Klar ersichtlich ist jedoch, dass die Vergabe neuer Immobilienkredite von Juli auf August 2022 von 2,65 Milliarden auf 1,27 Milliarden Euro um mehr als die Hälfte einbrach und seitdem weiter sank. Im Juli 2023 lag das Volumen nur noch bei 0,86 Milliarden, berichtet die Nationalbank (OeNB). Wie stark der Einbruch von den schlechteren Finanzierungsmöglichkeiten getrieben ist, zeigen Mengenerhebungen. Jene Immobilienformen, die als besonders finanzierungsabhängig gelten, haben RE/MAX-Analysen zufolge die höchsten Rückgänge: Doppelhaushälften(-34 Prozent) und Reihenhäuser(-33 Prozent). Aber auch die Verkäufe von Einfamilienhäusern, Hausanteilen und Wohnung sanken deutlich.


Verschärfung der Wohnkreditvergaberichtlinien

Hintergrund für die KIM-VO: die Befürchtung eines Systemrisikos, entstehend durch Immobilienkredite. Zwar ziehe sich das Immobilienpreiswachstum quer durch Europa, Österreich sei aber "besonders anfällig",vermerkte die OeNB im Februar 2022. Fünf Quartale in Folge halte der Trend deutlicher Preissteigerungen in ganz Österreich bereits an, analysierte sie damals. Der Preisindikator deute "auf eine zunehmende Überhitzung des Wohnimmobilienmarktes hin".Auch das Wiener Gremium zur Begutachtung der Finanzmarktstabilität (FSMG)-zusammengesetzt aus Mitgliedern des Finanzministeriums, des Fiskalrates der Nationalbank und der FMA-war besorgt darüber gewesen, dass das steigende immobilienbedingte Systemrisiko die Stabilität der Finanzmärkte untergraben und negative Auswirkungen auf die Realwirtschaft haben könnte.

So wurden im August 2022 die Rahmenbedingungen für Immobilienkredite in Österreich verschärft. Als Maßstab für eine nachhaltige Immobilienkreditvergabe wurden drei Kriterien vorgegeben: Maximal 90 Prozent des Kreditvolumens darf ausgeliehen werden, monatlich 40 Prozent vom Haushaltsnettoeinkommen (Schuldendienstquote; Anm.)dürfen für die Tilgung aufgewandt werden, während die Gesamtkreditlaufzeit maximal 35 Jahre betragen darf.


Kritik an der KIM-Verordnung

Aufgrund des eingebrochenen Kreditgeschäfts und der Krise am Immobilienmarkt, die immer weitere Kreise zieht und auch die Bauwirtschaft und ihre Zulieferer mitreißt, war die Front gegen die strengeren Richtlinien Anfang des Jahres immer breiter und lauter geworden. Kritik kam nicht nur von den Banken und der Immobilienwirtschaft, sondern auch von der Gewerkschaft. "Die Chancen, Eigentum zu erwerben statt ewig in Miete zu wohnen, werden erheblich eingeschränkt", sagte etwa WKÖ-Immobilienund Vermögenstreuhänder-Obmann Gerald Gollenz. Eine Beleihungsgrenze von 80 Prozent könnte den Traum vom Wohneigentum für viele Haushalte mit mittlerem Einkommen beenden. Unterstützung erhielt er von der Gewerkschaft Bau-Holz: "Jungfamilien müssen die Möglichkeit bekommen, bei ausreichend vorhandenen Sicherheiten ihr Eigenheim wieder finanzieren zu können",so der Vorsitzende Josef Muchitsch, der auch designierter FSG-Chef und SPÖ-Nationalratsabgeordneter ist. "Arbeitsplätze sind gefährdet. Mittlerweile steht fest, dass der damalige Weg der falsche war."

Reber Acar von der Ratingagentur Scope warnte in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeine Zeitung" bereits Anfang 2022, dass "der Ausschluss eines großen Teils der Bevölkerung vom Immobilienmarkt zu sozialen Spannungen führen und mehr schaden als nützen könnte." Er mahnte zudem, mit der Verschärfung der Kreditvergaberichtlinien das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten. Wohneigentum sei in Österreich bei einer Eigennutzungsquote von 55 Prozent im Schnitt der EU wenig verbreitet, die Verschuldung für Wohnungen entsprechend gering und zudem auf Haushalte mit eher hohem Einkommen verteilt.


Laut Bernd Ebner von Realfinanz, einem bankenunabhängigen Hypothekarvermittler, gehen Branchenexperten derzeit davon aus, dass die KIM-VO im jetzigen Marktumfeld sowieso obsolet ist: "Die um mittlerweile rund vier Prozent gestiegenen Kreditzinsen und die bereits geltenden strengen Vergaberichtlinien-speziell bei variablen Krediten-haben die Immobilienpreisentwicklung schon ausreichend gedämpft. Durch die KIM-VO wurden grundvernünftige Zwischenfinanzierungslösungen unnötig erschwert und alle Kreditnehmer vom, Normalverdiener' bis zu, Einkommens-Millionären' über einen Kamm geschoren."


Michael Klien, Wohnbau-Experte des Wifo, sagt zusammenfassend, man müsse zwar vorsichtig sein, um die Effekte der KIM-VO nicht mit jenen der Zinswende zu vermischen. Die Verordnung habe aber in einer Situation, in der die Kreditvergabe bereits gedreht hatte, noch zusätzlich Druck ausgeübt und den Abschwung beschleunigt. Die Verordnung würde daher die Kreditklemme verschärfen und-anders als intendiert-nicht stabilisieren.


Lockerungen im April

Finanzminister, Banken und Wirtschaftskammer forderten nach dem Einbruch der Neukreditvergabe seit Jahresanfang daher zum einen eine rasche Überarbeitung der KIM-VO und zum anderen Zwischenfinanzierungen aus dem Geltungsbereich der Verordnung auszunehmen. Tatsächlich wurden die Richtlinien mit 1. April 2023 etwas gelockert. Das betrifft aber vor allem die Zwischenfinanzierung. Die neue Regelung besagt: Zwischenfinanzierungen werden bis zu einem Wert von 80 Prozent der bestehenden Immobilie als Eigenkapital berücksichtigt, und zwar für die Dauer von zwei Jahren.

Bislang hat sich die Situation für Banken und damit auch für Kreditnehmer:innen dadurch nur bedingt entschärft. Denn erstmaligen Eigenheim-Anschaffer:innen bringt die Anpassung nichts. Beobachter:innen vermuteten daher, dass sich die Österreicherinnen und Österreicher den Traum vom Eigenheim nun über Umwege erfüllen könnten-mithilfe deutscher Banken. Denn ob eine Liegenschaft mit einem Kredit einer österreichischen oder deutschen Bank besichert ist, macht immobilienrechtlich keinen Unterschied.

Wohl aber unterscheiden sich die Rahmenbedingungen: Sie sind in Deutschland vorteilhafter. Zwar sind Kredite im Nachbarland nicht günstiger, doch liegt die Schuldendienstquote deutlich höher, bei 60 Prozent des Haushaltseinkommens. Zudem gibt es keine Beschränkungen bei Zwischenfinanzierungen. Und auch die Haushaltsrechnung funktioniert in Deutschland anders: Sie ist "wohlwollender" für Kund:innen, weil mitunter mit Fixbeträgen gerechnet wird. Noch ein Plus: Eine Sprachbarriere oder ein Fremdwährungsrisiko gibt es auch nicht.

 

Trend zum Kredittourismus?

Das sickert langsam, nicht nur bei Finanzberater:innen, sondern auch bei Kreditnehmer:innen. Noch müssen sich Österreichs Banken aber nicht vor einem noch weiteren Einbruch ihres Kreditgeschäfts fürchten. Denn entlang der österreichisch-deutschen Grenze sieht man bislang keinen Trend zum "Kredittourismus". Von mehr als 20 befragten Filialen zwischen Passau und dem Bodensee konnte kein Zuwachs an Kreditanfragen aus Österreich bestätigt werden.

"Nach Rücksprache mit unserem Vorstand teile ich Ihnen mit, dass dieser Trend nicht erkennbar ist", hieß es vonseiten einer großen Bank im Raum Niederbayern. Ähnlich dort, wo Salzburg und Tirol an Bayern grenzen: "Nach Rücksprache mit unserem Vorstand und Leiter der Kreditabteilung ist für unser Haus keine strategische Ausrichtung zur Finanzierung von Immobilien in Österreich geplant", so der Tenor aus Oberbayern. Und auch von Vorarlberg aus dürften keine Kredittouristen ins angrenzende Bayern pilgern. "Wir haben in Deutschland vom Norden bis in den Süden Banken durchtelefoniert, aber keine gefunden, die für Immobilienkredite in Österreich infrage kommen", sagt Tobias Klien. Gemeinsam mit Michaela Sattleder leitet er die "CUORE Immobilien GmbH". Ihr Ziel: Kunden eine Lösung rund um die Themen Bauen, Wohnen, Investieren und Finanzieren zu bieten.

Thomas Hauer, Abteilungsleiter für Kreditrisikomanagement und Recht bei den Salzburger Sparkassen, hält es durchaus für möglich, dass sich die Nachfrage nach einem Kredit in Deutschland verstärke. "Ich glaube jedoch nicht, dass es eine Riesenmenge ist, die uns da durch die Lappen geht." Vielmehr beschäftigt den Abteilungsleiter, dass individuelle Lösungen nicht mehr möglich sind. Zwar gibt es dafür das Ausnahmekontingent, laut Hauer hält sich die Salzburger Sparkasse dieses aber als Reserven zurück. "Wenn es hintenraus beim Bauen zum Beispiel Kostenüberschreitungen-auch aufgrund von Kostensteigerungen-gibt, dann suchen wir im Rahmen des Ausnahmekontingents dafür Lösungen, damit diese Kundinnen und Kunden dann auch ihren Haustürschlüssel bekommen."


Tschechiens Ausnahme für junge Menschen

Damit vor allem junge Familien an ihren Haustürschlüssel kommen, sind aber wohl weitgehendere Erleichterungen nötig. Ein Weg könnte laut Bernd Ebner von Realfinanz sein, den politischen Fokus-speziell für Jungfamilien-auf angepasste Wohnbauförderungsmodelle zu legen. Für Ebner braucht es hier Eigenmittel-Unterstützungslösungen für förderungswürdige Gruppen und wieder flexiblere Rückzahlungs-und Ratenmodelle, die sich an die Lebens-Einkommensentwicklung anpassen.

Im tschechischen Nachbarland hat sich die Notenbank für genau jene Altersgruppe eine Ausnahmeregelung überlegt. Zwar wurden auch dort im Vorjahr die Vergaberichtlinien für Immobilien verschärft, maximal 80 Prozent durften dort ausgeliehen werden, die Schuldendienstquote nicht mehr als 45 Prozent des Nettoeinkommens betragen. Für Personen unter 36 gab es aber Ausnahmen: Bis zu 90 Prozent des neuen Eigenheims durften kreditfinanziert und bis zu 50 Prozent des Einkommens monatlich zur Tilgung aufgewandt werden. Weil aber-trotz dieser Lockerungen-auch in Tschechien die Immobilen-und Bauwirtschaft einbrach, wurden am 1. Juli 2023 die bisherigen Regelungen zur Schuldendienstquote wieder gänzlich abgeschafft.


Der gerade Weg: Geduld

Eine solche Lockerung oder generell Änderungen sind in Österreich hingegen nicht zu erwarten, wie die Finanzmarktaufsicht (FMA) gegenüber profil Extra zu Protokoll gibt. Die bestehende Verordnung läuft im Sommer 2025 aus, davor wird evaluiert. Wohin es nach der Evaluierung gehen könnte? Für Wifo-Wohnbau-Experte Michael Klien sprechen mehrere Gründe dafür, dass Teile oder die ganze Verordnung ausgesetzt werden könnten: Erstens sei das Zinsänderungsrisiko derzeit sehr gering, die EZB-Leitzinsen liegen schon bei über vier Prozent. Zweitens reduziere die hohe Inflation die Schuldenlast für Kreditnehmer:innen markant-die Schuldendienstbelastung werde dadurch sehr schnell kleiner. Und drittens könnten Fixzins-Kredite generell ausgenommen werden. Ausnahmen für Einkommen ab einer gewissen Höhe seien ebenfalls denkbar.

Bis dahin bleibt Kreditsuchenden ein Trostpflaster: Dem Immobilienmarkt steht eine Stagnationsphase bevor. In Kombination mit der hohen Inflation führt das zu realen Wertrückgängen. Experten rechnen für das aktuelle und das kommende Jahr zusammen mit einem Rückgang um zehn Prozent. So können Abstecher und Umwege zu deutschen Geldinstituten in Einzelfällen Abhilfe schaffen. Der gerade Weg für alle heißt aber einfach Geduld. Geduld, bis die Preisvorstellungen von Käufern und Verkäuferinnen wieder zueinanderfinden.

Text: Julian Kern