Reportage

Wachsender Antisemitismus in Österreichs Schulen:„Sie haben auf meinen Namen gespuckt“

Antisemitismus ist an vielen Schulen in Österreich eine wachsende Realität. Jüdische Schüler erleben im Alltag Diskriminierung, Lehrer und Schulleitungen sind mit dem Problem oft überfordert. Und geben Ratschläge wie „Dann schicken Sie Ihr Kind halt in eine jüdische Schule.”

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In einem Simmeringer Kaffeehaus sitzt Noah im hintersten Eck, in sicherer Entfernung von den wenigen Gästen. Er flüstert: „Niemand darf hören, dass ich jüdisch bin.“ Sobald er die Worte „jüdisch“, „Israel“ oder „Antisemitismus“ ausspricht, schaut er nervös über die Schulter. Woher diese Angst kommt? „Als in der Mittelschule die Schüler erfuhren, dass ich jüdisch bin, haben sie auf meinen Namen gespuckt“, erzählt er. Der Lehrer war damals kurz aus dem Raum gegangen, und Noahs Mitschüler nutzten die Gelegenheit, um aufseinen Namen auf der Anwesenheitsliste zu spucken. Als seine Religionszugehörigkeit bekannt geworden war, wandten sich einige frühere Freunde von Noah ab; Mitschüler begannen ihn zu meiden. Ein Schulwechsel brachte nur wenig Besserung. Ein Jahr lang verheimlichte Noah dort seine Religion – bis ein Lehrer sein Judentum unbedacht „ausplauderte“. Seitdem fühlt er sich unwohl. Er spürt, wie Schüler hinter seinem Rücken über ihn lästern. Einmal hörte er sogar, wie ein Mitschüler sagte, er solle vergast werden. In WhatsApp-Gruppen kursieren „Heil Hitler“-Grüße. Noah traut sich nicht mehr, wegen solcher Angriffe zum Lehrpersonal zu gehen. Die Erfahrung zeigte ihm: „Wenn man petzt, wird es nur noch schlimmer.“ Die Angst und Ohnmacht, die Noah spürt, sind Symptome eines strukturellen Problems.

Eine neue Dimension von  Antisemitismus

Jüdische Schüler erleben in Österreich täglich, wie sich Antisemitismus in den Schulalltag einschleicht. Schon während der Pandemie waren antisemitische Meldungen stark angestiegen, in dieser Zeit erlebten antisemitische Verschwörungstheorien einen Boom. 2020 verglichen Demonstranten auf den Corona-Demos die Maßnahmen der Regierung mit den Schikanen und Verbotsgesetzen gegen Juden in der NS-Zeit. 2022 reduzierten sich langsam die Attacken gegen Juden in Österreich, was sich schlagartig mit dem 7. Oktober 2023 wieder änderte. An diesem Tag überfiel die Terrorgruppe Hamas Israel, tötete 1200 Zivilisten und verschleppte mehr als 200 Geiseln nach Gaza. Der Halbjahresbericht 2024 der Antisemitismus-Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) dokumentiert eine massive Steigerung: 150,8 Prozent mehr gemeldete Fälle als im Vergleichszeitraum des Vorjahres.

Der polarisierende Nahostkonflikt wirkt wie ein Brandbeschleuniger für Antisemitismus, auch in den Klassenzimmern. Das Bildungsministerium beauftragte das Institut für Konfliktforschung mit einer Studie zum „Antisemitismus in der Schule“. Während die Ergebnisse noch ausstehen, zeigt sich im Schulalltag längst ein klares Bild: Antisemitismus ist für viele jüdische Schüler tägliche Realität. Die Suche nach Betroffenen ist erschreckend einfach. Mehr als zehn Schüler berichten von erlebtem Antisemitismus im Schulalltag. Doch aus Angst vor Konsequenzen wagen es nur drei, offen zu sprechen. Noah, Esther und Leah erzählen, wie sich der Hass seit dem 7. Oktober 2023 gesteigert hat. Aus Sicherheitsgründen wollen sie weder fotografiert werden, noch stehen in diesem Bericht ihre echten Namen.

Esther, 14: „Sie sagten, die Hamas hat euch gefickt“

Esther erlebt Ähnliches wie Noah. Die 14-Jährige musste nach dem 7. Oktober 2023 die Schule wechseln. „Nach diesem Tag haben meine Mitschüler mit dem Finger auf mich gezeigt und gelacht. Dann sagten sie: ,Ha! Ha! Ha! Die Hamas hat euch gefickt‘“, erzählt sie und imitiert die Handgesten ihrer Mitschüler. Der Angriff der Hamas wurde von einigen Schülern gefeiert. „Nicht die Palästinenser sollten sterben, sondern die Juden“, riefen sie ihr zu. Auf die Schikanen reagierte Esther mit Rückzug. Sie lief auf die Toilette und weinte hinter verschlossenen Türen. Sie wandte sich an den Schuldirektor, erklärte ihm die Situation. Er riet ihr, ein paar Tage zu Hause zu bleiben. In der Klasse wies er die Schüler zurecht – erfolglos. Der Direktor erklärte schließlich Esthers Vater: „Ich kann die Sicherheit Ihrer Tochter nicht garantieren.“ Sein Ratschlag: „Esther soll besser in eine jüdische Schule wechseln.“

Celeste  Ilkanaev

Celeste Ilkanaev

von September bis November 2024 Volontärin im Digitalteam. Freie Journalistin.