Generation Z: Zwischen Aktienhype und Schuldenfalle
Madeleine Serlath war 18, als sie von ihrem Großvater ein Sparbuch bekam. Tausend Euro waren darauf. Madeleine marschierte damit zur Bank und verkündete: "Ich möchte investieren." Dass ihre Eltern von dieser Idee nicht begeistert waren, konnte sie noch verstehen. "Aber ich spürte sogar von der Bankberaterin Gegenwind",erinnert sich Madeleine. "Sie fragte mich, ob ich das Geld nicht doch lieber auf dem Sparbuch liegen lassen möchte."
Sie wollte nicht. Im Rechnungswesen-Unterricht hatte sie, HLW-Schülerin, von Aktien gehört, von Rendite. Das weitere Börsenwissen eignete sie sich selbst an. Von Anfang an streute sie ihr Risiko breit und machte bislang keine schlechten Erfahrungen, dafür guten Gewinn.
Neu auf dem Börsenparkett
Madeleine Serlath gehört zur "Generation Aktie", einer Generation, die laut einer Studie des Deutschen Aktieninstituts den stärksten Zuwachs unter den Aktionär:innen aufweist. 2022 sind rund 40 Prozent mehr junge Erwachsene unter 30 Jahren an der Börse aktiv geworden als noch im Jahr zuvor. Und auch die Universität Leipzig stellte fest, dass das Interesse junger Menschen an Investments so groß ist wie noch nie. Von den rund 700 Befragten gaben mehr als 80 Prozent an, ihr Geld in ETFs, Fonds und Aktien anzulegen, ein Drittel investiert auch in Kryptowährungen.
ETFs, Fonds, Aktien: Schlagworte, die man bisher eher von jenen "alten, weißen Männern" hörte, für deren polierte Lederschuhe das Börsenparkett gemacht worden zu sein scheint. Und jetzt sind da diese neuen Depot-Besitzer:innen, die sich nicht so richtig in ein Bild fügen lassen wollen. Sind es junge Statistik-Nerds oder Wirtschaftsstudent:innen? Haben sie einen wohlhabenden Background oder gerade nicht? Und wie ist die lange herrschende Scheu, über Geld zu sprechen, bei der Generation Z ins Gegenteil umgeschlagen? Denn wenn es ums Investieren geht, herrscht beinahe schon FOMO (Fear of missing out).
Geldflüster:innen
Lisa Pulsinger, Trainerin für finanzielle Bildung und eine der Hosts des Podcasts "Moneyküre",gibt Coachings und Workshops für junge Menschen. "Die Generation Z ist durch Social Media sehr stark beeinflusst", sagt sie. "Seit der Pandemie hat die Zahl der sogenannten Finfluencer:innen stetig zugenommen." Finfluencer, das sind-meist selbst junge-Männer und Frauen, die auf TikTok, Instagram, YouTube und Co über Finanzen reden. Ihre Kanäle heißen "finanzheldinnen", "finanzenverstehen" oder "finanzfluss". Die größten Profile erreichen über 100.000 Follower:innen, denen, so Pulsinger, teils gutes, teils fragwürdiges Wissen weitergegeben wird.
Die Fachhochschule St. Pölten untersuchte die Rolle dieser Finfluencer:innen und stellte fest, dass ihre Kanäle für 76 Prozent der Befragten eine wichtige Informationsquelle darstellen. Zwei Drittel gaben aber auch an, den Finfluencer:innen nur zu folgen, weil sie den Content unterhaltsam fänden. Tatsächliche Empfehlungen, etwa zu Aktien, waren nur für rund ein Fünftel ein Motiv, die Kanäle zu besuchen.
Reality-Check
Information, so Lisa Pulsinger, sei das eine, was den jungen Leuten via Social Media vermittelt werde. Das andere sei Motivation. "Diese Generation bekommt ganz deutlich gesagt, dass sie sich nicht mehr auf die staatliche Pension verlassen kann und selbst vorsorgen muss." Der Traum vom Eigenheim bleibe für viele Junge zusätzlich ein Traum, und so verfolgen sie andere Ziele als die Generationen davor, die sich noch für ein Haus abrackerten. "Die Jungen wollen reisen, weniger arbeiten, mehr Freizeit haben."
Dass damit Einkommenseinbußen verbunden sind, die im Hinblick aufs Alter abgefangen werden müssen, ist den Twens klar. Das Ergebnis ihres nüchternen Reality-Checks: Sie legen sich frühzeitig etwas auf die Seite. "Und das", so Pulsinger, "können sie in ihrem jungen Alter auch noch schaffen-selbst wenn sie mit nur 25 Euro pro Monat anfangen zu investieren." Millionäre würden nur die wenigsten werden wollen. "Sie möchten einfach ihren Lebensstandard auch im Alter halten können."
Investment mit Verantwortung
Neben der eigenen Absicherung geht es der Generation Aktie aber um mehr: Nachhaltigkeit ist ein Stichwort, das für viele in den Vordergrund tritt. Davon berichtet auch Madeleine Serlath. "Je mehr ich mich damit auseinandergesetzt habe, dass wir mit unseren Investments eine Verantwortung tragen, desto weniger konnte ich darüber hinwegsehen", sagt sie. Ihr sei es wichtiger, etwas Sinnvolles in der Welt zu bewirken als eine höchstmögliche Rendite zu erhalten. Auch wenn es sie nach wie vor gebe, die jungen Aktionär:innen, die einzig und allein um der Gewinnmaximierung willen investieren: "Ich habe schon das Gefühl, dass das Bewusstsein dafür wächst, dass unser Geld und unser Investmentverhalten eine Wirkung haben", sagt sie. Zumindest kann sie dies aus ihrer Bubble berichten.
Sie selbst hat an der Wiener Börse in der Kommunikationsabteilung gearbeitet, in der Zwischenzeit ein zweites Studium im Nachhaltigkeitsbereich begonnen und sich nebenberuflich selbstständig gemacht. Dieses Jahr wurde sie wieder zurück in ihr altes Team an die Börse geholt, wo das Thema Nachhaltigkeit-auch aufgrund kritischer junger Investor:innen-eine immer größere Rolle spielt.
Generation Schulden
So weit, so hoffnungsvoll. Es gibt aber noch eine zweite Erzählung über die Generation Aktie, nämlich die, dass sie einen weiteren Beinamen trägt: "Schulden". "Jede fünfte Person, die sich an uns wendet, ist unter 30",sagt Gudrun Steinmann, Leiterin der Finanzbildung der Schuldnerberatung des Fonds Soziales Wien (FSW). "Die Höhe der Verschuldung beläuft sich dabei meist auf eine Summe zwischen 10.000 und 30.000 Euro."Als Grund für die Verschuldung werde häufig angeführt, dass der Umgang mit Geld nie erlernt worden sei. "Daneben sind Einkommensverschlechterung oder Arbeitslosigkeit häufig genannte Ursachen, ebenso Inflation und Teuerung."
Auch gebe es viele junge Menschen, die variabel verzinste Ratenzahlungen vereinbaren, um sich ihre Konsumwünsche zu erfüllen. "Das geht im Internet alles sehr leicht", sagt Steinmann. "Man kann sogar zig Ratengeschäfte gleichzeitig abschließen. Fünf Euro hier, zwölf Euro dort-da kann man schnell den Überblick verlieren." Ein Konto ist rasch überzogen, und dann gehe die Schuldenspirale los. Dass sich jemand an der Börse verspekuliert hat und sich deshalb bei der Schuldenberatung meldet, komme hingegen selten vor.
Ziel der Schuldnerberatung ist, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen, dass der sprichwörtliche Hut brennt. "Es kann nicht oft genug über Finanzbildung gesprochen werden", betont Gudrun Steinmann. "Deshalb gehen wir an die Schulen, um unabhängig zu beraten und aufzuklären."Auch der FSW-Finanzführerschein, der Schüler:innen die praxisnahe und kritische Auseinandersetzung mit Geld oder die Rechte und Pflichten bei Geldgeschäften nahebringen soll, ist ein wichtiges Mittel zu mehr Finanzkompetenz unter jungen Menschen-das diese "dankbar annehmen. Wir wollen mündige Konsument:innen schaffen."
Finanzkompetenz als Schlüsselfaktor, um mündige Konsument:innen zu schaffen: Das ist auch das Ziel von "Three Coins", einem Sozialunternehmen, das unter anderem mit verschiedenen Banken Bildungsprojekte entwickelt. "Wir merken-obwohl man sie 'Generation Aktie' nennt-,dass der Aktienmarkt für viele Junge ein riesengroßes Fragezeichen ist",sagt Geschäftsführer Goran Maric, "auch wenn das Wissen immer besser wird".
Wissen ist aber nicht nur im Hinblick auf die Börse wichtig, weil Geld immer auch ein Spiegel von anderen Dingen ist-von Erfolg, Freiheit, von Es-geschafft-Haben. "Es gibt dubiose Unternehmen, die damit junge Leute ködern",so Maric. Er spielt damit auf die "Investment Academys" an, die weltweit im Pyramidensystem das schnelle, große Geld versprechen. "Hier muss viel mehr Aufklärung passieren, um solche Dinge entlarven zu können."
Dass die Finanzmarktaufsicht über den Betrug informiert und eine Recherchedatenbank zu dubiosen Plattformen anbietet, ist gut, greift aber zu kurz. Und zu spät. Finfluencer:innen hingegen könnten, so Maric, hier-neben dem Feld, Investments überhaupt zum Thema zu machen-wichtige Arbeit leisten, "solange sie unabhängig arbeiten und nicht an eine Bank, eine Versicherung oder ein Finanzprodukt gebunden sind."
Es gibt dubiose Unternehmen,
die mit dem Versprechen des
schnellen, großen Geldes junge
Leute ködern. Hier muss viel
mehr Aufklärung passieren.
Je früher, desto besser
Wann der richtige Zeitpunkt ist, mit jungen Leuten über Geld zu sprechen? "Je früher, desto besser", sagt Maric. Allerdings ergebe es wenig Sinn, Volksschulkindern den Aktienmarkt zu erklären. "Sinnvoll ist das erst, wenn junge Menschen Geld haben, das sie auch einsetzen können. Wir raten aber, erst dann zu investieren, wenn ein Notgroschen als Sicherheitspolster angespart wurde." Dann sei es aber auf jeden Fall sinnvoll, gerade für die Generation Aktie im Hinblick auf die private Altersvorsorge. "Denn mit unserem jetzigen System wird deren staatliche Pension nicht reichen, um den Lebensstandard zu halten."
Text: Ursel Nendzig