Russischen Touristen die Einreise verbieten? Nein, sagt Gerhard Mangott.

Ein allgemeiner Reisebann wäre nichts anderes, als der russischen Bevölkerung eine Kollektivschuld für diesen Krieg zuzuweisen, so der Politologe.

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Gastbeitrag von Gerhard Mangott

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"Europa zu besuchen, ist ein Privileg, kein Menschenrecht“, meint die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas. Touristenvisa für russische Staatsbürger sollen nur noch beschränkt vergeben werden. Estland, Lettland, Litauen, Polen und Finnland praktizieren dies bereits. Das zentrale Argument der Befürworter eines Reisebanns lautet, Russen sollten sich in der EU nicht vergnügen können, während ihr Land in der Ukraine Krieg führt.

Diese populistische Forderung stößt zunächst an rechtliche Grenzen. Die Gewährung eines Visums muss nach dem Schengen-Kodex im Einzelfall geprüft werden, die kollektive Ablehnung eines gesamten Volkes ist nicht zulässig. Die Erteilung kann abgelehnt werden, wenn der Antragsteller eine Gefährdung der inneren Sicherheit im Schengenraum darstellt. Bei Ablehnung des Antrags gibt es auch eine Einspruchsmöglichkeit. An der Einzelfallprüfung führt rechtlich kein Weg vorbei.

GERHARD  MANGOTT, 56,

Mangott ist Politikwissenschafter und Universitätsprofessor in Innsbruck mit Schwerpunkt Osteuropa und Russland. Mangott ist seit 1995 Lektor an der Diplomatischen Akademie in Wien. Im Herbst erscheint sein neues Buch „Sanction Dynamics“ über die Sanktionspolitik gegenüber Nordkorea, dem Iran und Russland. 

Ein Reisebann gegen Russen ist aber auch politisch nicht zielführend. Das würde das Narrativ Moskaus, dass der Westen einen totalen Krieg gegen Russland führt, vermutlich noch wirksamer machen. Der Westen hasse alles Russische; in Europa grassiere eine scharfe Russophobie, so die russische Meinungsmanipulation. Der Reisebann würde die Propaganda des Kreml ebenso verstärken wie die Ressentiments gegen den Westen in weiten Teilen der russischen Bevölkerung.

Befürworter des Reisebanns meinen, dadurch könnten mehr russische Bürger dazu gebracht werden, ihre Gegnerschaft zu diesem Krieg auszudrücken und sich gegen die Führung zu stellen. Damit wird Heldenmut eingefordert, denn sichtbarer Widerstand und Gegnerschaft zum russischen Krieg ist mit hohen persönlichen Risiken verbunden – vom Arbeitsplatzverlust bis zur langjährigen Haft.

Zudem wäre ein allgemeiner Reisebann nichts anderes, als der russischen Bevölkerung eine Kollektivschuld für diesen Krieg zuzuweisen. Trumps Bann gegen Muslime hat in Europa Empörung hervorgerufen; ein kollektiver Bann gegen Russen soll nun angeblich ein moralisches Gebot sein.

Zwar dürfte eine Mehrheit der Russen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, den Krieg in der Ukraine unterstützen. Aber nicht nur ist dies teilweise der staatlichen Propaganda geschuldet, sondern es sind auch zahlreiche Russen gegen die „militärische Spezialoperation“. Das sind vor allem gebildete, eher jüngere, städtische Personen – also gerade jene, die am häufigsten ihren Urlaub im (europäischen) Ausland verbringen. Nur etwa 30 Prozent der Bevölkerung haben einen Auslandspass. Das sind vor allem Angehörige der kriegsablehnenden Mittelschicht. Sollen ausgerechnet sie mit einem Reisebann abgestraft und in Geiselhaft Putins genommen werden?

Befürworter der Reisesperre argumentieren, für Dissidenten stehe ja weiterhin ein humanitäres Visum offen. Die Praxis aber zeigt, dass die Emigration aus Russland mit einem Touristenvisum die am häufigsten gewählte Option ist, um der Diktatur zu entfliehen. Viele Russen, die in der EU Asyl beantragen, kommen zuerst mit einem Touristenvisum über die Grenze. Zahlreiche Russen haben das Land seit Kriegsbeginn verlassen – auf der Flucht vor der repressiven Diktatur und/oder, weil ihnen im sanktionierten Russland keine Karriere- und Wohlstandsperspektive mehr gegeben ist.

Zuletzt sind in den Schengenraum reisende Russen kein zahlenmäßig großes Faktum. 2021 sind lediglich rund 1,8 Millionen Schengenvisa an Russen ausgestellt worden; das sind nur 1,3 Prozent der russischen Bevölkerung. Es ist also nicht so, dass unzählige Russen in der EU ihr Leben genießen, während die russische Führung Krieg gegen die Ukraine führt. Die Forderung nach einem allgemeinen Reisebann für Russen ist also rechtlich nicht zulässig und politisch kontraproduktiv. Emotionale Empörung sollte nicht zu politisch unvernünftigem und moralisch fragwürdigem Handeln führen.

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Anders als der Politologe Gerhard Mangott sieht es Benjamin Tallis. Seinen Beitrag können Sie hier lesen:

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