Russland-Sanktionen

Umstrittener Sberbank-Deal: Millionen ohne Mascherl

Österreichs Probleme mit den Sanktionen: Wie findige Investoren und Unternehmen versuchten, mit Russland schnelles Geld zu verdienen – und welche Rolle die österreichischen Behörden dabei spielten.

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Es war ein Batzen Geld, der da bis Ende vergangener Woche herumlag. Und wenn ein Batzen Geld einfach nur herumliegt, weckt er Begehrlichkeiten. Die Rede ist von gut 300 Millionen Euro, die im Zuge der Abwicklung der Österreich-Tochter der russischen Sberbank im Vorjahr übrig geblieben sein sollen. Seit Monaten schlummerte das Vermögen sanktionsbedingt auf einem österreichischen Bankkonto vor sich hin. Und offenbar war es aus Sicht einer Reihe findiger Investoren und Unternehmen höchste Zeit, dass man es endlich loseist. Dass es sich um Geld handelt, welches im Wege einer mehrheitlich in Staatsbesitz befindlichen Bank letztlich auch dem Putin-Regime zuzurechnen ist, scheint diesbezügliche Geschäftsfantasien nicht zu beeinträchtigen – eher im Gegenteil. Vielleicht lässt sich ja gerade mit diesem Umstand schnell Kohle machen.

Der österreichische Finanzplatz hat über die vergangenen Wochen und Monate einen Vorgang erlebt, welcher die dringende Frage aufwirft, wie ernst man es hierzulande mit dem Grundgedanken der Russland-Sanktionen nimmt. Eigentlich sollte die Führung in Moskau, die im Februar 2022 einen brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine gestartet hat und bis heute die Zivilbevölkerung mit Raketen beschießen lässt, wirtschaftlich unter Druck gesetzt werden. Oligarchen und Putin-Freunde sollten den Zugriff auf ihre Villen, Yachten und sonstigen Reichtümer verlieren – Unternehmen mit Regimenähe nicht mehr frei Geschäfte machen dürfen. So die Idee. Doch Österreich, das jahrelang beste Beziehungen zur Kreml-Elite unterhalten und massive wirtschaftliche Eigeninteressen aufgebaut hat, tut sich damit schwer.

Russlands Bank in Wien

Jüngstes, und besonders plakatives Beispiel: die Sberbank-Millionen. Ein diesbezüglicher Deal war monatelang unter den Augen der heimischen Sanktionsbehörden vorbereitet worden. Letztlich machte ein Überraschungskandidat das Rennen: Wie der „Standard“ am Freitag berichtete, soll der Unternehmer Stephan Zöchling – seines Zeichens unter anderem Miteigentümer des Auspuff-Unternehmens „Remus“ – für 240 Millionen Euro den Zuschlag erhalten haben. Nähere Informationen zur Ausgestaltung des Geschäfts lagen bis Redaktionsschluss nicht vor.

Doch schon die Vorbereitungsarbeiten, die zahlreiche weitere Akteure umfassten, werfen ein bezeichnendes Licht auf den österreichischen Umgang mit dem Sanktionsthema. Was hat die Sberbank eigentlich mit Österreich zu tun? 2012 finalisierte die Moskauer Bank den Kauf der Osteuropa-Sparte der Österreichischen Volksbanken, die seinerzeit in der internationalen Finanzkrise schwer unter Druck gekommen waren. 505 Millionen Euro legten die Russen damals für die Übernahme der Volksbank International AG, die später in Sberbank Europe AG umfirmiert wurde, auf den Tisch.

„Russisch-ukrainischer Militärkonflikt"

Aufsichtsratschef wurde Russland-Freund und Ex-Magna-Manager Siegfried Wolf. Bald darauf übersiedelte die Bank in eine repräsentative Zentrale am Wiener Schwarzenbergplatz. Von dort aus ging das Finanzinstitut seinen Geschäften in Süd- und Osteuropa, Österreich sowie Deutschland nach. 2021 strebte man zunächst noch eine gröbere Umstrukturierung an und startete den Verkauf mehrerer Tochterbanken in Bosnien, Kroatien, Slowenien und Ungarn. Doch dann folgte am 24. Februar 2022 der russische Angriff auf die Ukraine – ein „russisch-ukrainischer Militärkonflikt“, wie es die Sberbank Europe AG stark verzerrt in ihrem Jahresabschluss darstellte.

Doch alles Schönreden sollte der Bank nichts nützten: Als die ersten russischen Panzer Richtung Kiew rollten, begannen ihre Kunden damit, in großem Maße Einlagen abzuziehen. Die Aufsichtsbehörden sahen die Liquiditätslage gefährdet und verordneten die Abwicklung. Das Kredit- und das Wertpapierportfolio wurden eilig verkauft, ebenso die Auslandstöchter. Nach erfolgter Beendigung des Bankgeschäfts legte die Sberbank Europe AG im Dezember 2022 ihre Banklizenz zurück und wurde in „Sber Vermögensverwaltungs AG in Abwicklung“ (Sber AG) umbenannt.

Die Lücke bei den Sanktionen

Ab dann verwaltete die Sber AG ihr eigenes Vermögen – und dieses soll durchaus beträchtlich sein. Offizielle Angaben gibt es dazu zwar nicht. Kolportiert wurde freilich das eingangs erwähnte Volumen von 300 bis 350 Millionen Euro.

Die Besonderheit daran: Anders als bei einem echten Bankverkauf ist dieses Vermögen – zumindest größtenteils – nicht in vergebenen Krediten oder anderen langfristigen Geschäften gebunden. Selbst ein schwierig verwertbares Portfolio aus Krediten mit Russland-Bezug soll verkauft worden sein, wie zu hören ist. Bis auf einige wenige verbliebene Kleinigkeiten lag das Geld zuletzt demnach einfach so da und musste praktisch nur abgeholt werden.

Doch die Eigentümerin aus Moskau konnte das selbst nicht tun. Die Sberbank wurde am 21. Juli 2022 von der EU auf die Sanktionsliste gesetzt. Es gab jedoch eine Lücke: Einige Monate nach dem ursprünglichen Sanktionsbeschluss öffneten die im EU-Rat versammelten Staats- und Regierungschefs die Möglichkeit für eine Ausnahmeregelung. Demnach konnten die zuständigen Behörden eines Mitgliedsstaates die Bereitstellung von Geldern an die russische Sberbank genehmigen, sofern dies notwendig sei, um einen laufenden Verkauf von Tochterunternehmen der Bank bis zum 17. Juni 2023 abzuschließen. Wohlgemerkt: Eine Kann-Bestimmung, keine rechtliche Verpflichtung. Aber Österreich hatte offenbar nichts dagegen.

Russland-Kenner

Der „Standard“ berichtete zuletzt über zumindest vier Interessenten. Besonders gute Chancen wurden eigentlich einem Konsortium um den früheren Bank-Austria-Generaldirektor und späteren Sberbank-Europe-Vorstandsvorsitzenden Gerhard Randa zugeschrieben, bei dem im Hintergrund auch Siegfried Wolf mitgemischt haben soll. Wolf hat das vehement bestritten. Eine Involvierung wäre allerdings nicht überraschend: Wolf war von 2012 bis 2022 Aufsichtsratschef der Sberbank Europe AG und verfügt über bekannt gute Beziehungen zum russischen Sberbank-Chef Herman Gref – profil berichtete.

Doch Zöchling, der nun das Rennen um das österreichische Sberbank-Vermögen gemacht hat, weist ebenfalls gute Russland-Connections auf. Wie Wolf werkte auch er früher im Imperium des Oligarchen Oleg Deripaska. profil berichtete im März 2022 über eine zypriotische Firma namens Nolana Holdings Limited, offenbar eine Art interne Managementfirma im Deripaska-Reich. Die Firma spielte eine Hauptrolle bei einem bemerkenswerten Privatjet-Deal im Jahr 2013. Dies ergibt sich aus den „Paradise Papers“ – geleakten Offshore-Daten, die der „Süddeutschen Zeitung“ zugespielt wurden und von dieser mit dem International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) geteilt wurden. In diesen Flugzeug-Deal war auch Zöchling involviert. Im Internet tauchte wiederum Wolf als „Branch Head“ der Nolana auf. Gegenüber profil erklärte Zöchling im Vorjahr, seit Ende 2015 nicht mehr in Russland tätig zu sein. Nun gibt es offenbar wieder stärkere Anknüpfungspunkte.

Wie Wolf kann auch Zöchling als potenzieller Querverbinder gesehen werden, der sowohl in Österreich als auch in Russland über beste wirtschaftliche Connections verfügt. Dies trifft freilich um nichts weniger auf die Raiffeisen Bank International (RBI) zu, die rund um den Sberbank-Deal ebenfalls wiederholt ins Gerede kam. Die RBI hat sich trotz heftiger Kritik bisher nicht von ihrer lukrativen Tochterbank in Russland getrennt. Aber sie hat ein ähnliches Problem wie die Sberbank: Während das russische Finanzinstitut bislang nicht an seine Assets in Österreich herangekommen ist, kann die RBI derzeit nicht auf ihre hohen Gewinne am russischen Markt zugreifen. Was wäre da näherliegender gewesen als ein Tauschgeschäft? Russische RBI-Gelder für die Sberbank gegen österreichisches Sberbank-Vermögen für die RBI?

Grünes Licht für „Roter Vogel“

Derartige Ideen unter dem Projektnamen „Roter Vogel“ deckte im März 2023 der „Falter“ auf. Damals waren offenbar noch verschiedene Varianten im Gespräch, wobei die Firmengruppe „Ithuba“, die mehrheitlich dem früheren Bank-Austria-Vorstand und namhaften Finanzberater Wilhelm Hemetsberger gehört, eine Art Zwischenposition einnehmen sollte. Dieser Plan wurde offenbar weiter konkretisiert. profil-Informationen zufolge hat Ithuba Anfang Mai 2023 ein derartiges Vorhaben bei der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), die als Sanktionsbehörde agiert, zur Genehmigung vorgelegt.

Die schwindelerregende Gesamttransaktion vereinfacht zusammengefasst: Eine Ithuba-Firma kauft der RBI Forderungen in dreistelliger Millionenhöhe gegenüber der Raiffeisenbank Russland ab, überträgt diese Forderungen an die russische Sberbank und bekommt dafür die Sber AG mit ihren Vermögenswerten in Österreich. Die Sber AG schüttet an die Ithuba-Firma Geld aus, mit dem Ithuba den Kauf der Forderungen von der RBI bezahlt.

Den Zuschlag erhielt dieses Konstrukt nun offenbar nicht. Faktisch hätte das jedoch bedeutet: Russisches Raiffeisen-Geld geht an die Sberbank, österreichisches Sberbank-Geld an die RBI. Allerdings nur indirekt, weil dazwischen die Ithuba-Firma gestanden wäre. Die RBI verwies auf Anfrage auf das Bankgeheimnis, betonte jedoch, sich an alle regulatorischen Vorgaben und Sanktionen zu halten. Darüber hinaus hielt man fest: „Die RBI hat keine Pläne, das Vermögen der Sber AG zu kaufen oder zu erwerben. Auch in der Vergangenheit hat sie keine Assets der Sber AG erworben.“

Moskau-Gelder ohne Mascherl

Wäre der Plan umgesetzt worden, hätte die RBI tatsächlich formal keine Vermögenswerte der Sber AG erworben. Ungeachtet dessen hätte sie jedoch von der Ithuba-Firma Geld erhalten, das von der Sber AG stammt. Eine spitzfindige Lösung. Die DSN hätte offenbar kein Problem damit gehabt: Anfang Juni erteilte sie ihre grundsätzliche Zustimmung – wie auch für die Angebotsvarianten mehrerer anderer Sber-AG-Interessenten. Dabei scheint ein Sber-AG-Verkauf in wirtschaftlicher Hinsicht jedenfalls der Freimachung von Mitteln gleichzukommen, auf welche die sanktionierte russische Sberbank bis dato keinen Zugriff hatte. Absehbarerweise lässt sich nämlich zumindest ein Teil des Kaufpreises, der nach Moskau fließt, rasch mit dem flüssigen Vermögen der Sber AG in Wien abdecken. Und Geld hat ja bekanntlich kein Mascherl. (Wie Zöchling seinen Deal konkret strukturiert hat, war vorerst nicht bekannt.)

Rechtlich bemerkenswert ist die Genehmigung durch die DSN auch deshalb, weil sich die EU-Ausnahme aus dem Dezember 2022 nur auf einen „laufenden“ Verkauf erstreckt. Ein Begriff, der überraschend breite Auslegungsmöglichkeiten zulässt. Ab wann war der Verkaufsprozess im Laufen? In ihrem Genehmigungsbescheid hält die DSN fest, dass als Dokumentation eines laufenden Verkaufs nicht zwingend ein Vertrag oder Vorvertrag vorliegen müsse. Es würden auch schon Verhandlungen über Transaktionsmodalitäten, die Legung eines Angebots oder eine Interessensbekundung („Letter of Intent“) ausreichen.

In Moskau kann man sich ob dieser wohlwollenden Auslegung zufrieden die Hände reiben. Und nicht nur dort.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).