FPÖ verliert Zuspruch, aber trotzdem klar auf Platz eins
Von Gernot Bauer und Iris Bonavida
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Spott und Hohn sind Herbert Kickls bevorzugte Mittel in Parlamentsreden. Wenn der FPÖ-Obmann ans Rednerpult tritt, wird es still in den Reihen. Seine Tiraden haben Unterhaltungswert. Mittwoch vergangener Woche war es anders. Statt Spott und Hohn kannte der FPÖ-Chef nur Gift und Galle. Auf der Tagesordnung standen der Russland-Spionageskandal und die Rolle, die die FPÖ dabei spielt. Kurzfristig ließ sich Kickl auf die Rednerliste setzen und attackierte in hoher Lautstärke die anderen Fraktionen scharf: „Die Einheitspartei will den Machtverlust um jeden Preis verhindern und setzt auf Manipulation der Bevölkerung!“ Die ÖVP und „ihr tiefer Staat“ wollen die Bevölkerung „desinformieren“ und „manipulieren“. Da sei sie bei ihm aber „an den Falschen geraten“.
Es war ein anderer Kickl, der da durchs Plenum zeterte. Statt Selbstbewusstsein verströmte er Nervosität. Die anderen Parteien registrierten es mit Genugtuung. Dass sie von der aktuellen Unruhe bei den Freiheitlichen profitieren können, ist allerdings unwahrscheinlich, wie die große profil-Umfrage von Unique research zeigt.
Denn ÖVP und SPÖ agieren auch nicht fehlerfrei. In der aktuellen Sonntagsfrage verliert die FPÖ im Vergleich zu November 2023 an Zuspruch, liegt aber mit 30 Prozent dennoch mit großem Vorsprung voran. Auf Platz zwei folgt die SPÖ, mit 21 Prozent nur einen Prozentpunkt vor der ÖVP. Die Grünen (neun Prozent), NEOS (acht Prozent) und die Bierpartei (sieben Prozent) liegen knapp beieinander, auch die KPÖ würde die Vier-Prozent-Hürde schaffen.
Druck im U-Ausschuss
Laufend liefern die Ministerien derzeit Dokumente an den von der ÖVP eingesetzten „rot-blauen Machtmissbrauch-Untersuchungsausschuss“ des Nationalrats. Darunter dürften sich wohl weitere Chats aus dem Handy des früheren FPÖ-Abgeordneten und Mitarbeiter im Parlamentsklub Hans Jörg Jenewein befinden. Dieser stand in engem Kontakt zum mutmaßlichen Russland-Spion Egisto Ott, dem ehemaligen Beamten im Bundesamt für Verfassungsschutz (BVT), der am Karfreitag festgenommen wurde und in Untersuchungshaft sitzt.
Kickl selbst hatte zu Ott keinen persönlichen Kontakt. Im U-Ausschuss versuchen die Abgeordneten der anderen Parteien, über Jenewein eine Verbindung vom angeblichen Geheimnisverräter Ott zum FPÖ-Obmann herzuleiten. Denn Jenewein bat eine Kabinettsmitarbeiterin von Kickl zu dessen Zeit als Innenminister wiederholt um die Übersendung von Dokumenten, darunter eine Teilnehmerliste eines Treffens des Berner Clubs, einem Zusammenschluss europäischer Nachrichtendienste, im Herbst 2018 in Helsinki. Unter anderem deswegen laufen staatsanwaltliche Ermittlungen gegen Jenewein. Dieser ließ jüngst sämtliche Vorwürfe durch seinen Anwalt zurückweisen. Bei den angeforderten Dokumenten habe es sich um Unterlagen gehandelt, die ihm aufgrund seiner parlamentarischen Tätigkeit ohnehin vorlagen. Und schon gar nicht habe es zwischen ihm und Ott Geldflüsse gegeben.
Landesverrat?
Herbert Kickl wies in seiner Befragung im U-Ausschuss am 11. April zurück, dass es sich bei Jenewein um einen engen Mitarbeiter gehandelt habe. Die Distanzierung ist nachvollziehbar. Die Partei der Patrioten zu sein, zählt zu den wichtigsten Markenattributen der FPÖ. Auch nur in den Geruch des Landesverrats zu geraten, ist diesem Image eher abträglich.
Die Flanke ist bereits offen. So warf die Grüne Klubobfrau Sigrid Maurer der FPÖ vor, „eine heimatverräterische Partei“ und „Putins Gehilfe“ zu sein.
Unique research ließ für profil auch abfragen, wer die Hauptverantwortung für den Spionageskandal trage. Eine Mehrheit von 30 Prozent gab die FPÖ an.
Dazu drohen Kickl – wegen Jenewein – womöglich auch innerparteiliche Troubles. Nach einer Hausdurchsuchung im September 2021 wurde auf Jeneweins Handy der Entwurf einer Anzeige gegen die Führungsspitze der Wiener FPÖ gefunden. Diese war – anonym – tatsächlich eingebracht worden und betraf den angeblichen Missbrauch von Fördergeldern durch FPÖ-nahe Vereine. Die Ermittlungen blieben ohne Ergebnis. Als der Fund ein Jahr später publik wurde, fragte man sich bei den Wiener Blauen um Landesobmann Dominik Nepp, ob Herbert Kickl von dieser Anzeige wohl gewusst habe. Dieser war erst im Juni 2021 Bundesparteiobmann geworden – gegen den Willen der Wiener Freiheitlichen, die Kickls Mobbing gegen FPÖ-Chef Norbert Hofer skeptisch sahen. Kickl wiederum hätte statt Nepp lieber die Wiener Nationalratsabgeordnete Dagmar Belakowitsch, Hans Jörg Jeneweins Schwester, an der Spitze der Landespartei gesehen. Und nun wird gerätselt: Findet sich auf neu gelieferten Chats am Ende ein kompromittierender Austausch zwischen Bruder und Schwester über die Anzeige gegen die FPÖ? Oder gar eine Kommunikation zwischen Jenewein und Kickl? Mit dem Untersuchungsgegenstand des U-Ausschusses hat die FPÖ-interne Affäre allerdings unmittelbar nichts zu tun.
Auch die Causa um die Klagenfurter Werbeagentur Ideenschmiede ist für Herbert Kickl nicht ausgestanden. Bei Kickls Befragung im U-Ausschuss war die 2015 aufgedeckte Affäre neu aufgerollt worden. Die Agentur war in einen Skandal um Kickback-Zahlungen aus Aufträgen der Kärntner Landesregierung verwickelt. Kickl hatte die Ideenschmiede mitgegründet, sei aber laut eigenen Angaben nur für kurze Zeit stiller Gesellschafter gewesen. Ermittelt wurde gegen ihn nie. Auch ein Treuhandvertrag, den Kickl 2010 mit dem Geschäftsführer der Ideenschmiede zum Erwerb einer Immobilie abschloss, sei „nie realisiert worden“, so Kickl im U-Ausschuss – was auch immer das heißen mag.
Blaue Opferrolle
Nun stellt sich die Frage: Schaden die beiden Skandalkomplexe um die russische Spionage und Kickls Beteiligung an der Werbeagentur ihm und seiner Partei nachhaltig? Bei Hardcore-Anhängern kaum. Diese glauben an den Slogan, den die FPÖ aktuell im Internet unter einem Kickl-Porträt ausspielt: „Weil er für euch ist, sind sie gegen ihn.“ Die Opferrolle schlachtet Kickl stets weidlich aus.
Bemerkenswert in der profil-Umfrage: Herbert Kickl legt in der fiktiven Kanzler-Frage zu. 22 Prozent würden für ihn stimmen, könnten sie den Regierungschef direkt wählen. Peinlich: Der regierende Kanzler, ÖVP-Obmann Karl Nehammer, steigt zwar um drei Prozentpunkte. 19 Prozent für einen Amtsinhaber sind dennoch kläglich. Die aktuellen Debatten mögen die FPÖ in die Defensive bringen, Schaden haben sie ihr noch keinen zugefügt.
Die ÖVP startete dagegen mit zwei kommunalen Crashs ins Superwahljahr 2024. Weder bei der Wahl in Innsbruck im April noch bei jener in der Stadt Salzburg im März schaffte es der jeweilige schwarze Bürgermeisterkandidat in die Stichwahl.
Die ÖVP-Kampagne für eine neue „Leitkultur“ soff ab. Und vergangene Woche lieferte Ministerin Karoline Edtstadler den anderen Parteien eine Vorlage, indem sie sich – wenn auch missverstanden, wie sie behauptet – zustimmend zur Forderung der Industrie nach einer Arbeitszeitverlängerung auf 41 Stunden äußerte. Der Kanzler höchstpersönlich musste die Debatte öffentlich mit einer Klarstellung einfangen. Zuvor hatte es parteiintern eine Rüge für Edtstadler gesetzt.
Bablers Verbreiterungsversuch
Karl Nehammer hat das Kanzleramt, Herbert Kickl den Nationalrat, nur Andreas Babler fehlt die eine große Bühne, auf der er sich als Nummer 1 präsentieren kann. Das zeigt sich auch in der großen profil-Umfrage: In der Kanzlerfrage liegt Babler weit hinter den Parteichefs von ÖVP und FPÖ auf 13 Prozent. In der Sonntagsfrage nähert sich die SPÖ aber nach unten der ÖVP an.
Noch immer strahlt der SPÖ-Vorsitzende vor allem nach innen bei seinen eigenen Leuten. Um endlich Breitenwirksamkeit zu entfalten, setzt die SPÖ auf eine „Herz und Hirn“-Strategie – das Herz für die Parteigenossinnen und -genossen, das Hirn für die Bevölkerung. Babler will sich nicht nur als neuer SPÖ-Parteivorsitzender, sondern nun auch als ernst zu nehmende Kanzler-Alternative positionieren, wie in seiner Rede beim SPÖ-Parteirat am Samstag in Wieselburg. „24 Ideen für Österreich“ sollen dabei helfen, darunter bessere Bedingungen für Polizistinnen und Polizisten, mehr Biolandwirtschaft oder Gratisabos auf Zeitungen für junge Bürgerinnen und Bürger.
Die reine Fixierung auf harte Themen wie Arbeitszeitverkürzung oder Vermögenssteuern ist obsolet – was auch eine mögliche Zusammenarbeit mit der ÖVP nach der Wahl am 29. September erleichtern würde. Die Wiederauflage der rot-schwarzen Koalition ist laut Umfrage die mit Abstand beliebteste Variante unter SPÖ-Sympathisanten – 37 Prozent sprechen sich dafür aus, im Bevölkerungsschnitt nur 16 Prozent. Bablers eigentliches Wunschbündnis aus SPÖ, Grünen und NEOS verfügt wohl auch nach der Wahl über keine parlamentarische Mehrheit.
Mehr Grips
Zudem droht der SPÖ Konkurrenz von links: Sollte die Bierpartei bei der Nationalratswahl antreten, könnte sie locker ins Parlament einziehen. Dass sieben Prozent angeben, die Hopfentruppe von Dominik Wlazny zu wählen, ist beeindruckend. In der fiktiven Kanzler-Direktwahl liegt der Bierboss sogar um einen Prozentpunkt vor Grünen-Chef Werner Kogler. Wlazny will erst Ende April entscheiden, ob er genug Mitglieder und Mittel hat, um sich eine Kandidatur leisten zu können. Die KPÖ hingegen hat ihr Antreten schon offiziell verkündet. Der Einzug in den Nationalrat wäre die Fortsetzung der Erfolgsserie bei den bisherigen Wahlen 2024.
Kommunistische Zugewinne könnten auch auf Kosten der NEOS gehen, wie die Gemeinderatswahl in der Stadt Salzburg am 10. März zeigte. Dort konnten die Pinken von ÖVP-Verlusten nicht profitieren und retteten gerade mal ein Mandat.
In Innsbruck flogen sie am 14. April aus dem Gemeinderat, obwohl die Tiroler Landeshauptstadt mit urbanen und studentischen Milieus als pinker Hoffnungsmarkt galt. Parteichefin Beate Meinl-Reisinger liegt in der fiktiven Kanzlerfrage bei sechs Prozent. Dass sie bei der Nationalratswahl aus dem Parlament fliegen, müssen die NEOS nicht befürchten. Ihr Stock aus Stammwählern ist solide.
Während die Kampagnen der Parteien für die EU-Wahl am 9. Juni langsam anlaufen, bereitet sich eine Gruppe parteiunabhängiger Expertinnen und Experten schon auf die Zeit nach der Nationalratswahl im Herbst vor.
Gernot Bauer
ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.
Iris Bonavida
ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.